Augsburger Allgemeine (Land West)
Dem Wolf auf der Spur
Natur In Bayern sind immer mehr Wölfe unterwegs, zuletzt auch verstärkt im Großraum Augsburg. Welche Fälle es gab, wie Experten mehr über die Raubtiere herausfinden wollen und warum das nicht immer einfach ist
Augsburg Als eine Spaziergängerin im Dezember auf einer Wiese ein totes Reh mit aufgerissenem Bauch entdeckt, verbreitet sich die Nachricht, es könnte ein Wolf durch die Gegend streichen, wie ein Lauffeuer im beschaulichen Horgau im Landkreis Augsburg. Schon seit mehreren Jahren – seit es immer mehr Wölfe in Bayern gibt – kochen die Emotionen regelmäßig hoch. Und die Frage, die es dann zuerst zu klären gilt, ist die: War es wirklich ein Wolf?
Das Ergebnis im Fall Horgau: Es war mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich ein Wolf. Das teilt die Gemeinde Anfang Februar mit. Die Informationen über das Ergebnis einer DNA-Untersuchung stammen von einer Jagdpächterin – das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) indes war nicht in die Begutachtung eingebunden, die Meldung von Wolfshinweisen ist schließlich nicht verpflichtend. Aus Expertenkreisen ist aber auch immer wieder zu hören, dass das Vertrauen zwischen Jägern und LfU nicht allzu groß sei und dass deswegen vielleicht nur ein Bruchteil der Fälle – der aber dennoch repräsentativ sei – offiziell dokumentiert ist.
Die Verwendung des Wortes „Wahrscheinlichkeit“– wie das in Horgau der Fall ist – zeigt, dass es nicht immer leicht ist, Gewissheit zu bekommen. Manchmal reichten die Spuren nicht aus, um genügend genetisches Material zu bekommen, etwa aus einer Kot- oder Haarprobe oder Speichelresten, sagt der Wolfsexperte Andreas von Lindeiner, Landesfachbeauftragter für Naturschutz beim Bayerischen Landesbund für Vogelschutz und Mitglied in der Arbeitsgruppe „Große Beutegreifer“. Nicht immer seien die Spuren auch eindeutig einem Wolf zuzuordnen, fährt er fort. Als sichere sogenannte C1-Nachweise gelten neben DNA–Proben unter anderem auch Fotos oder tot aufgefundene Wölfe.
Auch rund 40 Kilometer von Horgau entfernt war vor kurzem ein Wolf unterwegs. Mitte Januar informierten Spaziergänger bei Eurasburg im Landkreis Aichach-Friedberg die Jagdpächter über ein totes
Reh im Wald. Direkt an der Landkreisgrenze nördlich der Staatsstraße zwischen Odelzhausen und Freienried fanden sie das Tier. Die Jäger vermuteten wegen der Verletzungen einen Wolfsriss. Aus der Vermutung wurde Klarheit. Ein Gentest durch das „Netzwerk Große Beutegreifer“belegt, dass ein Wolf die tödliche Wunde in den Nacken des Rehs bei Eurasburg riss.
Bereits vor dem Fund hatten die Eurasburger Jäger den Verdacht, dass ein Wolf durch das Revier schleicht. Die vielen kleinen Hinweise fügen sich im Nachhinein wie ein Puzzle zusammen. Ein Jäger berichtete von einem schreienden Reh, das gerade von einem Raubtier angegriffen wurde, ein anderer entdeckte Spuren im Schnee. Ob in Horgau das gleiche Tier wie in Eurasburg jagte, ist nicht bekannt.
In den vergangenen Monaten gab es mehrere Fälle, die für Aufmerksamkeit sorgten. Der aktuellste: In einem Wildgehege im Landkreis Bayreuth wurden 18 Tiere gerissen. Die Spuren deuteten auf einen Wolf hin, teilte das LfU am Mittwoch mit. Auch in unserer Region taucht das Raubtier immer wieder auf. Anfang Januar etwa wurde im Landkreis Landsberg ein toter Wolf gefunden, das Tier war überfahren worden. Im vergangenen Frühling war auch im Landkreis Neu-Ulm ein Wolf bei einem Verkehrsunfall getötet worden. „In der Regel handelt es sich um durchziehende Wölfe. Auf der Suche nach einem geeigneten Territorium können gerade junge Rüden sehr weite Strecken wandern und können so jederzeit überall in Bayern auftauchen“, erklärt ein LfU-Sprecher.
Oft verliert sich die Spur der durchziehenden Tiere. Manchmal aber lässt sie sich auch weiterverfolgen. Im vergangenen Juli etwa hatte ein Wolf in Igenhausen im Landkreis Aichach-Friedberg sieben Schafe gerissen – zwei Wochen später tötete er acht Schafe im Bregenzerwald, wie ein Gentest belegt. Und möglicherweise könnte dieser Wolf auch im Ostallgäu unterwegs gewesen sein. Ob das Tier mit der Bezeichnung „GW1666m“dort tatsächlich drei Schafe gerissen hat, das lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit bestätigen. Für das LfU ist es aber „wahrscheinlich“. Die Qualität der Genprobe sei aber für eine Individualisierung nicht ausreichend.
Auch wenn sich oft nicht genau sagen lässt, welcher Wolf denn nun wo auftaucht – eines ist mittlerweile gewiss: Das Raubtier verbreitet sich immer mehr. „Beobachtungen von Wildtierrissen haben 2020 zugenommen“, sagt der LfU-Sprecher.
Wolfsexperte von Lindeiner ergänzt: „In Bayern gab es 2020 circa 40 belegte Nachweise.“
Seit 2006 gibt es wieder Wölfe in Bayern, nachdem sie mehr als ein Jahrhundert lang verschwunden waren. Vor einigen Monaten sind auch die Allgäuer Alpen in die Liste der Regionen mit standorttreuen Wölfen aufgenommen worden. Vier Genanalysen von Januar bis Mai 2020 hätten eindeutig den männlichen Wolf identifiziert, der bereits 2018 beidseits der Grenze nachgewiesen werden konnte, eine weitere vom Juni 2020 könne ihm wahrscheinlich zugeordnet werden, heißt es beim LfU.
Spaziergänger müssen sich vor dem Wolf übrigens nicht fürchten. Der Revierleiter der Bayerischen Staatsforsten Eurasburg, Nico Bonanni, sagt: „Der Wolf ist scheuer als ein Reh. Wer einen sieht, kann sich freuen, denn das ist wirklich selten. Angst muss man auf jeden Fall keine haben.“Der Wolf sei von Natur aus vorsichtig und weiche dem Menschen aus, erklärt auch das LfU. Seit der Rückkehr der Wölfe nach Deutschland im Jahr 1996 habe es keinen Angriff auf Menschen gegeben.
„Die Gefahr für den Menschen durch den Wolf ist gleich null“, sagt auch Willi Reinbold. Er ist der Wolfsbeauftragte für Bayern beim Landesbund für Vogelschutz und Ansprechpartner für Wolfsbotschafter. Der Wolf und dessen Rückkehr polarisiere die Gesellschaft. „Jeder Mensch hat über den Wolf eine bestimmte Meinung“, erklärt Reinbold. Er persönlich stehe der Rückkehr der Wölfe neutral gegenüber. Aus seinen Studien weiß er jedoch, dass das Ökosystem durch den Wolf wieder fitter werde.
Förster Bonanni vermutet, dass der Wolf nicht lange im Eurasburger Forst bleiben wird. „Der Wolf braucht große zusammenhängende Wälder, die wir hier nicht haben. Die Westlichen Wälder wären geeigneter“, sagt Bonanni. Reinbold hingegen betont die enorme Anpassungsfähigkeit des Raubtiers.
Gewissheit gibt es erst in einem halben Jahr. Dazu müssten die DNA-Spuren mit künftigen verglichen werden. Vielleicht gibt es dann eine Antwort auf die Frage, ob der Wolf immer noch da ist.