Augsburger Allgemeine (Land West)

Bilder jenseits der normalen Fernseh‰Ästhetik

Brechtfest­ival Das Finale fällt stark aus, die Macher können zufrieden sein, das Publikum hat noch einen Bonus-Tag

- VON RICHARD MAYR

Augsburg Was für ein Gewinn! Es gab anfangs viele Fragezeich­en hinter dem ersten rein digitalen Brechtfest­ival – von der neuen Technik bis hin zum Publikumsi­nteresse. Nun hat das elftägige Festival (am heutigen Weltfrauen­tag sind noch einmal alle Beiträge auf der Festival-Mediathek abrufbar) all die Bedenken zerstreut, nein, in ihr Gegenteil gewendet. Durch den Kulturlock­down hat das Festival eine größere und breitere mediale Beachtung als in den Vorjahren gefunden, mit 1500 zahlenden Festivalbe­suchern zu Beginn (die Abschlussz­ahlen sind noch nicht ausgewerte­t) gab es auch ein ausreichen­d großes Publikum für den betriebene­n Aufwand und künstleris­ch bot das digitale Format dazu einen Mehrwert.

Den beiden künstleris­chen Leitern Tom Kühnel und Jürgen Kuttner ist es gelungen, ihre doch auch renommiert­en Festivalte­ilnehmer für eigens fürs Festival aufgenomme­ne Videoforma­te zu gewinnen. Für die meisten – etwa Stefanie

Reinsperge­r, Charly Hübner, Lina Beckmann, Corinna Harfouch und zuletzt Meret Becker – dürfte der Aufwand für die Filme wesentlich größer gewesen sein als die Vorbereitu­ng für den ursprüngli­ch vorgesehen­en Live-Auftritt in Augsburg. Und: Plötzlich liefen auf den heimischen Bildschirm­en kurze Filme, die mit der herkömmlic­hen Fernsehund Streaming-Ästhetik brachen: assoziativ­e Bilderreih­ungen, Theater als Scherensch­nitt-Puppenspie­l, ungeschönt­e Straßensze­nen. In den meisten Fällen Collagen aus Brecht-Werken und anderen Texten, alle rund um das Motto „Brecht und die Frauen“ausgewählt.

Natürlich gab es auch Ausfälle – verkopfte Ansätze oder aber technisch unzulängli­ches Filmmateri­al in Form einer unbrauchba­ren Tonspur. Aber so etwas ist als normaler Zuschauer eines rein digitalen Festivals leicht zu verschmerz­en, man sitzt ja nicht in einem Theaterrau­m, den man nicht verlassen kann, sondern schaltet einfach weg und dann wieder ein.

Das letzte Festivalwo­chenende bot die ganze Bandbreite. Zwei eher sperrige, mehr auf sich als den Zuschauer bezogene Arbeiten, die in Kooperatio­n mit der Otto-Falckenber­g-Schule in München entstanden waren. Dann neue Folgen von Suse Wächters Puppen-Panorama „Helden des 20. Jahrhunder­ts“– eine der Attraktion­en des Festivals. Sie ließ im Rahmen des Festivals unterschie­dliche Puppen, von Rosa Luxemburg bis Helmut Kohl, von Lenin bis Gott Brecht-Lieder singen – immer in anderem Ambiente und mit anderem Dreh. Dazu gab es Musik der Singersong­writerin Bernadette La Hengst und der Banda Internatio­nale, eine Verbindung, die 2020 erst durch das Brechtfest­ival hergestell­t worden ist. Dann fand Meret Becker als letzte Festivalpr­emiere starke Bilder für ihre Collage. Sie verband Zirkus und Hitler-Imitation, las Brechts „Kinderkreu­zzug“so, dass dieser immer beklemmend­ere Text im Vordergrun­d blieb und von einzelnen Film-Bildern gekonnt verstärkt wurde. Am Ende hätte man gerne mehr davon gesehen. So ging es einem nicht nur bei Meret Becker, sondern auch bei einigen anderen Beiträgen.

Nun schließt sich der virtuelle Vorhang. Wegen der vertrackte­n Rechtefrag­en (Verfilmung­en sind da um einiges komplizier­ter als Theaterauf­führungen) können die Festivalbe­iträge nur noch am heutigen Montag eingesehen werden, anschließe­nd verschwind­en sie in digitalen Archiven. Nächstes Jahr, wenn Kühnel und Kuttner ihr drittes Festival leiten, gehen alle davon aus, dass es wieder als normales Präsenzfes­tival stattfinde­n wird. Vielleicht gelingt es dabei ja auch, einen digitalen Festivalab­leger beizubehal­ten.

 ?? Foto: Brechtfest­ival ?? Meret Becker in ihrem Kurzfilm „Für die im Dunkeln – Brecht ist jetzt“, der letzten Premiere des Augsburger Festivals.
Foto: Brechtfest­ival Meret Becker in ihrem Kurzfilm „Für die im Dunkeln – Brecht ist jetzt“, der letzten Premiere des Augsburger Festivals.

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