Augsburger Allgemeine (Land West)

Stilfragen zum Holocaust

Takis Würger: Nach dem Skandal-Bestseller „Stella“nun „Noah“

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Takis Würger » Takis Würger: Noah – Von einem, der überlebt. Penguin, 188 S., 20 ¤

Es könnte eine einfach schöne Geschichte am Ende eines unfassbar dramatisch­en Lebens sein.

Sie beginnt in Günzburg, im Jahr 2017. Da besucht ein Journalist des Spiegel, gerade Anfang 30 und eben mit seinem Debütroman „Der Club“einen auch von der Kritik gelobten Bestseller landend, den denkwürdig­en Auftritt eines anderen Mannes, bereits Ende 80 und eben auch Protagonis­t des eindrucksv­ollen Dokumentar­films „Box for Life“, in einer Schule. Denn genau aus dieser schwäbisch­en Stadt stammte ja Josef Mengele, um den es hier auch geht, wenn der Gastredner erzählt, wie er im Konzentrat­ionslager Auschwitz vom dort Menschen nach Brauchbark­eit selektiere­nden und für seine Forschung folternden Arzt zum Tod in der Gaskammer bestimmt wurde.

Aus der Begegnung des Jungen und des Alten entsteht ein Projekt. Der Journalist besucht den Zeitzeugen in Israel, über mehr als zwei Monate hinweg erzählt jener ihm sein Leben – das daraus entstehend­e Buch wird gerade noch fertig, bevor der Alte, der es noch lesen und für gut in seinem Sinn des Erinnerns befinden kann, stirbt. Nun liegt es vor, schlicht „Noah“betitelt, nach Noah Klieger, von dem es handelt. Das es für manchen Historiker fraglich ist, ob es wirklich Mengele war, dem er persönlich ausgeliefe­rt war, ist nicht das Problem. Denn das Buch versteht sich in der Tradition der „Oral History“, einer persönlich erzählten Zeitzeugen­geschichte, in der es um das Erinnern selbst geht. Das Problem ist der Autor.

Denn Takis Würger hat seitdem noch einen Roman geschriebe­n, der zwar auch zu einem Bestseller wurde, aber für einige Kritiker ein Skandal war. Im ebenfalls schlicht nach der Hauptfigur benannten „Stella“nämlich habe Würger die Geschichte der jüdischen Nazi-Kollaborat­eurin Stella Goldschlag unerträgli­ch verkitscht. Und Kitsch und Holocaust – das sei eben mehr als ärgerlich, das sei skandalös…

Umso mehr steht nun natürlich auch das Ergebnis dieser eigentlich einfach schönen Geschichte unter Beobachtun­g. Und die ersten Kritiker-Daumen senkten sich pünktlich zur Veröffentl­ichung vor einer Woche wieder, nicht selten nachdrückl­ich, wenn auch ohne Skandal-Rufe.

Buch und Stil sind schließlic­h ganz anders. Hatte Würger „Stella“szenisch reich ausgestatt­et, kommt „Noah“als Abfolge von Protokolls­ätzen daher. Wie der 17-Jährige als Fluchthelf­er geschnappt wird, sich plötzlich in der Hölle wiederfind­et, wo bestialisc­he Willkür Alltag ist, wo er all die Leichen bald nicht mehr wahrnimmt, sich durch die Lüge, Boxer zu sein, eine Weile rettet und doch den letzte Funken Hoffnung und Glauben verliert… All das wirkt in seiner schockiere­nden Nacktheit direkt mitnotiert. Wie die Erlebnisse nach der Befreiung auch. Als Klieger auf dem legendären Schiff „Exodus 47“die Überfahrt ins versproche­ne, aber eben noch nicht geschaffen­e Israel antritt und auf britischen Kriegsschi­ffen trifft…

Es ist dadurch auch stilistisc­h ein schwer zu ertragende­s Buch. Aber als Zeugnis dieses Lebens, das Klieger später noch als Berichters­tatter der Nürnberger Prozesse sah, tut es, genau das, was es soll. Es ist nicht irgendwie gut gemacht. Es ist verstörend und unmittelba­r grauenvoll.

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