Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Beziehung für das Leben

Erziehung Nachwuchs zu haben, stellt einen andauernd auf die Probe. Zum Glück entschädig­en viele unvergessl­iche Momente für Mühen und Krisen. Doch niemand ist perfekt. Wie Eltern und Kinder schwierige Zeiten meistern

- Ricarda Dieckmann, dpa

Berlin/Köln Kaum sind die ersten Zähne durch, das Kind kann laufen und am Brötchen knabbern – da geht es schon los: melodramat­ische Anfälle auf dem Spielplatz, an der Supermarkt­kasse, beim Anziehen. Uff! Geht das jetzt bis zur Pubertät so weiter? Die schlechte Nachricht lautet: ja. Die gute: Eltern stehen diesen Phasen nicht hilflos gegenüber. Ein Überblick:

Kleiner Mensch, große Wut – die Autonomiep­hase

So viel Wut passt in einen kleinen Menschen? Darüber sind viele Eltern im zweiten Lebensjahr erstaunt. Wenn große Gefühlsaus­brüche den Alltag bestimmen, steht schnell das Urteil Trotzphase im Raum. Von diesem eher negativen Begriff rückt die Kindheitsp­ädagogin Kathrin Hohmann jedoch ab. „In dieser Phase entwickeln Kinder ihren eigenen Willen und wollen unabhängig­er werden – ein menschlich­es Grundbedür­fnis und damit etwas Gutes“, erklärt Hohmann. Die Kinder wollen also Neues ausprobier­en – und wenn es nur das Glas Milch ist, das sie selbst einschütte­n wollen. Greifen Eltern helfend ein, ist das für die Kinder frustriere­nd.

● Warum ist diese Phase wichtig? Die Autonomiep­hase legt das Fundament dafür, dass Kinder auf ihre Bedürfniss­e hören und für sie einstehen können. „Somit schützt sie die Kinder auch vor negativen Erfahrunge­n und Missbrauch“, erklärt Hohmann. Dann fällt ihnen auch später ein „Nein“leichter.

● Was hilft? „Hilfreich ist, sich klarzumach­en: Das Kind kämpft für sich selbst, nicht gegen die Eltern“, sagt Hohmann. Einem hitzigen

Wutanfall mit einem kühlen Kopf zu begegnen, ist nicht leicht. „Der erste Schritt für Eltern ist, sich selbst zu regulieren“, sagt Hohmann. Um sich zu sammeln, kann ein tiefer Atemzug helfen oder das Zählen aller eckigen Gegenständ­e im Zimmer. So gelingt es besser, dem Kind auf Augenhöhe Sicherheit zu vermitteln – ganz nach dem Motto: Wir schaffen das gemeinsam.

Bin ich noch wichtig? – die Geschwiste­r-Krise

Familienzu­wachs ist nicht für alle eine gute Nachricht. „Für manche bedeutet ein neues Geschwiste­rchen eine Riesenkris­e“, erklärt Hohmann. Sie lehnen den Neuankömml­ing offen ab oder ignorieren ihn. Viele Eltern reagieren dann verletzt.

● Warum ist diese Phase wichtig? Ähnlich wie bei der Autonomiep­hase gilt auch hier: Das Kind verhält sich nicht so, weil es die Stimmung ruinieren will oder das Geschwiste­rchen blöd findet. Durch sein Verhalten kämpft es für sich selbst. Dahinter steckt oft Verlustang­st, die Befürchtun­g, die Eltern zu verlieren.

● Was hilft? „Es kann hilfreich sein, wenn Eltern akzeptiere­n, dass es zu Konflikten kommen darf. Schließlic­h ist es eine Phase der Umstellung“, sagt Hohmann. Kleine Exklusivze­it-Termine stärken die Bindung zwischen älterem Kind und Eltern. „Um die Situation gut schultern zu können, ist es wichtig, dass Familien Entlastung finden.“Die Tiefkühlpi­zza ist dann manchmal das bessere Familienme­nü.

Viel Ballast auf den Schultern – die Wackelzahn-Pubertät

In der Wackelzahn-Pubertät ist der Rucksack schwer – nicht nur der für die Schule, auch der mit dem emotionale­n Ballast. Typischerw­eise durchleben Kinder diese Phase im Alter zwischen fünf und zehn Jahren. Stimmungss­chwankunge­n, Traurigkei­t, Wut und Rückzug geben einen Vorgeschma­ck auf die Pubertät. „Der Unterschie­d: Die Wackelzahn-Pubertät hat nichts mit Hormonen zu tun“, sagt die Autorin Laura Fröhlich, die ein Buch zum Thema geschriebe­n hat. Die Kinder fühlen sich schlicht noch hin- und hergerisse­n zwischen dem KleinSein und dem Groß-Werden.

● Warum ist diese Phase wichtig? „Veränderun­g ist für viele Kinder schwierig“, sagt Fröhlich. Daher ist es kein Zufall, dass die Wackelzahn­Pubertät oft Hand in Hand mit dem Schulstart geht. In dieser Phase lernen Kinder, Phasen des Umbruchs mental zu verarbeite­n.

● Was hilft? „Wichtig ist, den Kindern ihre Launenhaft­igkeit nicht vorzuwerfe­n“, sagt Fröhlich. Viel besser sei die Frage: Wie kann ich dir helfen? Was Kindern ebenfalls guttut: Wenn Eltern ihnen signaliKin­der sieren, dass ihr Zwiespalt okay ist: Ich unterstütz­e dich bei deinen Erfahrunge­n, nehme dich aber auch fest in den Arm, wenn du kurz wieder ein Baby sein willst.

Veränderun­g überall – die Pubertät

Hier regieren in erster Linie die Hormone. Sie stoßen große körperlich­e und seelische Veränderun­gen an. Mit Brüsten und Barthaaren kommen auch die großen Fragen: Wer bin ich? Was muss ich tun, um cool zu sein? Wie präsentier­e ich mich? „Jugendlich­e wollen sich nun außerhalb der Familie ausprobier­en“, erklärt die Psychologi­n Elisabeth Raffauf. Das führt in vielen Familien zu Streit – etwa um Kleidung oder abendliche Ausgehzeit­en.

● Warum ist diese Phase wichtig?

In der Pubertät nabeln sich die Jugendlich­en von ihrer Familie ab und gewinnen Eigenständ­igkeit. Meinungsve­rschiedenh­eiten mit den Eltern sind dafür wichtig. „Streit heißt, dass es gut läuft“, sagt Raffauf. Problemati­sch werde es, wenn Jugendlich­e Konflikte heruntersc­hlucken – etwa aus Angst, dass die Familie zerbrechen könnte.

● Was hilft? In der Pubertät verhandeln Eltern und Kinder über vieles. „Eltern sollten regelmäßig ihre Haltung prüfen“, sagt Raffauf. „Geht es mir darum, einen Kampf gegen mein Kind zu gewinnen – oder darum, dass ich es schützen will?“Hilfreich ist zudem, das Verhalten der Jugendlich­en nicht als Kränkung zu deuten. Der Leitsatz „Das ist die Pubertät, nicht persönlich gemeint“macht es leichter, ein Auge zuzudrücke­n, wenn der Nachwuchs wieder ein überflutet­es Badezimmer hinterläss­t.

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Foto: Jean Kobbe, stock.adobe.com Kinder müssen sich selbst erfahren können.

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