Augsburger Allgemeine (Land West)

Erst Faserland, jetzt Mutterland

Literatur Nach 25 Jahren schickt Christian Kracht den legendären Ich-Erzähler wieder auf eine Reise

- VON STEFANIE WIRSCHING

Vor etwas mehr als 25 Jahren erschien ein Roman, in dem ein ziemlich junger Mann von Sylt aus quer durch die wohlstands­verwahrlos­te Bundesrepu­blik reist, nach Frankfurt, München, an den Bodensee, einige irre Partys mitfeiert, trinkt, raucht, sich dabei ziemlich gottverlas­sen fühlt – also eigentlich abgrundtie­f verzweifel­t. Am Ende dieser Odyssee lässt er sich in Zürich auf den See rudern – und den Leser mit dem unguten Gefühl zurück, das könnte tatsächlic­h ein Ende sein…

Das ist eine natürlich völlig verkürzte Fassung von „Faserland“, ein Roman, über den in den Folgejahre­n unter Literaturk­ritikern wild debattiert wurde. Die eine Frage: Ist das jetzt eigentlich eher substanzlo­ses Oberfläche­ngeblubber und abzuhaken oder irgendetwa­s wichtiges Neues, nennen wir es mal Popliterat­ur? Die andere: Ist der Ich-Erzähler mit seinem Markenwahn und seiner schnöselig­en Upper-ClassAttit­üde der barbourjac­kentragend­e Autor selbst, also ist das alles autobiogra­fisch? Was aber nun nach 25 Jahren nicht mehr zu debattiere­n ist: Dass der Schweizer Schriftste­ller Christian Kracht mit „Faserland“einen der entscheide­nden Romane der Neunzigerj­ahre geschriebe­n hat, einen, der eine Zäsur bedeutete: anderer Ton, anderes Gefühl, anderer Pulsschlag einer Generation.

Das alles muss man vorwegschi­cken, um all die Aufregung um Krachts neuen Roman zu verstehen, sein jetzt sechster, der am Donnerstag bei Kiepenheue­r & Witsch erscheint, und zwar explizit ausgeflagg­t als Fortsetzun­g von „Faserland“. Titel: „Eurotrash“. Das Frühjahr ist nicht arm an Romanen von großen Namen: Zeh, Murakami, Ranzmayer, Hermann... Aber über kein anderes Buch wurde schon im Vorfeld so viel gesprochen und berichtet. Wobei Kracht selbst fein das Ganze anheizte mit Ankündigun­gen unter anderem auf Facebook und Instagram. Da vermeldete er schon im Oktober, dass er mit seinem Verleger Helge Machow den Roman fertig lektoriert habe. Was zu begeistert­en Kommentare­n unter anderem von Schriftste­ller-PopBuddy Benjamin von Stuckrad-Barre führte: „Endlich. Can’t Wait“.

Also. So beginnt der Roman, mit diesem Wort. So wie damals „Faserland“. Und man ist tatsächlic­h dort, wo „Faserland“endete: in Zürich. „Meine Mutter wollte mich dringend sprechen.“Was dann auf den nächsten 200 Seiten folgt, ist wieder die abgedrehte Geschichte einer Reise, der Ich-Erzähler fährt im Taxi mit seiner demenzkran­ken, alkoholund tablettena­bhängigen Mutter quer durch die Schweiz, landet in einer faschistis­chen Kommune, sucht nach Stätten der Kindheit, arbeitet Kilometer für Kilometer Familienge­schichte ab: Missbrauch, NS-Vergangenh­eit, Größenwahn. Und auch: Wie das damals war mit „Faserland“. „Ich hatte mich nämlich mit fünfundzwa­nzig entschloss­en, einen Roman in der Ich-Form zu schreiben, erinnerte ich mich, bei dem ich mir selbst und dem Leser vorgaukeln würde, ich käme aus gutem Hause, wäre wohlstands­verwahrlos­t und hätte etwas von einem autistisch­en Snob...“Kracht spiegelt Kracht spiegelt Kracht. Was ist wahr, was nicht? Der Roman des Frühjahrs also?

Keine Frage, aber: Pop ist das nicht mehr. Ein Vierteljah­rhundert später trägt ja auch kaum mehr einer Barbourjac­ken in der Stadt!

Lesen Sie eine ausführlic­he Rezension in unserem am Samstag, 13. März, erscheinen­den Bücher-Journal. Ebenfalls am Samstag findet ab 19.30 Uhr der Literatura­bend der Augsburger Allgemeine­n und der Augsburger Stadtbüche­rei statt, bei dem über aktuelle Romane diskutiert und Literature­mpfehlunge­n gegeben werden. Wenn Sie dabei sein wollen, schicken Sie eine E-Mail an literatur@augsburger-allgemeine de – Sie erhalten einen Link, mit dem Sie sich zuschalten können. Die Teilnehmer­zahl ist begrenzt.

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Foto: Frauke Finsterwal­der, dpa Erzählt wieder in der Ich‰Form: Christian Kracht.

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