Augsburger Allgemeine (Land West)

Er hatte das Blutbad eiskalt geplant

Prozess Nabi S. wird vor dem Augsburger Landgerich­t zu einer lebenslang­en Haftstrafe verurteilt. Die Richterin befand: Der Afghane hat sich an der Familie seiner Frau in der Flüchtling­sunterkunf­t in Göggingen gezielt rächen wollen

- VON INA MARKS

Während der Urteilsver­kündung, die eineinhalb Stunden dauert, bleibt Nabi S. ruhig. Er schaut zur Vorsitzend­en Richterin Sabine Konnerth, hört offenbar konzentrie­rt zu. Ein Dolmetsche­r übersetzt deren Worte für den Afghanen. Immer wieder wandert sein Blick zu drei Mitglieder­n der Familie, in die er einst eingeheira­tet hatte und über die er großes Leid brachte. Sie verfolgen sichtbar angespannt im Zuschauerr­aum des Gerichtssa­als die Verlesung des Urteils. S. selbst wirkt gefasst, hin und wieder rauft er sich die Haare. Dabei hat der 30-jährige Afghane gerade die Höchststra­fe bekommen – für das Blutbad, das er im April vergangene­n Jahres in der Asylunterk­unft Haus Noah der Caritas im Augsburger Stadtteil Göggingen angerichte­t hat.

Lebenslang­e Haftstrafe, dazu wurde die besondere Schwere der Schuld festgestel­lt. Damit kann der Afghane nicht nach 15 Jahren auf Bewährung freigelass­en werden – wie viele Jahre er zusätzlich in Haft verbringen muss, legt dann eine Strafvolls­treckungsk­ammer fest. Nabi S. wurde wegen Mordes an seinem 15-jährigen Schwager, versuchten Mordes an seiner Schwiegerm­utter, versuchter Tötung seiner Schwägerin und Körperverl­etzung im Falle seines Schwiegerv­aters und einer weiteren Schwägerin verurteilt. Seine Ehefrau hatte Glück im Unglück, sie hatte sich zur Tatzeit nebenan bei einer Nachbarin aufgehalte­n.

Für die Kammer des Augsburger Schwurgeri­chts handelt es sich um eine eiskalt geplante Tat. Der Afghane habe sich an der Familie, insbesonde­re an der Schwiegerm­utter, rächen wollen. Sie sei ihm besonders verhasst gewesen, wie Richterin Konnerth sagt. Nabi S. habe die Schwiegerm­utter dafür verantwort­lich gemacht, dass sich seine Frau von ihm getrennt hatte – und er habe sie dafür gehasst, dass sie ihre Tochter darin bestärkt hatte. „Dabei war es in erster Linie das Verhalten des Angeklagte­n, warum seine Frau nach rund zehn Jahren Martyrium aus der Gewalt fliehen wollte“, Konnerth. Im Alter von elf Jahren war sie als Kind – damals noch im Iran – an den Mann verheirate­t worden. Der Vater zahlte seinem Schwiegers­ohn eine sogenannte Morgengabe. Mit der Vermählung sollte ein Streit zwischen den beiden afghanisch­en Familien beigelegt werden.

Doch für das Mädchen war die Eheschließ­ung der Beginn einer Hölle mit Demütigung­en und Misshandlu­ngen. Für Richterin Konnerth ist klar: Der Angeklagte habe seine Frau wie eine gekaufte Ware betrachtet und wie eine Sklavin behandelt. Auch die Familie der Frau hatte Angst vor ihm. Nabi S. hatte seiner Ehefrau demnach gedroht, sie im Falle einer Trennung umzubringe­n. Trotzdem verließ die 23-jährige Afghanin im November 2019 ihren gewalttäti­gen Mann, weil sie es nicht mehr länger aushielt und sie um ihr Leben fürchtete, wie sie selbst als Zeugin in dem Prozess schilderte. Sie zog mit dem gemeinsame­n vierjährig­en Sohn zu ihren Eltern und ihren Geschwiste­rn in die Flüchtling­sunterkunf­t nach Göggingen. Ab da stieß Nabi S. nun auch Drohungen gegenüber der Familie aus. Seine Schwiegerm­utter soll in Zeugenvern­ehmungen gesagt haben: „Drohungen sind bei ihm normal, wenn er einmal sagt, dass unsere Tochter zu ihm zurückkehr­en soll, sagte er zehnmal dazu, er werde sie töten.“

Diesen Plan hatte er offenbar späbetont testens am 20. März gefasst. Für sein mörderisch­es Vorhaben besorgte sich Nabi S. demnach an diesem Tag in einem Baumarkt ein Küchenmess­er mit einer 21,5 Zentimeter langen Klinge. „Das Messer hatte er sich für den Zweck beschafft, wofür er es dann auch benutzt hat“, so die Vorsitzend­e Richterin. Eigentlich war es eine Tat mit Ansage, doch keiner in der afghanisch­en Familie aus Göggingen konnte sich wohl vorstellen, zu was Nabi S. dann fähig sein sollte – bis zum Tattag am 4. April vergangene­n Jahres. Nach wiederholt­em Bitten, seinen kleinen Sohn in Göggingen besuchen zu dürfen, willigten die Schwiegere­ltern irgendwann ein. Zuvor wurde vereinbart, dass der 30-Jährige, der auch ein gerichtlic­hes Kontaktver­bot zu seiner Frau hatte, nicht die Wohnung der Familie betreten darf. Doch Nabi S. hatte schon das Küchenmess­er in seinem Rucksack dabei. Unter dem Vorwand, einen Kaffee haben zu wollen, gelangte er in die Wohnung und rammte dort wenig später der überrascht­en Schwiegerm­utter das Messer in den Oberbauch. Dann wollte er ihre Kehle aufschlitz­en. Der Vater hielt ihn mit aller Kraft zurück. In der Wohnung entstand ein Tumult, auch zwei Töchter kamen zur Hilfe. Es muss ein Kampf um Leben und Tod gewesen sein. Nabi S., das macht die Richterin immer wieder deutlich, war allen körperlich weit überlegen.

Die Familienmi­tglieder erlitten unterschie­dlich schwere Verletzung­en, die Mutter wurde später in der Uniklinik reanimiert. Als der einzige Sohn der Familie dazukam, stach Nabi S. auf ihn ein, er schlitzte ihm zweimal mit Wucht die Kehle durch – bis zur Wirbelsäul­e. Der Jugendlich­e starb schnell. „Dabei hegte er gar keinen Groll gegen den 15-Jährigen“, so die Richterin. „Doch er sollte sterben, um der Familie durch die Tötung des einzigen Sohnes den größtmögli­chen Schmerz zuzufügen.“Die Einlassung­en von Nabi S., er sei selbst angegriffe­n worden und habe in Notwehr gehandelt, bezeichnet Konnerth als „Lügengesch­ichten“. Sie wendet sich an den Verurteilt­en: „Sie haben die Folgen zu tragen, dazu gehört auch, dass sie ihren Sohn nicht aufwachsen sehen. Aber aus Sicht der Schwurgeri­chtskammer ist es kein Schaden, dass ihr Sohn ihrem Einfluss für die nächsten zwei Jahrzehnte entzogen ist.“

Nabi S. bleibt bis zum Ende ruhig. Sein Verteidige­r, Jörg Seubert, kann nach dem Urteil noch nicht sagen, ob er dagegen Revision einlegen werde. Dazu müsse er erst mit seinem Mandanten sprechen. Die Familie des getöteten Jungen zeigt sich froh über das „Lebenslang“. Doch wie ihre Anwältin Marion Zech erzählt, haben sie alle jetzt bereits wieder Angst vor dem Tag, an dem Nabi S. einmal freikommen könnte.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Für den Mord an seinem 15 Jahre alten Schwager wurde Nabi S. nun in Augsburg verurteilt. Der Mann hatte in einer Gögginger Asylunterk­unft ein Blutbad angerichte­t.
Foto: Silvio Wyszengrad Für den Mord an seinem 15 Jahre alten Schwager wurde Nabi S. nun in Augsburg verurteilt. Der Mann hatte in einer Gögginger Asylunterk­unft ein Blutbad angerichte­t.

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