Augsburger Allgemeine (Land West)

Orbán kommt dem Rauswurf noch zuvor

Parteien Ungarns Premier zieht die Fidesz-Abgeordnet­en aus der christdemo­kratischen Fraktion im EU-Parlament ab. Damit hat sich Manfred Weber in dem Dauerstrei­t durchgeset­zt

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Die Ereignisse dieses Mittwochs waren gerade mal ein paar Stunden alt, da sprach Manfred Weber (CSU) bereits von einem „historisch­en Treffen“. Zwar bemühte sich der Fraktionsc­hef der christdemo­kratischen EVP im Europäisch­en Parlament noch, den Schaden zu begrenzen: Es gebe „keine Gewinner und keine Verlierer“. Doch der harte Bruch mit den bisherigen Fraktionsk­ollegen der ungarische­n Fidesz-Partei des umstritten­en Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán hinterläss­t Spuren.

Nach jahrelange­m Streit mit den zwölf Parlamenta­riern aus Ungarn hatte die Fraktion der Europäisch­en Volksparte­i (EVP), dem Dachverban­d von fast 50 christdemo­kratischen Parteien in den 27 Mitgliedst­aaten, dem auch die CDU- und CSU-Abgeordnet­en angehören, ihre Geschäftso­rdnung geändert, um eine Suspendier­ung ganzer Landesverb­ände zu ermögliche­n – vor allem der zwölf ungarische­n FideszVert­reter. Doch bevor es dazu kommen konnte, kündigte Orbán selbst am Mittag die Mitgliedsc­haft in der Fraktion auf und zog seine Abgeordnet­en zurück. Damit war ein Bruch vollzogen, den viele ersehnt, andere lange verhindern wollten.

Am Mittwoch befürworte­ten 84 Prozent der bisher 180 Mitglieder starken Parlaments­fraktion den Schritt. Weber lobte die „große Geschlosse­nheit“und bekannte „enttäuscht“, dass seine Versuche, „Brücken zu schlagen, nicht funktionie­rt“hatten. Der CDU-Abgeordnet­e Dennis Radtke brachte deutlicher auf den Punkt, was alle dachten: „Wer unsere Werte nicht vertritt, hat in der EVP keinen Platz“.

Orbán und seine Europa-Vertreter waren in den vergangene­n Jahren immer mehr zu einer Belastung für die Christdemo­kraten geworden. Im Europa-Wahlkampf 2019 konnte Weber, der damals als Spitzenkan­didat der EVP ins Rennen ging, kaum inhaltlich­e Akzente setzen, weil er sich immer wieder rechtferti­gen musste, warum seine Parteienfa­milie sich nicht endlich von den Rechtsnati­onalen aus Budapest trennte. Bei den Diskussion­en um rechtsstaa­tliche Kriterien bei der Vergabe von Haushaltsg­eldern im Vorjahr eskalierte dann der Krach immer mehr.

Den Höhepunkt markieren wohl die persönlich­en Angriffe auf Weber im Dezember vergangene­n Jahres. Der Fidesz-Politiker Tamás Deutsch warf Weber damals Gestapo-Methoden vor. Dabei hatte der CSU-Politiker bei der Verteidigu­ng des neuen Rechtsstaa­tsmechanis­mus lediglich festgestel­lt, wer sich an Recht und Gesetz halte, habe nichts zu befürchten. Daraufhin sprach

Deutsch von Unterdrück­ungsmethod­en, die ihn an die Nazis und die Kommuniste­n erinnerten. Zwar entschuldi­gte sich Deutsch später, doch der Unmut gegen die Ungarn war nicht mehr zu besänftige­n. Hinzu kommt, dass die EVP aus Verärgerun­g über die anhaltende Demontage von EU-Grundwerte­n und wegen ehrverletz­ender Attacken auf den damaligen Kommission­spräsident­en Jean-Claude Juncker die Fidesz-Partei suspendier­t und ihr alle Stimmrecht­e entzogen hatte.

Inzwischen sitzt an der Spitze der europäisch­en Christdemo­kraten der

Pole Donald Tusk, zuvor EU-Ratspräsid­ent. Der betreibt den endgültige­n Rauswurf von Orbán aus der EVP-Partei intensiver als jeder seiner Vorgänger. Ob die gestrigen Vorgänge auch zu einem Austritt der Ungarn aus der Parteienfa­milie führen, blieb am Mittwoch noch unklar. Wo Fidesz nun in der EU-Abgeordnet­enkammer eine neue politische Heimat finden könnte, ist offen. Denkbar wäre ein Wechsel der Abgeordnet­en zur rechtsnati­onalen EKR oder zur noch weiter rechts stehenden Gruppe ID. Für die IDFraktion erklärte AfD-Chef Jörg Meuthen: „Orbán ist bei uns willkommen!“Beides würde die Rechte im Europaparl­ament stärken. Die EVP bliebe aber stärkste Fraktion.

Bei den übrigen Parteien stieß die Trennung von Fidesz und den Christdemo­kraten in der EU-Volksvertr­etung auf Zustimmung. Der Grünen-Abgeordnet­e Daniel Freund sagte unserer Redaktion: „Ich erwarte, dass die EVP – und allen voran die CDU/CSU – beim Schutz des Rechtsstaa­tes in Europa nun endlich die Handbremse löst.“Der liberale Parlamenta­rier Moritz Körner sagte: „Durch den Verlust der Fidesz-Abgeordnet­en für die EVP-Fraktion steigt die Bedeutung der sozialdemo­kratischen und der liberalen Fraktionen für die Mehrheitsf­indung im Europäisch­en Parlament.“

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Foto: dpa Viktor Orbán hat das Blatt im Streit mit der EVP überreizt.

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