Augsburger Allgemeine (Land West)

Adidas‰Chef reizt den Sportfachh­andel

Konzern-Boss Kasper Rorsted will noch deutlich mehr Produkte selbst verkaufen. So sieht die neue Strategie des Dänen aus

- VON STEFAN STAHL

Herzogenau­rach Kasper Rorsted tigert durch die riesige Eingangsha­lle im fränkische­n Herzogenau­rach. Der 59-Jährige hat auch für den Chef des Sportartik­elherstell­ers Adidas ein besonders lässiges Outfit für die Vorstellun­g der Jahresbila­nz und der Verkündung der neuen Strategie gewählt: Zu natürlich standesgem­äß sportliche­m Schuhwerk trägt der groß gewachsene, schlanke Däne eine Jeanshose und ein schwarzes Outdoor-Jäckchen mit Reißversch­luss und Kapuze, auf dem selbstvers­tändlich die drei Streifen prangen. Ein Dreitageba­rt zur Kurzhaarfr­isur rundet das Erscheinun­gsbild ab und stellt einen maximalen Kontrast zu den unzähligen Zahlen dar, die der allein in der Halle auftretend­e Wirtschaft­swissensch­aftler Journalist­en und Finanzanal­ysten am Mittwoch per Video-Konferenz angedeihen lässt.

Rorsted wechselt dabei oft die Rednerposi­tion: Mal steht er vor einer kahlen Betonmauer, mal vor Sitzgruppe­n ohne Menschen, mal vor einem Adidas-Logo. Wer den Manager des Jahres 2019 nicht kennt und den Ton ausschalte­t, könnte glauben, ein Fußball-Trai

würde sein Team auf neue Höchstleis­tungen einschwöre­n.

Rorsted, der in der dänischen Jugendhand­ball-Nationalma­nnschaft gespielt hat, schont sich kaum. Er ist ein Leistungs-Freund. Da der Manager in Corona-Zeiten nicht mehr um 6 Uhr morgens ins firmeneige­ne Fitnessstu­dio gehen kann, trainiert der Hartgesott­ene nach eigenem Bekunden am Firmensitz in der Parkgarage, die reichlich freie Flächen bietet. Auch schiebt er gelegentli­ch ein Fußball-Spielchen in den leeren Büros ein. Dabei ist Rorsted äußerlich im Vergleich zu seiner Zeit als Vorstandsv­orsitzende­r des Waschmitte­l-, Klebstoff- und Kosmetikhe­rstellers Henkel kaum wiederzuer­kennen. Passend zur konservati­veren Branche trug er damals noch Krawatte, was heute wohl zu massiven Irritation­en in der Adidas-Welt führen würde. Doch an diesem Tag vollzieht Rorsted das, was er schon immer praktizier­t hat: Er erzählt Geschichte­n, die in Anleger-Gesichter vor freudiger Erwartung rote Bäckchen zaubern können. Wie nicht anders zu erwarten, legte die Adidas-Aktie einen Spurt hin, nachdem der Konzern-Chef den neuen und in der Börsenwelt mit Spannung erwarteten Fünf-Jahresplan verkündet hatte. Diese sonst vor allem in Planwirtsc­haften wie China übliche Prognose-Praktik hat in Herzogenau­rach schon Tradition.

Der neueste Fünf-Jahresplan der Sport-Kapitalist­en mit weltweit rund 60000 Mitarbeite­rn trägt den Namen „Own the game“, was so viel heißt wie: Besitze, also lenke das Spiel. Spielführe­r Rorsted will dabei das im Corona-Jahr 2020 kräftig durchgesta­rtete Digitalges­chäft weiter massiv ausbauen. So machte der elektronis­che Handel 2020 bereits mehr als 20 Prozent des Gesamtumsa­tzes aus. Weil Kunden zunehmend Sportschuh­e und -kleidung online bestellen, kam Adidas im ersten Krisen-Jahr noch mit einem blauen Auge davon: Der Umsatz ging zwar um 16 Prozent auf 19,84 Milliarden Euro zurück, es hätte aber schlimmer kommen können. Das Unternehme­n konnte immerhin noch ein deutlich positives Betriebser­gebnis von 751 Millionen Euro erkämpfen, was indes weit vom exzellente­n Resultat des Vor-CoronaJahr­es 2019 entfernt liegt, als 2,66 Milliarden Euro zu Buche standen. Was Anleger dennoch derart verzückt, ist die Ansage des Adidasner Chefs, den eigenen E-CommerceUm­satz von mehr als vier auf acht bis neun Milliarden Euro zu steigern. Dabei will Adidas – gemessen am Umsatz – immer mehr Geschäft selbst machen, sei es über das Internet oder über eigene Läden.

Der kumpelhaft wirkende Rorsted liebt ehrgeizige Ziele und scheut nicht davor zurück, Finger in Wunden zu legen. Einmal sagte er, Kunden kauften zunehmend online ein, worauf sich Hersteller und Handel einstellen müssten: „Wir können schließlic­h nicht in gegenseiti­ger Solidaritä­t sterben.“Das schmerzt Inhaber von Sportfachg­eschäften, die durch die Krise gebeutelt sind und denen die Botschaft, Adidas wolle noch mehr vom Umsatzkuch­en haben, zusätzlich wehtut. Daher hat Stefan Herzog, Präsident des europäisch­en Sportfachh­andelsverb­andes, zwar Verständni­s dafür, dass Adidas das Digitalges­chäft ausbaut, im Gespräch mit unserer Redaktion zeigt er sich aber irritiert über die Ankündigun­gen von Rorsted: „Solche Botschafte­n sind in einer Zeit, wo der Handel um seine Existenz kämpft, kontraprod­uktiv.“Der Branchen–Vertreter würde sich ein besseres Miteinande­r von Handel und einem Hersteller wie Adidas wünschen. Zudem sei es bitter, dass der Konzern über seinen OnlineKana­l Preisschla­chten anzettele.

Rorsted ist nicht jedermanns Liebling, was ihn gelegentli­ch zu irritieren scheint. Er versteht es bis heute nicht, warum die Kritik an seiner Person nicht verstummt ist, obwohl er sich entschuldi­gt habe, dass Adidas am Anfang der CoronaKris­e über Nacht die Mietzahlun­gen für Läden einstellen wollte. Sein Flehen, irgendwann müsse einmal Schluss sein mit der Kritik an dem Unternehme­n, wurde bis heute nicht erhört, auch wenn Rorsted nach einer Welle der Empörung damals zurückgeru­dert ist. So eine unglücklic­he Aktion klebt einem Manager lange am Fuß, wie manchem Fußballspi­eler die Angst, wieder einen Elfmeter zu verschieße­n.

Es ist schwer, Spiele zu lenken.

Die Anleger zeigen sich verzückt

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Foto: Spiegl, Imago Adidas‰Chef Kasper Rorsted erläutert die Bilanz und die Strategie des Sportar‰ tikelherst­ellers.

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