Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein historisch­er Tag

Skispringe­n Maren Lundby gewinnt den ersten Frauen-Wettbewerb von der Großschanz­e bei einer WM. Es ist ein ganz spezieller Tag für die Norwegerin, nicht nur wegen des Erfolgs. Althaus belegt nur Rang zwölf

- VON MARCO SCHEINHOF

Oberstdorf Maren Lundy war lange Zeit im Ungewissen. Nicht nach ihren Sprüngen auf 128 und 130,5 Meter. Die waren beide nahezu perfekt und hatten den WM-Titel von der Großschanz­e als logische Folge. An einem für das Frauenskis­pringen historisch­en Tag – es war der erste Wettkampf von der Großschanz­e bei einer Weltmeiste­rschaft – erlebte die Norwegerin allerdings ein Gefühlscha­os. Ihr Teamkolleg­e Halvor Egner Granerud war positiv auf das Coronaviru­s getestet worden, was für das gesamte norwegisch­e Team Folgen hatte. „Das war ein Auf und Ab. Lange Zeit war es nicht sicher, ob wir überhaupt springen können“, erzählte Lundby nach ihrem Gold-Coup. Alle Norwegerin­nen hatten auf ihren Zimmern bleiben müssen, eine normale Vorbereitu­ng auf das Springen am Abend war nicht möglich. Erst als alle Tests negative Ergebnisse zeigten, wussten sie, dass sie springen dürfen.

Umso erstaunlic­her ist die Leistung von Lundby. Sie blieb ruhig, ließ sich auch von weiten Sprüngen im zweiten Durchgang nicht irritieren. Ihre Konkurrent­innen, allen voran die Japanerin Sara Takanashi und die Slowenin Ema Klinec, legten mächtig vor. Die Jury reagierte und verkürzte den Anlauf beinahe von Springerin zu Springerin. Lundby aber brachte auch das nicht aus der Ruhe. Sie segelte unbeirrt durch die Oberstdorf­er Nacht. Silber holte sich mit Sprüngen auf 126 und 134 Meter Takanashi, die zwar schon 60 Weltcup-Siege geholt hat, aber auf den Titel bei einem Großereign­is noch immer warten muss. Platz drei ging mit Weiten von 126 und 129 Metern an die WeltcupFüh­rende Nika Kriznar.

Die deutschen Springerin­nen hatten mit der Medaillenv­ergabe nichts zu tun. Juliane Seyfarth wurde auf

zehn beste Deutsche, dicht gefolgt von Katharina Althaus auf Rang zwölf. Anna Rupprecht landete auf Rang 15, Luisa Görlich auf Platz 19. An der fehlenden Ruhe hat zumindest bei Althaus nicht gelegen. Sie hatte alles getan, um ihre Konzentrat­ion bestmöglic­h zu sammeln. Als ihre Kolleginne­n am Dienstag beim Training von der Großschanz­e flogen, saß sie im Teambereic­h neben der Schanze und begann zu stricken. Als am Mittwoch kurz vor dem Wettkampf der letzte Probesprun­g anstand, ließ ihn Althaus erneut aus. Sie zog sich zum Meditieren zurück. Sie hatte versucht, sich weitgehend dem Druck auf der Heimschanz­e zu entziehen. Gebracht hat es wenig. Rang zwölf ist für sie eine Enttäuschu­ng. habe heute leider keine guten Sprünge gezeigt, ich war zweimal zu spät dran“, sagte sie nach dem Springen. Immerhin durfte sie sich darüber freuen, dass sie Teil eines historisch­en Wettbewerb­s war. „Das war ein wichtiger Wettkampf für das Frauenspri­ngen“, sagte Althaus. Und Rupprecht meinte: „Was die Mädels hier hinten raus machen: Großes Kino. Finde ich total toll, wie sie unseren Sport in Szene setzen.“Sie hoffe, „dass die Leute draußen sehen, dass hier echt gutes Niveau herrscht und dass sie uns nicht mehr so belächeln“.

Zum Lächeln war auch Althaus lange Zeit nicht zumute. Nach dem ersten Durchgang, der sie auf lediglich 113,5 Meter getragen hatte, war die 24-Jährige schnell aus dem InPlatz nenraum verschwund­en. Kurz saß sie noch auf einer Bank, zog sich die Startnumme­r über den Kopf und blickte flüchtig auf den Bildschirm mit den Ergebnisse­n. Was sie da sah, hatte ihr nicht gefallen. Also Skier auf die Schulter und wieder rauf in Richtung Schanze. Ein Durchgang war ihr noch geblieben bei den Titelkämpf­en in Oberstdorf. Ein Durchgang, um sich zumindest mit einem guten Gefühl von der WM im Allgäu zu verabschie­den. 121 Meter legte sie nach. Wirklich zufrieden war sie damit auch nicht.

In der Qualifikat­ion war Althaus noch auf Platz vier gesprungen. „Dadurch haben wir uns mehr erwartet“, sagte Bundestrai­ner Andreas Bauer. Aber auch er musste erkennen, dass Althaus „keine per„Ich fekten Sprünge hatte. Wir haben das Timing nicht in den Griff bekommen“. Althaus war bei vielen Sprüngen in Oberstdorf beim Absprung zu spät dran. Immerhin durfte sie mit dem deutschen Mixed-Team die Goldmedail­le feiern. Bei den Einzelwett­bewerben und dem Teamwettbe­werb aber hatte sich die Oberstdorf­erin wohl mehr ausgerechn­et. Auch Bundestrai­ner Andreas Bauer war nicht zufrieden. Zwei zehnte Plätze in den Einzelwett­bewerben stehen als beste Ergebnisse für die deutschen Frauen. „Das ist nicht unser Anspruch. Da müssen wir uns steigern“, sagte Bauer. Wie das geht, hat Maren Lundby gezeigt. Trotz aller Ungewisshe­iten, die ihr der turbulente Tag beschert hatte.

 ?? Foto: Benedikt Siegert ?? Ein turbulente­r Tag geht mit einem Erfolg zu Ende: Maren Lundby (Mitte) kann offenbar selbst nicht glauben, dass sie Gold gewonnen hat.
Foto: Benedikt Siegert Ein turbulente­r Tag geht mit einem Erfolg zu Ende: Maren Lundby (Mitte) kann offenbar selbst nicht glauben, dass sie Gold gewonnen hat.

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