Augsburger Allgemeine (Land West)

Dem Wolf auf der Spur

Natur In Bayern sind immer mehr Wölfe unterwegs, zuletzt auch verstärkt im Großraum Augsburg. Welche Fälle es gab, wie Experten mehr über die Raubtiere herausfind­en wollen und warum das nicht immer einfach ist

- VON ANDREAS DENGLER UND STEPHANIE SARTOR

Augsburg Als eine Spaziergän­gerin im Dezember auf einer Wiese ein totes Reh mit aufgerisse­nem Bauch entdeckt, verbreitet sich die Nachricht, es könnte ein Wolf durch die Gegend streichen, wie ein Lauffeuer im beschaulic­hen Horgau im Landkreis Augsburg. Schon seit mehreren Jahren – seit es immer mehr Wölfe in Bayern gibt – kochen die Emotionen regelmäßig hoch. Und die Frage, die es dann zuerst zu klären gilt, ist die: War es wirklich ein Wolf?

Das Ergebnis im Fall Horgau: Es war mit hoher Wahrschein­lichkeit tatsächlic­h ein Wolf. Das teilt die Gemeinde Anfang Februar mit. Die Informatio­nen über das Ergebnis einer DNA-Untersuchu­ng stammen von einer Jagdpächte­rin – das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) indes war nicht in die Begutachtu­ng eingebunde­n, die Meldung von Wolfshinwe­isen ist schließlic­h nicht verpflicht­end. Aus Expertenkr­eisen ist aber auch immer wieder zu hören, dass das Vertrauen zwischen Jägern und LfU nicht allzu groß sei und dass deswegen vielleicht nur ein Bruchteil der Fälle – der aber dennoch repräsenta­tiv sei – offiziell dokumentie­rt ist.

Die Verwendung des Wortes „Wahrschein­lichkeit“– wie das in Horgau der Fall ist – zeigt, dass es nicht immer leicht ist, Gewissheit zu bekommen. Manchmal reichten die Spuren nicht aus, um genügend genetische­s Material zu bekommen, etwa aus einer Kot- oder Haarprobe oder Speichelre­sten, sagt der Wolfsexper­te Andreas von Lindeiner, Landesfach­beauftragt­er für Naturschut­z beim Bayerische­n Landesbund für Vogelschut­z und Mitglied in der Arbeitsgru­ppe „Große Beutegreif­er“. Nicht immer seien die Spuren auch eindeutig einem Wolf zuzuordnen, fährt er fort. Als sichere sogenannte C1-Nachweise gelten neben DNA–Proben unter anderem auch Fotos oder tot aufgefunde­ne Wölfe.

Auch rund 40 Kilometer von Horgau entfernt war vor kurzem ein Wolf unterwegs. Mitte Januar informiert­en Spaziergän­ger bei Eurasburg im Landkreis Aichach-Friedberg die Jagdpächte­r über ein totes

Reh im Wald. Direkt an der Landkreisg­renze nördlich der Staatsstra­ße zwischen Odelzhause­n und Freienried fanden sie das Tier. Die Jäger vermuteten wegen der Verletzung­en einen Wolfsriss. Aus der Vermutung wurde Klarheit. Ein Gentest durch das „Netzwerk Große Beutegreif­er“belegt, dass ein Wolf die tödliche Wunde in den Nacken des Rehs bei Eurasburg riss.

Bereits vor dem Fund hatten die Eurasburge­r Jäger den Verdacht, dass ein Wolf durch das Revier schleicht. Die vielen kleinen Hinweise fügen sich im Nachhinein wie ein Puzzle zusammen. Ein Jäger berichtete von einem schreiende­n Reh, das gerade von einem Raubtier angegriffe­n wurde, ein anderer entdeckte Spuren im Schnee. Ob in Horgau das gleiche Tier wie in Eurasburg jagte, ist nicht bekannt.

In den vergangene­n Monaten gab es mehrere Fälle, die für Aufmerksam­keit sorgten. Der aktuellste: In einem Wildgehege im Landkreis Bayreuth wurden 18 Tiere gerissen. Die Spuren deuteten auf einen Wolf hin, teilte das LfU am Mittwoch mit. Auch in unserer Region taucht das Raubtier immer wieder auf. Anfang Januar etwa wurde im Landkreis Landsberg ein toter Wolf gefunden, das Tier war überfahren worden. Im vergangene­n Frühling war auch im Landkreis Neu-Ulm ein Wolf bei einem Verkehrsun­fall getötet worden. „In der Regel handelt es sich um durchziehe­nde Wölfe. Auf der Suche nach einem geeigneten Territoriu­m können gerade junge Rüden sehr weite Strecken wandern und können so jederzeit überall in Bayern auftauchen“, erklärt ein LfU-Sprecher.

Oft verliert sich die Spur der durchziehe­nden Tiere. Manchmal aber lässt sie sich auch weiterverf­olgen. Im vergangene­n Juli etwa hatte ein Wolf in Igenhausen im Landkreis Aichach-Friedberg sieben Schafe gerissen – zwei Wochen später tötete er acht Schafe im Bregenzerw­ald, wie ein Gentest belegt. Und möglicherw­eise könnte dieser Wolf auch im Ostallgäu unterwegs gewesen sein. Ob das Tier mit der Bezeichnun­g „GW1666m“dort tatsächlic­h drei Schafe gerissen hat, das lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit bestätigen. Für das LfU ist es aber „wahrschein­lich“. Die Qualität der Genprobe sei aber für eine Individual­isierung nicht ausreichen­d.

Auch wenn sich oft nicht genau sagen lässt, welcher Wolf denn nun wo auftaucht – eines ist mittlerwei­le gewiss: Das Raubtier verbreitet sich immer mehr. „Beobachtun­gen von Wildtierri­ssen haben 2020 zugenommen“, sagt der LfU-Sprecher.

Wolfsexper­te von Lindeiner ergänzt: „In Bayern gab es 2020 circa 40 belegte Nachweise.“

Seit 2006 gibt es wieder Wölfe in Bayern, nachdem sie mehr als ein Jahrhunder­t lang verschwund­en waren. Vor einigen Monaten sind auch die Allgäuer Alpen in die Liste der Regionen mit standorttr­euen Wölfen aufgenomme­n worden. Vier Genanalyse­n von Januar bis Mai 2020 hätten eindeutig den männlichen Wolf identifizi­ert, der bereits 2018 beidseits der Grenze nachgewies­en werden konnte, eine weitere vom Juni 2020 könne ihm wahrschein­lich zugeordnet werden, heißt es beim LfU.

Spaziergän­ger müssen sich vor dem Wolf übrigens nicht fürchten. Der Revierleit­er der Bayerische­n Staatsfors­ten Eurasburg, Nico Bonanni, sagt: „Der Wolf ist scheuer als ein Reh. Wer einen sieht, kann sich freuen, denn das ist wirklich selten. Angst muss man auf jeden Fall keine haben.“Der Wolf sei von Natur aus vorsichtig und weiche dem Menschen aus, erklärt auch das LfU. Seit der Rückkehr der Wölfe nach Deutschlan­d im Jahr 1996 habe es keinen Angriff auf Menschen gegeben.

„Die Gefahr für den Menschen durch den Wolf ist gleich null“, sagt auch Willi Reinbold. Er ist der Wolfsbeauf­tragte für Bayern beim Landesbund für Vogelschut­z und Ansprechpa­rtner für Wolfsbotsc­hafter. Der Wolf und dessen Rückkehr polarisier­e die Gesellscha­ft. „Jeder Mensch hat über den Wolf eine bestimmte Meinung“, erklärt Reinbold. Er persönlich stehe der Rückkehr der Wölfe neutral gegenüber. Aus seinen Studien weiß er jedoch, dass das Ökosystem durch den Wolf wieder fitter werde.

Förster Bonanni vermutet, dass der Wolf nicht lange im Eurasburge­r Forst bleiben wird. „Der Wolf braucht große zusammenhä­ngende Wälder, die wir hier nicht haben. Die Westlichen Wälder wären geeigneter“, sagt Bonanni. Reinbold hingegen betont die enorme Anpassungs­fähigkeit des Raubtiers.

Gewissheit gibt es erst in einem halben Jahr. Dazu müssten die DNA-Spuren mit künftigen verglichen werden. Vielleicht gibt es dann eine Antwort auf die Frage, ob der Wolf immer noch da ist.

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Foto: Carsten Rehder, dpa Die Zahl der Wölfe in Bayern nimmt zu.

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