Augsburger Allgemeine (Land West)
Tage der Gewalt in Myanmar
Hintergrund Die Militärführung scheint die Geduld mit den Demonstranten zu verlieren, die seit fast einem Monat gegen eine drohende Diktatur protestieren. Die Zahl der Toten steigt weiter
Naypyidaw Vieles spricht dafür, dass die Militärs in Myanmar sich gründlich auf den Putsch vorbereitet haben. Gerüchte über einen Umsturz gab es schon lange. Die Soldaten wussten am 1. Februar – dem Tag des Staatsstreiches – genau, was sie zu tun hatten: Generalstabsmäßig wurden an wichtigen Kreuzungen und neuralgischen Punkten in den größeren Städten Posten stationiert, die faktische Regierungschefin Aung San Suu Kyi und weitere Regierungsmitglieder festgesetzt. Dennoch hat die Junta die Lage nicht unter Kontrolle. Einen Monat nach dem Putsch haben sich die Fronten weiter verhärtet. Auf die anhaltenden Massenproteste reagieren die Sicherheitskräfte mit immer brutalerer Gewalt – doch die Leute gehen weiterhin auf die Straße, fest entschlossen, eine neue Diktatur zu verhindern.
Der Asien-Experte der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), Felix Heiduk, hält die Situation auch deshalb für so gefährlich, weil „das Militär – anders als etwa im autoritär regierten Thailand – gewohnt ist, zu schießen. Bei Konflikten mit bewaffneten Separatisten oder auf die zivile Bevölkerung“. Die Armee sehe sich als Garant des Staates, der die Kolonialmächte besiegt hat und die Einheit des Landes sichert. Heiduk: „Die Demonstranten sind für sie verwirrte Kinder, die man erziehen muss.“Wenn nötig auch mit rücksichtsloser Gewalt. Die Bilanz der letzten Tage ist dramatisch. Am Sonntag soll es nach Schüssen auf Demonstranten 18 Tote gegeben habe. Quellen im Internet, Videosequenzen und Fotos dies. Auch der Mittwoch war blutig: Polizisten feuerten erneut mit scharfer Munition. Mindestens 38 Menschen starben, die UN spricht vom „schwärzesten Tag seit dem Putsch am 1. Februar“. Die bange Frage ist, ob die Generäle um Machthaber und Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing entschlossen sind, die Brutalität so weit zu steigern, bis die Proteste erstickt sind.
Haben sich die Generäle verrechnet, haben sie überhaupt eine klare Linie? „Das Militär ist offensichtlich von der Dauer und der Intensität der Proteste überrascht. Von den Massendemonstrationen, aber auch von dem weit verbreiteten zivilen Ungehorsam“, sagt Heiduk im Gespräch mit unserer Redaktion. Dennoch habe die Militärführung zwei
Ziele klar im Blick: Mit konstruierten Anklagen soll die Ikone der Demokratiebewegung Suu Kyi dauerhaft von politischen Ämtern ferngehalten werden. Das zweite Ziel sei es, zu verhindern, dass eine zivile Regierung die politische und wirtschaftliche Macht der Militärs in Zukunft wieder beschränken kann.
Gegen Suu Kyi, deren Aufenthaltsort derzeit unklar ist, wurden die Vorwürfe zuletzt entscheidend erweitert. Jetzt wird der 75-Jährigen unter anderem auch „Aufwiegelung“vorgeworfen. Ein äußerst schwammiger Anklagepunkt. Bei einer Verurteilung durch die Gerichte, die alles andere als unabhängig sind, drohen Suu Kyi zwei Jahre Haft. Hinzu kommen weitere abstruse Anklagepunkte, wie der unerbelegen laubte Besitz von Funkgeräten oder ein Verstoß gegen Bestimmungen des Katastrophenschutzes.
Inzwischen scheinen wichtige Handelspartner die Ereignisse in Myanmar mit wachsender Besorgnis zu verfolgen. „Tatsächlich versuchen einige Asean-Staaten – wie Singapur, Indonesien oder Brunei – die Putschisten von einer weiteren Eskalation mit hunderten Toten abzubringen. Es soll bereits Gespräche mit den Militärs gegeben haben“, sagt Heiduk, der jedoch bezweifelt, dass der Druck die Generäle in Myanmar veranlassen wird, ihr Handeln entscheidend zu verändern.
Heiduk hält es für möglich, dass das Land erneut auf dem Weg zu einer absoluten Diktatur ist oder es eine gelenkte Demokratie nach dem Modell Thailand geben könnte – mit Wahlen, die weder frei noch fair sein würden. „Denkbar ist auch, dass sich das Militär spaltet und schließlich einlenkt, weil der Druck aus der Bevölkerung zu groß wird – das halte ich aber derzeit für wenig wahrscheinlich.“
Die Möglichkeiten Deutschlands und der westlichen Staaten, die Generäle in Myanmar zu stoppen, sind überschaubar. Sanktionen dürften die Junta nicht nachhaltig beeindrucken, solange China und andere asiatische Staaten das Land unterstützen. Dennoch wären sie ein Signal, dass das Blutvergießen für das Regime nicht ohne Folgen bleiben wird. Erwartet wird, dass der UNSicherheitsrat erneut über die Krise berät. Auch Papst Franziskus meldete sich auf Twitter zu Wort: Die internationale Gemeinschaft müsse dafür sorgen, „dass die Bestrebungen des Volkes von Myanmar nicht erstickt werden“.