Augsburger Allgemeine (Land West)
Auf der Suche nach dem perfekten Klang
Musik Stradivaris zählen zu den besten Geigen der Welt, Dominik Hufnagl aus Markt Wald baut sie nach. Holz aus Bosnien sorgt dabei für manche Überraschung
Markt Wald Bis jetzt ist noch kein Granatensplitter zum Vorschein gekommen, Glück gehabt. Dominik Hufnagl lässt einen Miniatur-Hobel langsam über das Holzbrett aus bosnischem Ahorn gleiten. Es soll einmal den Boden einer Violine bilden. Das unscheinbare Werkzeug sieht aus wie eine kleine Gürtelschnalle, in der eine Klinge eingespannt ist. Es fallen schmale Späne, so dünn, dass man hindurchsehen kann. Mit den Fingern tastet Hufnagl die eben bearbeitete Stelle ab, schließt dabei seine Augen und fühlt die Rundung. „Nein, das reicht noch nicht“, sagt der 50-jährige Geigenbauer. Er blickt auf, greift zur Lampe über seiner Werkbank, positioniert sie neu und setzt den Hobel am Holzbrett ein weiteres Mal an.
Jede Bewegung, die Hufnagl zu viel macht, hat negative Auswirkungen. „Meine Vorbilder sind die Italiener Stradivari, Amati und Guarneri“, sagt Hufnagl und zeigt auf einen mehrere Hundert Seiten dicken Bildband. Darin sind die Bauweisen und Mensuren der alten Geigenbaukunst aus Cremona erklärt. Besonders die zierlichen Formen der norditalienischen Meistergeigen haben es Hufnagl angetan.
Der 50-Jährige hat die Maße im Kopf. Für ihn macht vor allem eines seinen Beruf aus: das richtige Gespür. „Ich beschäftige mich mit vieStilrichtungen und finde oft Details, die mir nicht zusagen.“
Seit 18 Jahren tüftelt der Geigenbaumeister in seiner Werkstatt in Markt Wald am perfekten Klang. Ein schwieriges Unterfangen, denn neu gebaute Streichinstrumente sind kaum zu vergleichen mit jahrelang gespielten. Zwar hat jeder Neubau bereits zu Beginn seinen eigenen Klangcharakter, doch dieser wird erst mit regelmäßigem Spielen ausgeprägt – und kann nur damit auf Dauer erhalten werden. „Holz ist ein lebendiger Werkstoff, eine Stradivari ist im Tresor nach zwei Jahren tot.“
Aus statischen Gründen werden für die Instrumente zwei unterschiedliche Hölzer verwendet: Der Geigenbauer zeigt ein unbearbeitetes, etwa zweieinhalb Zentimeter dickes Fichtenholzbrett. Aus diesem wird die gewölbte Korpusdecke gefertigt. Die Jahresringe sollen eng beieinander liegen, daher wird Holz aus dem Hochgebirge verwendet. Das wächst langsamer.
Für den Boden nimmt Hufnagl Ahornholz aus Bosnien, der Schweiz und dem Kaukasus, von Bäumen, die bis zu 300 Jahre alt werden. Diese haben die beste Qualität, sagt Hufnagl. „Es sind am wenigsten Fehler drin.“Mit Fehlern meint der Geigenbauer Äste, Harzgallen oder unregelmäßige Jahresringe.
Dennoch: Ein Brett ohne äußerlichen Makel ist keine Garantie. „Schon ein paar Mal habe ich beim
Hobeln plötzlich Splitter von Kriegswaffen gefunden.“Das Holz hat eben Geschichte.
Die Klanghölzer bezieht Hufnagl von einem Tonholzhändler. Mindestens 15 Jahre müssen sie getrocknet sein, ehe aus ihnen eine Violine entsteht. Bis zu 700 Euro kostet ein solches Brett. „Grobe Schnitzer darf ich mir nicht erlauben“, witzelt Hufnagl. Die Reinheit des Holzes und seine Maserung sind vor allem für die Optik wichtig. Eine Geige muss nicht nur gut klingen, sie soll auch schön aussehen.
Wenn die vier Saiten gespannt sind, entstehen Zugkräfte von bis zu 30 Kilogramm. Viel Druck, dem die teilweise nur millimeterdünnen
Holzbauteile standhalten müssen. Ein paarmal im Laufe eines Instrumentenlebens können Decke oder Boden Risse bekommen. Oder die Verleimung der Zarge, damit ist das Holzband zwischen Decke und Boden gemeint, löst sich und schließt nicht mehr ab. Dann knarrt und scheppert es beim Spielen.
Für Hufnagl sind das Klassiker bei Reparaturen: „Risse entstehen, wenn die Geige zu feucht oder zu trocken gelagert wurde. Das Holz arbeilen tet.“Hufnagl öffnet in diesem Fall die Geige mit einem scharfen Messer und verleimt sie neu. Wie ein Schreiner seine Möbel fixiert er die Violine mit feinen Schraubzwingen.
Schülerinstrumente baut der Geigenbauer aus teilweise vorgefertigten Rohlingen und optimiert sie. Meisterinstrumente dagegen sind komplett selbst gebaut. Von der Schnecke, also dem geschwungenen oberen Ende einer Geige, bis zum Steg, über dem die Saiten gespannt werden. 40Violinen und Bratschen hat der Markt Walder bisher gebaut. Aber Routine sei nie eingekehrt, sagt er. „Jedes Holz ist anders, jede Violine ist ein Einzelstück.“Mindestens 200 Stunden dauert es, bis eine Violine zum ersten Mal gespielt werden kann.
Die Arbeit hat ihren Preis: Eine Meistergeige kostet ab 16.000 Euro. Auf Kundenwunsch arbeitet Hufnagl individuelle optische Merkmale ein, zum Beispiel Verzierungen. Oder akustische Merkmale: „Der eine will seine Geige lauter, andere wollen sie süßlicher im Klang oder handlicher beim Greifen haben.“
Kleinste Nuancen können den Sound beeinflussen, Klangeinstellung nennt der Fachmann das. Dabei bewegt Hufnagl mit einem Werkzeug, das wie Operationsbesteck aussieht, über die ff-Löcher minimal den Stimmstock. Der Stimmstock, in Italienisch übersetzt „Seele“genannt, ist ein Holzstift, der zwischen Boden und
Decke im Inneren eingepasst ist und Schwingungen überträgt. Manchmal testen Musiker das Instrument ein paar Wochen und kommen wieder zu Hufnagl. „Wir probieren so lange, bis es passt.“Auch die Wahl der Saiten sei entscheidend. Die teuersten müssen nicht unbedingt die besten sein, sagt Hufnagl.
Selbst spielt der Geigenbauer nicht auf seinen Violinen. „Mein Instrument ist der Kontrabass.“Das Handwerk des Geigenbauers habe ihn seit dem Jugendalter fasziniert. Es ist ein Beruf mit allen Sinnen. Wer kann schon seine Arbeit ansehen und gleichzeitig anhören?
Kollege Dirk Metzger, mit dem Hufnagl den Geigenbau-Laden in Markt Wald betreibt, hat Geige studiert. „Er muss ab und zu herhalten, um den Klang zu beurteilen.“Auch Kunden, die ihre Instrumente zur Reparatur oder Pflege abgeben, dürfen übergangsweise auf seinen Geigen spielen.
Über zu wenige Aufträge konnte sich Hufnagl vergangenen Sommer nicht beklagen. Aber jetzt im zweiten Lockdown ist es wieder wie beim ersten: „Die Corona-Krise trifft auch uns. Der ganze Kultur- und Musikbetrieb steht still.“Weil keiner wisse, wann und wie es weitergeht, geben nur wenige Musiker Geld für ihre Instrumente aus. „Später werden wir alles, was bis dahin angefallen ist, abarbeiten.“
Eine selbst gebaute Violine hat Hufnagl 2020 nicht verkauft. Das mag an Corona liegen, sagt er. In Süddeutschland gibt es aber auch eine immer größer werdende Konkurrenz. „In München gab es zeitweise über 40 Geigenbauer, die sich das Kundeninteresse teilen müssen.“Als Geigenbauer auf dem Land spürt er allerdings noch keinen großen Konkurrenzdruck. Er hat überwiegend Stammkunden. „Einige Münchner fahren zu mir und genießen hier die Ruhe.“
Hufnagl blickt in seinen Kalender. Der nächste Kunde möchte sein Instrument in wenigen Stunden abholen. Bis dahin muss noch der Lack gepflegt werden. Mit einem selbst gemischten Poliermittel aus Naturstoffen entfernt er mit kreisenden Bewegungen Beläge und Harzreste von der Geige.
Vor allem das Kolophonium, ein Harz, das beim Spielen von den Bogenhaaren abstaubt, muss regelmäßig entfernt werden. „Das frisst sich sonst in den Lack“, erklärt Hufnagl, während er ein paar Tropfen Pflegemittel auf einen Stofflappen träufelt. Eine Wolke von Zedernduft verbreitet sich im Raum. Es riecht nicht nur wie im Wald, sondern wie im siebten Geigenhimmel.
Millimeterdünne Bauteile müssen Zugkräfte von bis zu 30 Kilogramm aushalten
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