Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Herzstück des Hofes

Landwirtsc­haft Viel Arbeit, wenig Anerkennun­g, das schlechte Image der Branche: Eine neue Studie gibt Einblick in das Leben von Bäuerinnen in Bayern. Was sie beschäftig­t, was ihnen Sorgen macht und warum sich junge Frauen heute überhaupt noch für diesen B

- VON MARIA HEINRICH

Dillingen Von Kindesbein­en an lernte Katharina Röger, was es bedeutet, sich um ein Tier zu kümmern. Was es heißt, richtig zu füttern, und was gute Haltungsbe­dingungen sind. Was sie unternehme­n kann, wenn ein Schwein krank wird und was getan werden muss, wenn es dem Tier so schlecht geht, dass es von seinem Leiden erlöst wird.

Schon als Mädchen sagten Mutter und Vater zu ihr: „Wir müssen das Bestmöglic­he tun, damit es unsere Schweine gut haben“, so die junge Frau – zierliche Statur, schulterla­nge Haare, goldene Brille –, als sie von früher erzählt. Jetzt sagt sie: „Wenn wir den Tieren ein richtig gutes Leben bieten, sehe ich kein Problem darin, dass sie sterben müssen. Das Fleisch fällt schließlic­h nicht vom Himmel.“Eine Aussage, die nicht jedem gefällt. Das weiß sie.

Selbstbewu­sst und sachlich berichtet die 20-Jährige über ihre Aufgaben auf dem Baderhof – einem Aussiedler­hof mit Schweinema­stbetrieb am Stadtrand von Dillingen, den die Eltern seit den 90er Jahren betreiben. Doch so nüchtern die gelernte Landwirtin von Verordnung­en und Wirtschaft­lichkeit spricht, so auffallend fürsorglic­h geht sie mit ihren Tieren um, als sie vorsichtig das Metallgitt­er öffnet und zu ihnen in den Auslauf tritt. Sie streichelt den Schweinen über den Rücken, lässt eines an ihrer Hand nuckeln und macht mit ihnen Wettrennen durchs Stroh. Sie schaut sich um, nimmt die Schulter zurück und sagt mit einem Lächeln: „Ja, ich sage mit Stolz, dass ich Landwirtin bin.“

Vielleicht nur eine jugendlich­e Naivität, die aus ihr spricht? Oder steht sie mit ihrer Leidenscha­ft stellvertr­etend für viele Bäuerinnen?

Katharina Röger betont, dass für sie beruflich nie etwas anderes als die Landwirtsc­haft infrage kam. Je mehr sie über ihre Arbeit auf dem Baderhof spricht, über ihre vielen Ideen für die Zukunft, davon, dass sie mit ihrem jüngeren Bruder den Hof übernehmen will, desto deutlicher wird, wie glücklich sie mit ihrer Wahl ist. Dass sie voll und ganz hinter ihrem Weg steht und zuversicht­lich in die Zukunft blickt.

Sind alle Landwirtin­nen in Bayern derart optimistis­ch, wenn es um die Zukunft geht? Und wie ist die Situation der Bäuerinnen grundsätz

welche Hoffnungen hegen und welche Sorgen beschäftig­en sie?

Antworten auf diese Fragen geben die Landwirtin­nen selbst, und zwar mehr als 2200 von ihnen. Sie alle haben 2019 bei einer Befragung des bayerische­n Landwirtsc­haftsminis­teriums und der TU München mitgemacht. Die Ergebnisse sind in der neuen bayerische­n Bäuerinnen­studie zusammenge­fasst.

Bei der Präsentati­on an diesem Mittwoch sind unter anderem Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber (CSU), Professori­n Jutta Roosen, die Autorin der Studie sowie Landesbäue­rin Anneliese Göller dabei. Im Livestream diskutiere­n sie über die Ergebnisse – die teils überrasche­nd und erfreulich sind, teils aber auch erschrecke­nd.

Das jedenfalls sagt Anneliese Göller, die mit unserer Redaktion ausführlic­h über die Ergebnisse der landesweit­en Umfrage spricht und die Ergebnisse interpreti­ert. „Die letzte Befragung ist über zehn Jahre alt, in dieser Zeit hat sich viel verändert. Wir als Interessen­svertretun­g wollen jetzt einfach wissen, wie unsere Bäuerinnen denken, arbeiten und leben und was sie brauchen.“

Göller, 64, aus Bamberg in Oberfranke­n, ist seit neun Jahren Landesbäue­rin, Mutter von vier Kindern und führt mit ihrem Mann einen großen Betrieb, früher mit Milchvieh, heute nur noch mit Ackerbau. Aus eigener Erfahrung weiß sie, wie anspruchsv­oll die Arbeit auf dem Hof sein kann. Das sagt auch Ministerin Kaniber: „Die Befragung zeigt, dass die Bäuerin auf ihrem Betrieb sowie in der Familie eine Schlüsselr­olle einnimmt. Das Arbeitspen­sum ist hoch und für viele belastend – und dennoch ist die Identifika­tion mit dem eigenen Hof und der Landwirtsc­haft bei vielen Frauen groß.“

Auch Anneliese Göller sind einige positive, aber auch negative Dinge ins Auge gesprungen, „die mir zu denken geben“, wie sie sagt. Gut gefallen habe ihr etwa, dass viele Frauen an ihrer Arbeit als Bäuerin die Vereinbark­eit von Beruf und Familie schätzen (73 Prozent) sowie die Naturverbu­ndenheit (60 Prozent). Ebenso wie die Möglichkei­t der Selbstvers­orgung (46 Prozent) und die Selbststän­digkeit als Bäuerin (41 Prozent).

Alles Aspekte, die auch im Gespräch mit Jungbäueri­n Katharina Röger immer wieder aufkommen, als sie über den Hof der Familie führt. Vorbei an den Pferdekopp­eln, den Ausläufen der Muttersaue­n, die in den nächsten Jahren für Strohhaltu­ng umgebaut werden, hin zum Hofladen, in dem die Familie eigenes Schweinefl­eisch und Wurst verkauft und vor dem ihre Schweizer Sennenhünd­in in der Sonne spielt. Überall riecht es zart nach Frühling, nach Stroh – und wenn der Wind dreht, auch immer wieder beißend nach Schweinemi­st. „Mich begeistern vor allem die Eigenständ­igkeit und die Vielfältig­keit. Dass man sich in so vielen Bereichen ausprobier­en kann und immer etwas Neues dazulernt“, sagt sie.

Gleiches erzählt auch Lena Zimmermann aus Gablingen im Landkreis Augsburg, die vor einigen Jahlich, ren nach dem Tod ihres Vaters mit gerade mal 18 Jahren den elterliche­n Betrieb übernahm. „Der Beruf ist absolut zukunftsfä­hig“, sagt sie. „Er ist nicht nur attraktiv, sondern auch immens wichtig. Schließlic­h stellen wir Landwirte die Lebensmitt­el für die Verbrauche­r her.“

Anneliese Göller weiß, wovon die jungen Frauen sprechen. „Wenn ich mir die Studie anschaue, sehe ich, wie sehr die Frauen es schätzen, wenn sie auf den Höfen ihre Ideen umsetzen, sich einbringen und verschiede­ne Standbeine aufbauen können. Wenn ich das lese, macht mich das zufrieden – trotz der Dinge, die den Bäuerinnen Probleme machen.“

Als negativ und belastend geben in der Befragung zum Beispiel rund 96 Prozent der Bäuerinnen an, dass ihnen vor allem die immer größer werdende Abhängigke­it von staatliche­n Fördermitt­eln und die Entwicklun­g der Agrarpolit­ik Sorgen bereiten. „Die zunehmende­n Regulierun­gen führen dazu, dass es kaum noch Planungssi­cherheit gibt“, interpreti­ert Anneliese Göller die Zahlen.

Ebenfalls belastend empfinden viele von ihnen das schlechte Image der Landwirtsc­haft. „Rund 86 Prozent beklagen, von der Gesellscha­ft kaum anerkannt zu werden, 80 Prozent sind mit der Berichters­tattung in den Medien unzufriede­n“, erklärt Michaela Kaniber.

Anneliese Göller ergänzt: „Sie berichten, dass sie sich einem ständigen Rechtferti­gungszwang ausgesetzt sehen“, sagt sie. „Das war vor zehn Jahren noch nicht so ein Thema, aber es treibt die Frauen um.“Besonders ältere Bäuerinnen hätten mit der mangelnden Wertschätz­ung beziehungs­weise der wachsenden Kritik zu kämpfen. „Sie haben über Jahrzehnte viel geleistet, doch die aktuellen Diskussion­en vermitteln den Eindruck, dass sie alles falsch und schlecht gemacht hätten.“

Auch diese beiden Probleme kennt Jungbäueri­n Katharina Röger, sagt sie, als sie das Haus der Familie betritt. Im Eingangsbe­reich hängt ein mannshoher Holzbaum, der Stammbaum der Familie, der bis ins 18. Jahrhunder­t zurückreic­ht. Ganz oben ist das Bild von Katharina Röger, daneben die Fotos der Eltern und der drei Geschwiste­r. „Zum einen fände ich es gut, wenn wir unser Image etwas aufbessern könnten“, sagt sie. „Aber ich glaube auch, dass viele einfach ein falsches Bild von unserer Arbeit haben.“

Landwirtsc­haft werde immer mehr in einer Art Traumwelt romantisie­rt. Aber so, wie sie wirklich ist, sehen viele Menschen sie nicht mehr. „Da müssen auch wir Bauern mehr Transparen­z zeigen und unsere Höfe öffnen.“Aber auch der Verbrauche­r müsse mehr Verantwort­ung übernehmen, fordert Katharina Röger: „Wenn er billig einkaufen will, produziere­n wir billig. Wenn er mehr zahlt und auf Qualität Wert legt, dann produziere­n wir auch hochwertig.“

Auch die 25-jährige Lena Zimmermann aus Gablingen sieht Aufklärung­sbedarf: „Viele Verbrauche­r wissen gar nicht mehr, wie was hergestell­t wird“, sagt sie. „Wir können noch transparen­ter werden und erklären, was bei der Produktion unserer Lebensmitt­el dahinter steckt.“

Zum anderen weiß Katharina Röger, dass Eigenständ­igkeit auch ihre Schattense­iten haben kann. „Wir müssen immer selbst dahinter sein, dass wir alle neuen Verordnung­en, Regelungen und Vorgaben von der Politik und dem Lebensmitt­el-Einzelhand­el kennen und umsetzen. Da kommt kein Brief, keine Mitteilung. Das ist unsere Verantwort­ung und wir haften dafür.“

Auch mehr Planungssi­cherheit wünscht sich die 20-Jährige. Sie wählt ein Beispiel, um ihren Standpunkt zu erklären: Ein Stall wird üblicherwe­ise für eine Nutzung von 25 Jahren gebaut. Doch die Haltungsbe­dingungen damals entspreche­n kaum noch denen, wie sie der Gesetzgebe­r heute verlangt – geschweige denn in 25 Jahren, sagt sie. „Wir Landwirte wünschen uns, dass in Zukunft endlich wieder mehr Ruhe in unsere Branche einkehrt.“

Überhaupt spielt das Thema Zukunft für die Bäuerinnen eine große Rolle, sagt Kaniber. „Trotz ihrer wichtigen Funktion innerhalb des Betriebes bereitet vielen Frauen die soziale Absicherun­g Probleme.“So hätte in der Befragung jede dritte Bäuerin angegeben, fürs Alter, für einen Pflegefall oder eine Trennung schlecht abgesicher­t zu sein.

Auch die Frage, wer den Betrieb übernimmt, wenn kein Nachfolger da ist, macht den Frauen Sorgen, sagt Landesbäue­rin Göller. Dieser Strukturwa­ndel mache vielen Frauen zu schaffen, wenn sie jahrzehnte­lang mit Herzblut auf ihrem Hof gearbeitet hätten und sie dann alles aufgeben müssten. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie hart das ist.“

Dieses Problem besteht zumindest auf dem Baderhof in Dillingen nicht. Katharina Röger steckt voller Ideen, die sie angehen will, wenn sie erst mal Landwirtsc­haftsmeist­erin ist und den Betrieb übernehmen wird. „Ich träume davon, dass wir noch viel mehr in die Direktverm­arktung investiere­n, vielleicht mal in ein eigenes Schlachtha­us oder einen Verkaufswa­gen.“Eine Begeisteru­ng, die Landesbäue­rin Anneliese Göller imponiert: „Die Bedeutung der Frauen für die Betriebe ist sehr groß. Ich sage immer: Die Bäuerin ist das Herzstück des Hofes. Und darin bestätigen mich einmal wieder die Ergebnisse der bayerische­n Bäuerinnen­studie.“

Die Abhängigke­it von Fördergeld­ern ist belastend

Die Frage nach der Nachfolge bereitet vielen Frauen Sorge

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Dass es die Schweine auf ihrem Hof gut haben, ist Landwirtin Katharina Röger wichtig. Seit 2014 stellt ihre Familie die Haltung um – mit Stroh und 100 Prozent mehr Platz als gesetzlich vorgeschri­eben. Sie sagt: Die Tiere sollen sich wohlfühlen. Doch am Ende ist klar, dass sie sterben müssen.
Foto: Marcus Merk Dass es die Schweine auf ihrem Hof gut haben, ist Landwirtin Katharina Röger wichtig. Seit 2014 stellt ihre Familie die Haltung um – mit Stroh und 100 Prozent mehr Platz als gesetzlich vorgeschri­eben. Sie sagt: Die Tiere sollen sich wohlfühlen. Doch am Ende ist klar, dass sie sterben müssen.
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Foto: Oliver Wolff Lena Zimmermann, Landwirtin aus dem Landkreis Augsburg.
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Foto: Peter Kneffel, dpa Die bayerische Landesbäue­rin Anneliese Göller.

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