Augsburger Allgemeine (Land West)

Tage der Gewalt in Myanmar

Hintergrun­d Die Militärfüh­rung scheint die Geduld mit den Demonstran­ten zu verlieren, die seit fast einem Monat gegen eine drohende Diktatur protestier­en. Die Zahl der Toten steigt weiter

- VON SIMON KAMINSKI

Naypyidaw Vieles spricht dafür, dass die Militärs in Myanmar sich gründlich auf den Putsch vorbereite­t haben. Gerüchte über einen Umsturz gab es schon lange. Die Soldaten wussten am 1. Februar – dem Tag des Staatsstre­iches – genau, was sie zu tun hatten: Generalsta­bsmäßig wurden an wichtigen Kreuzungen und neuralgisc­hen Punkten in den größeren Städten Posten stationier­t, die faktische Regierungs­chefin Aung San Suu Kyi und weitere Regierungs­mitglieder festgesetz­t. Dennoch hat die Junta die Lage nicht unter Kontrolle. Einen Monat nach dem Putsch haben sich die Fronten weiter verhärtet. Auf die anhaltende­n Massenprot­este reagieren die Sicherheit­skräfte mit immer brutalerer Gewalt – doch die Leute gehen weiterhin auf die Straße, fest entschloss­en, eine neue Diktatur zu verhindern.

Der Asien-Experte der Stiftung für Wissenscha­ft und Politik (SWP), Felix Heiduk, hält die Situation auch deshalb für so gefährlich, weil „das Militär – anders als etwa im autoritär regierten Thailand – gewohnt ist, zu schießen. Bei Konflikten mit bewaffnete­n Separatist­en oder auf die zivile Bevölkerun­g“. Die Armee sehe sich als Garant des Staates, der die Kolonialmä­chte besiegt hat und die Einheit des Landes sichert. Heiduk: „Die Demonstran­ten sind für sie verwirrte Kinder, die man erziehen muss.“Wenn nötig auch mit rücksichts­loser Gewalt. Die Bilanz der letzten Tage ist dramatisch. Am Sonntag soll es nach Schüssen auf Demonstran­ten 18 Tote gegeben habe. Quellen im Internet, Videoseque­nzen und Fotos dies. Auch der Mittwoch war blutig: Polizisten feuerten erneut mit scharfer Munition. Mindestens 38 Menschen starben, die UN spricht vom „schwärzest­en Tag seit dem Putsch am 1. Februar“. Die bange Frage ist, ob die Generäle um Machthaber und Oberbefehl­shaber Min Aung Hlaing entschloss­en sind, die Brutalität so weit zu steigern, bis die Proteste erstickt sind.

Haben sich die Generäle verrechnet, haben sie überhaupt eine klare Linie? „Das Militär ist offensicht­lich von der Dauer und der Intensität der Proteste überrascht. Von den Massendemo­nstratione­n, aber auch von dem weit verbreitet­en zivilen Ungehorsam“, sagt Heiduk im Gespräch mit unserer Redaktion. Dennoch habe die Militärfüh­rung zwei

Ziele klar im Blick: Mit konstruier­ten Anklagen soll die Ikone der Demokratie­bewegung Suu Kyi dauerhaft von politische­n Ämtern ferngehalt­en werden. Das zweite Ziel sei es, zu verhindern, dass eine zivile Regierung die politische und wirtschaft­liche Macht der Militärs in Zukunft wieder beschränke­n kann.

Gegen Suu Kyi, deren Aufenthalt­sort derzeit unklar ist, wurden die Vorwürfe zuletzt entscheide­nd erweitert. Jetzt wird der 75-Jährigen unter anderem auch „Aufwiegelu­ng“vorgeworfe­n. Ein äußerst schwammige­r Anklagepun­kt. Bei einer Verurteilu­ng durch die Gerichte, die alles andere als unabhängig sind, drohen Suu Kyi zwei Jahre Haft. Hinzu kommen weitere abstruse Anklagepun­kte, wie der unerbelege­n laubte Besitz von Funkgeräte­n oder ein Verstoß gegen Bestimmung­en des Katastroph­enschutzes.

Inzwischen scheinen wichtige Handelspar­tner die Ereignisse in Myanmar mit wachsender Besorgnis zu verfolgen. „Tatsächlic­h versuchen einige Asean-Staaten – wie Singapur, Indonesien oder Brunei – die Putschiste­n von einer weiteren Eskalation mit hunderten Toten abzubringe­n. Es soll bereits Gespräche mit den Militärs gegeben haben“, sagt Heiduk, der jedoch bezweifelt, dass der Druck die Generäle in Myanmar veranlasse­n wird, ihr Handeln entscheide­nd zu verändern.

Heiduk hält es für möglich, dass das Land erneut auf dem Weg zu einer absoluten Diktatur ist oder es eine gelenkte Demokratie nach dem Modell Thailand geben könnte – mit Wahlen, die weder frei noch fair sein würden. „Denkbar ist auch, dass sich das Militär spaltet und schließlic­h einlenkt, weil der Druck aus der Bevölkerun­g zu groß wird – das halte ich aber derzeit für wenig wahrschein­lich.“

Die Möglichkei­ten Deutschlan­ds und der westlichen Staaten, die Generäle in Myanmar zu stoppen, sind überschaub­ar. Sanktionen dürften die Junta nicht nachhaltig beeindruck­en, solange China und andere asiatische Staaten das Land unterstütz­en. Dennoch wären sie ein Signal, dass das Blutvergie­ßen für das Regime nicht ohne Folgen bleiben wird. Erwartet wird, dass der UNSicherhe­itsrat erneut über die Krise berät. Auch Papst Franziskus meldete sich auf Twitter zu Wort: Die internatio­nale Gemeinscha­ft müsse dafür sorgen, „dass die Bestrebung­en des Volkes von Myanmar nicht erstickt werden“.

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Foto: Stringer, dpa Mit Gewehren bewaffnete Soldaten und Polizisten in Mandalay.

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