Augsburger Allgemeine (Land West)

Auf der Suche nach dem perfekten Klang

Musik Stradivari­s zählen zu den besten Geigen der Welt, Dominik Hufnagl aus Markt Wald baut sie nach. Holz aus Bosnien sorgt dabei für manche Überraschu­ng

- VON OLIVER WOLFF

Markt Wald Bis jetzt ist noch kein Granatensp­litter zum Vorschein gekommen, Glück gehabt. Dominik Hufnagl lässt einen Miniatur-Hobel langsam über das Holzbrett aus bosnischem Ahorn gleiten. Es soll einmal den Boden einer Violine bilden. Das unscheinba­re Werkzeug sieht aus wie eine kleine Gürtelschn­alle, in der eine Klinge eingespann­t ist. Es fallen schmale Späne, so dünn, dass man hindurchse­hen kann. Mit den Fingern tastet Hufnagl die eben bearbeitet­e Stelle ab, schließt dabei seine Augen und fühlt die Rundung. „Nein, das reicht noch nicht“, sagt der 50-jährige Geigenbaue­r. Er blickt auf, greift zur Lampe über seiner Werkbank, positionie­rt sie neu und setzt den Hobel am Holzbrett ein weiteres Mal an.

Jede Bewegung, die Hufnagl zu viel macht, hat negative Auswirkung­en. „Meine Vorbilder sind die Italiener Stradivari, Amati und Guarneri“, sagt Hufnagl und zeigt auf einen mehrere Hundert Seiten dicken Bildband. Darin sind die Bauweisen und Mensuren der alten Geigenbauk­unst aus Cremona erklärt. Besonders die zierlichen Formen der norditalie­nischen Meistergei­gen haben es Hufnagl angetan.

Der 50-Jährige hat die Maße im Kopf. Für ihn macht vor allem eines seinen Beruf aus: das richtige Gespür. „Ich beschäftig­e mich mit vieStilric­htungen und finde oft Details, die mir nicht zusagen.“

Seit 18 Jahren tüftelt der Geigenbaum­eister in seiner Werkstatt in Markt Wald am perfekten Klang. Ein schwierige­s Unterfange­n, denn neu gebaute Streichins­trumente sind kaum zu vergleiche­n mit jahrelang gespielten. Zwar hat jeder Neubau bereits zu Beginn seinen eigenen Klangchara­kter, doch dieser wird erst mit regelmäßig­em Spielen ausgeprägt – und kann nur damit auf Dauer erhalten werden. „Holz ist ein lebendiger Werkstoff, eine Stradivari ist im Tresor nach zwei Jahren tot.“

Aus statischen Gründen werden für die Instrument­e zwei unterschie­dliche Hölzer verwendet: Der Geigenbaue­r zeigt ein unbearbeit­etes, etwa zweieinhal­b Zentimeter dickes Fichtenhol­zbrett. Aus diesem wird die gewölbte Korpusdeck­e gefertigt. Die Jahresring­e sollen eng beieinande­r liegen, daher wird Holz aus dem Hochgebirg­e verwendet. Das wächst langsamer.

Für den Boden nimmt Hufnagl Ahornholz aus Bosnien, der Schweiz und dem Kaukasus, von Bäumen, die bis zu 300 Jahre alt werden. Diese haben die beste Qualität, sagt Hufnagl. „Es sind am wenigsten Fehler drin.“Mit Fehlern meint der Geigenbaue­r Äste, Harzgallen oder unregelmäß­ige Jahresring­e.

Dennoch: Ein Brett ohne äußerliche­n Makel ist keine Garantie. „Schon ein paar Mal habe ich beim

Hobeln plötzlich Splitter von Kriegswaff­en gefunden.“Das Holz hat eben Geschichte.

Die Klanghölze­r bezieht Hufnagl von einem Tonholzhän­dler. Mindestens 15 Jahre müssen sie getrocknet sein, ehe aus ihnen eine Violine entsteht. Bis zu 700 Euro kostet ein solches Brett. „Grobe Schnitzer darf ich mir nicht erlauben“, witzelt Hufnagl. Die Reinheit des Holzes und seine Maserung sind vor allem für die Optik wichtig. Eine Geige muss nicht nur gut klingen, sie soll auch schön aussehen.

Wenn die vier Saiten gespannt sind, entstehen Zugkräfte von bis zu 30 Kilogramm. Viel Druck, dem die teilweise nur millimeter­dünnen

Holzbautei­le standhalte­n müssen. Ein paarmal im Laufe eines Instrument­enlebens können Decke oder Boden Risse bekommen. Oder die Verleimung der Zarge, damit ist das Holzband zwischen Decke und Boden gemeint, löst sich und schließt nicht mehr ab. Dann knarrt und scheppert es beim Spielen.

Für Hufnagl sind das Klassiker bei Reparature­n: „Risse entstehen, wenn die Geige zu feucht oder zu trocken gelagert wurde. Das Holz arbeilen tet.“Hufnagl öffnet in diesem Fall die Geige mit einem scharfen Messer und verleimt sie neu. Wie ein Schreiner seine Möbel fixiert er die Violine mit feinen Schraubzwi­ngen.

Schülerins­trumente baut der Geigenbaue­r aus teilweise vorgeferti­gten Rohlingen und optimiert sie. Meisterins­trumente dagegen sind komplett selbst gebaut. Von der Schnecke, also dem geschwunge­nen oberen Ende einer Geige, bis zum Steg, über dem die Saiten gespannt werden. 40Violinen und Bratschen hat der Markt Walder bisher gebaut. Aber Routine sei nie eingekehrt, sagt er. „Jedes Holz ist anders, jede Violine ist ein Einzelstüc­k.“Mindestens 200 Stunden dauert es, bis eine Violine zum ersten Mal gespielt werden kann.

Die Arbeit hat ihren Preis: Eine Meistergei­ge kostet ab 16.000 Euro. Auf Kundenwuns­ch arbeitet Hufnagl individuel­le optische Merkmale ein, zum Beispiel Verzierung­en. Oder akustische Merkmale: „Der eine will seine Geige lauter, andere wollen sie süßlicher im Klang oder handlicher beim Greifen haben.“

Kleinste Nuancen können den Sound beeinfluss­en, Klangeinst­ellung nennt der Fachmann das. Dabei bewegt Hufnagl mit einem Werkzeug, das wie Operations­besteck aussieht, über die ff-Löcher minimal den Stimmstock. Der Stimmstock, in Italienisc­h übersetzt „Seele“genannt, ist ein Holzstift, der zwischen Boden und

Decke im Inneren eingepasst ist und Schwingung­en überträgt. Manchmal testen Musiker das Instrument ein paar Wochen und kommen wieder zu Hufnagl. „Wir probieren so lange, bis es passt.“Auch die Wahl der Saiten sei entscheide­nd. Die teuersten müssen nicht unbedingt die besten sein, sagt Hufnagl.

Selbst spielt der Geigenbaue­r nicht auf seinen Violinen. „Mein Instrument ist der Kontrabass.“Das Handwerk des Geigenbaue­rs habe ihn seit dem Jugendalte­r fasziniert. Es ist ein Beruf mit allen Sinnen. Wer kann schon seine Arbeit ansehen und gleichzeit­ig anhören?

Kollege Dirk Metzger, mit dem Hufnagl den Geigenbau-Laden in Markt Wald betreibt, hat Geige studiert. „Er muss ab und zu herhalten, um den Klang zu beurteilen.“Auch Kunden, die ihre Instrument­e zur Reparatur oder Pflege abgeben, dürfen übergangsw­eise auf seinen Geigen spielen.

Über zu wenige Aufträge konnte sich Hufnagl vergangene­n Sommer nicht beklagen. Aber jetzt im zweiten Lockdown ist es wieder wie beim ersten: „Die Corona-Krise trifft auch uns. Der ganze Kultur- und Musikbetri­eb steht still.“Weil keiner wisse, wann und wie es weitergeht, geben nur wenige Musiker Geld für ihre Instrument­e aus. „Später werden wir alles, was bis dahin angefallen ist, abarbeiten.“

Eine selbst gebaute Violine hat Hufnagl 2020 nicht verkauft. Das mag an Corona liegen, sagt er. In Süddeutsch­land gibt es aber auch eine immer größer werdende Konkurrenz. „In München gab es zeitweise über 40 Geigenbaue­r, die sich das Kundeninte­resse teilen müssen.“Als Geigenbaue­r auf dem Land spürt er allerdings noch keinen großen Konkurrenz­druck. Er hat überwiegen­d Stammkunde­n. „Einige Münchner fahren zu mir und genießen hier die Ruhe.“

Hufnagl blickt in seinen Kalender. Der nächste Kunde möchte sein Instrument in wenigen Stunden abholen. Bis dahin muss noch der Lack gepflegt werden. Mit einem selbst gemischten Poliermitt­el aus Naturstoff­en entfernt er mit kreisenden Bewegungen Beläge und Harzreste von der Geige.

Vor allem das Kolophoniu­m, ein Harz, das beim Spielen von den Bogenhaare­n abstaubt, muss regelmäßig entfernt werden. „Das frisst sich sonst in den Lack“, erklärt Hufnagl, während er ein paar Tropfen Pflegemitt­el auf einen Stofflappe­n träufelt. Eine Wolke von Zedernduft verbreitet sich im Raum. Es riecht nicht nur wie im Wald, sondern wie im siebten Geigenhimm­el.

Millimeter­dünne Bauteile müssen Zugkräfte von bis zu 30 Kilogramm aushalten

augsburger‰all‰ gemeine.de/augsburg‰land

 ?? Fotos: Oliver Wolff ?? Geigenbaum­eister Dominik Hufnagl kontrollie­rt, ob alles im Lot ist. Der Holzsteg, über dem die Saiten gespannt sind, muss an der richtigen Stelle stehen und darf nicht kippen. Über ihn werden Schwingung­en auf den Korpus übertragen.
Fotos: Oliver Wolff Geigenbaum­eister Dominik Hufnagl kontrollie­rt, ob alles im Lot ist. Der Holzsteg, über dem die Saiten gespannt sind, muss an der richtigen Stelle stehen und darf nicht kippen. Über ihn werden Schwingung­en auf den Korpus übertragen.
 ??  ?? Die Wahl der Klanghölze­r ist entscheide­nd für die Optik und den Sound der Violine. Mit Miniaturho­bel und Messgeräte­n entstehen die einzelnen Bauteile. Nach etwa 200 Ar‰ beitsstund­en ist die Geige fertig. Der Markt Walder Geigenbaum­eister Dominik Hufnagl baut nicht nur Violinen, sondern auch Kontrabäss­e.
Die Wahl der Klanghölze­r ist entscheide­nd für die Optik und den Sound der Violine. Mit Miniaturho­bel und Messgeräte­n entstehen die einzelnen Bauteile. Nach etwa 200 Ar‰ beitsstund­en ist die Geige fertig. Der Markt Walder Geigenbaum­eister Dominik Hufnagl baut nicht nur Violinen, sondern auch Kontrabäss­e.
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Mehr Bilder und ein Video aus der Werkstatt unter
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