Augsburger Allgemeine (Land West)
„Ice Cream“mit Posaune
Der Jazzmusiker Chris Barber ist tot
London Häufiger als in seiner Heimat Großbritannien spielte Chris Barber in Deutschland. Selbst im hohen Alter gab der Posaunist mit seiner Band noch 100 Konzerte im Jahr und unterhielt sein Publikum mit Hits wie „Ice Cream“, „Petite Fleur“oder „Wild Cat Blues“. Zeit seines Lebens blieb er dem frühen New-Orleans-Jazz treu.
Nur dem Zufall hatte der 1930 in London geborene Barber es zu verdanken, dass er, der zunächst Geige spielte, schließlich Bläser wurde. Ein Posaunist bot ihm ein Instrument an, und Barber hatte gerade genügend Geld in der Tasche. Er fand rasch Gefallen an dem Instrument, gründete mit 19 seine erste Jazzband und studierte schließlich an der renommierten Guildhall Music School. „Improvisation ist Teil der Musik, aber man muss trotzdem die richtigen Noten spielen“, war das Credo des klassisch ausgebildeten Musikers.
Bereits in den 50er Jahren war Barbers Band in Großbritannien so bekannt wie die Beatles im darauf folgenden Jahrzehnt. Seine Version von Sidney Bechets „Petite Fleur“wurde ein Hit, der sich allein im Vereinigten Königreich über eine Million Mal verkaufte. Bereits sein Debütalbum „New Orleans Joys“(1954) hatte das Skiffle-Stück „Rock Island Line“enthalten, das dem Sänger Lonnie Donegan zu einer Solo-Karriere verhelfen und Barbers Band in den USA bekannt machen sollte.
Von dort brachte Barber viele afroamerikanische Blues-Legenden nach Großbritannien. Neben Muddy
Waters traten auch Louis Jordan, Sonny Boy Williamson und die Gospelsängerin Sister Rosetta Tharpe mit Barber auf. E-Gitarren waren damals in Jazzclubs als „Rock ’n’ Roll“verpönt – doch Barber verhalf über Muddy Waters der E-Gitarre zum Einzug in die britische Rhythm-and-Blues-Szene.
Das brachte den traditionellen Jazz bald ins Hintertreffen. Der – Posaunist und seine Band verloren an Popularität, wurden dafür aber im europäischen Ausland umso bekannter – vor allem in Deutschland, wo sie die meisten Konzerte spielten, viele davon auch in unserer Region. Der Bandleader lernte sogar Deutsch. „Ich habe mich mit Deutsch nicht wirklich angestrengt, bis wir dort auf Tournee waren“, gestand Barber einmal. Dabei half ihm der deutsche Service der BBC, ein Relikt aus den Nachkriegsjahren.
1958 eröffnete er zusammen mit einem Geschäftspartner den legendären Londoner Marquee Club, in dem viele künftige Rockstars auftraten, darunter die Yardbirds und die Rolling Stones. An einer Jubiläumsplatte von 2011 beteiligten sich denn auch Größen wie Eric Clapton, Van Morrison und Mark Knopfler. Erst nach einem bösen Sturz zog sich der Jazz-Veteran schließlich 2019 ins Privatleben zurück. Am Dienstag ist Chris Barber im Alter von 90 Jahren gestorben. Uli Hesse, dpa; AZ