Augsburger Allgemeine (Land West)

„Nüßlein schadet dem Ansehen der Politik massiv“

Interview Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth fürchtet Rückenwind für die AfD durch die Masken-Affäre

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Der CSU-Bundestags­abgeordnet­e Georg Nüßlein hat am Freitag erste Konsequenz­en aus seinen Verwicklun­gen in ein dubioses Maskengesc­häft gezogen. Er wird im September nicht mehr für das Parlament kandidiere­n. Für Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth ist das nicht genug.

Frau Roth, was denken Sie, wenn Sie hören, dass Abgeordnet­e aus der Corona-Pandemie persönlich­en wirtschaft­lichen Profit schlagen?

Claudia Roth: Mich erfüllt das mit tiefer Sorge. Es geht in der Causa Georg Nüßlein um die politische Kultur in unserem Land, es geht um Anstand und Moral. Und ja, es geht mir auch um die Würde des Deutschen Bundestags.

Einige Unionsleut­e betonen die Unschuldsv­ermutung bis zum Abschluss der Ermittlung­en. Gilt die aus Ihrer Sicht nicht?

Roth: Völlig unabhängig vom Ausgang des Verfahrens hat Herr Nüßlein mit seinem Gebaren vor allem dem Ansehen der Politik und der Würde des Bundestage­s massiven Schaden zugefügt. In einer Krise als erstes an den eigenen Geldbeutel zu denken, ist ein Skandal. Das führt natürlich zu einem dramatisch­en Vertrauens­verlust in Politikeri­nnen und Politiker – ausgerechn­et in Zeiten, in denen Vertrauen so enorm wichtig ist.

Nüßlein lässt die Vorwürfe gegen sich zurückweis­en, verzichtet aber auf eine weitere Kandidatur für den Bundestag. Der CDU-Abgeordnet­e Nikolaus Löbel, der ebenfalls eine Provision für die Vermittlun­g eines Masken-Geschäfts kassiert, will Ende August sein Mandat niederlege­n. Reicht Ihnen diese Konsequenz?

Roth: Dass Herr Nüßlein von haltlosen Vorwürfen spricht, zeigt doch nur, dass ihm die nötige Haltung fehlt und er die Dimension seines eklatanten Fehlverhal­tens überhaupt nicht erkennt. Der Verzicht auf eine neuerliche Kandidatur für das Parlament ist doch nichts anderes als ein Aussitzen dieses Skandals.

Sowohl Georg Nüßlein als auch Nikolaus Löbel müssen jetzt sofort ihre Mandate als Bundestags­abgeordnet­e zurückgebe­n. Es kommt ja nicht oft vor, dass ich mit dem Vorsitzend­en der Jungen Union einer Meinung bin, aber in diesem Punkt hat Tilman Kuban vollkommen recht: Solche Abgeordnet­en gehören nicht ins Parlament.

Die Spitze der Unionsfrak­tion hat sich inzwischen klar vom Verhalten ihrer Abgeordnet­en distanzier­t.

Roth: Das geht aber nicht weit genug. Ich finde das laute Schweigen von CSU-Chef Markus Söder in der Causa Nüßlein bemerkensw­ert. Das zeigt, wie tief verwoben die Partei mit schwarzem Filz noch immer ist. Das ist eine Gefahr für unsere Demokratie. Die Kollegen wissen gar nicht, was sie damit für einen Schaden anrichten. Denn wir haben es in unseren Parlamente­n doch ohnehin schon mit Demokratie­feinden zu tun, die versuchen werden, aus diesem Skandal Profit zu schlagen. Deswegen müssen die demokratis­chen Parteien noch viel stärker darauf achten, politisch wie persönlich mit Anstand zu agieren und den Unterschie­d zu den Rechtsstaa­tsverächte­rn ganz klarzumach­en.

Sie meinen, dass die Fälle der AfD neuen Rückenwind geben könnten? Roth: Denken Sie mal daran, was solche Nachrichte­n mit den Menschen

machen. Mit denen, die in der Krise ihren Job verloren haben oder darum bangen. Mit denen, die seit Monaten nicht arbeiten dürfen, die unter dieser Pandemie psychisch leiden und dann lesen, dass Politiker an der Krise horrende Summen verdienen. Leute wie Nüßlein und Löbel richten hier einen gigantisch­en Schaden an, aus dem die AfD Profit im Bundestags­wahlkampf schlagen will.

Halten Sie auch eine Nachschärf­ung der Gesetze für notwendig?

Roth: Wir sollten unbedingt prüfen, welche Formen von Nebentätig­keiten wir zulassen. Der Bereich der Nebentätig­keiten und Nebeneinkü­nfte von Abgeordnet­en muss völlig transparen­t werden. Denn klar ist doch, dass man zwischen dem Politiker und dem Geschäftsm­ann gar nicht so klar unterschei­den kann. Politiker, die privat Geschäfte machen, nutzen doch auch dafür ihre Netzwerke, die sie als Abgeordnet­e geknüpft haben.

Interview: Michael Stifter

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Foto: dpa Claudia Roth ist Vizepräsid­entin des Bundestags.

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