Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie heimische Firmen die Künstliche Intelligen­z nutzen

Digitalisi­erung Die Technologi­e gilt als Schlüssel für die Zukunft. Ihre Anwendunge­n sind quasi unbegrenzt – doch Fachkräfte kaum zu finden. Drei Beispiele, die helfen zu verstehen, warum sich der Freistaat die Förderung in der Region nun rund 100 Million

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Augsburg Das Lechtal ist nicht das Silicon Valley. Firmen aus Schwaben sind nicht weltbekann­t für Computerpr­ogramme oder Internetan­wendungen. Hier entstehen unter anderem weltweit geschätzte Maschinen, Werkzeuge oder Teile für Autos, Flugzeugen und Anlagen. Auch das geht längst nicht mehr ohne Digitalexp­ertise. Die stark exportabhä­ngige Wirtschaft in der Region, muss fit werden in Zukunftste­chnologien wie der Künstliche­n Intelligen­z (KI). Viele Unternehme­n sind bereits gut gerüstet. Der Freistaat unterstütz­t die Transforma­tion zudem: Im Rahmen der Hightech Agenda Plus sollen in den nächsten Jahren viele Millionen nach Augsburg und in die Region fließen. Auch bei der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben steht das Thema weit oben, sie veranstalt­et diese Woche erneut einen großen Kongress zur KI.

Was sich hinter diesem Schlagwort verbirgt, ist nicht in zwei Sätzen zu erklären. Bernd Renzhofer vom Einzelhand­els-Spezialist­en Wanzl in Leipheim sagt aber: „Ohne KI könnten wir bereits heute einen wichtigen Teil unseres Geschäfts nicht mehr anbieten.“Renzhofer verantwort­et als Geschäftsf­ührer für den Vertrieb auch das Digital Office, die 2016 gegründete Digitalabt­eilung des Mittelstän­dlers. Die ist mittlerwei­le auf zwölf Stellen angewachse­n und grübelt aktuell über Fragen wie dieser: Wie kann man einen Computer so trainieren, dass er mithilfe von Videobilde­rn einer SB-Kasse erkennt, ob ein Kunde alle Teile in seinem Wagen gescannt und bezahlt hat?

„Wir beschäftig­en uns seit 2016 intensiv mit Daten“, sagt Renzhofer. Angefangen hat es mit einer Plattform, auf der alle Daten, die ohnehin in einem modernen Supermarkt anfallen, zentral erfasst und ausgelesen werden können: Zugangskon­trollen, Warenkühlu­ng oder Kassendate­n zum Beispiel. Schnell war aber klar: Aus dieser Menge an Daten, muss ein Mehrwert zu schaffen sein. Hier kommt Künstliche Intelligen­z ins Spiel.

Ein Beispiel: Ein Händler weiß, wenn 100 Leute im Laden sind, muss er vier Kassen offen haben. Das lässt sich einfach über das Zählen der Kunden an Ein- und Ausgängen regeln. Aber die Welt ist komplexer, erklärt Renzhofer: „Die Frage ist, wann und in welcher Situation kommen die Kunden: Ist es während der Mittagspau­se, um sich einen Snack zu holen? Oder am Wochenende oder vor einem Feiertag? Irgendwann versagen die herkömmlic­hen Algorithme­n.“

Zwischen Supermarkt und Discounter passen mittlerwei­le eine Vielzahl anderer Ladenkonze­pte. Für einen Kunden hat Wanzl sogar einen automatisi­erten Fachmarkt entwickelt, in dem Handwerker oder Techniker rund um die Uhr einkaufen können. Dazu kommen noch Hybridlösu­ngen wie das Bestellen im Internet und Abholen im Markt. Weil die Händler ihre Kunden auf allen Wegen erreichen wollen, steigt der Bedarf an maßgeschne­iderten Lösungen. „KI ist für uns unverzicht­bar geworden. Aber das Thema ist so komplex, das wir das nur in Kooperatio­nen und Verbünden bewältigen können“, erklärt Renzhofer. Wanzl arbeitet etwa mit den KI-Giganten Google oder Microsoft zusammen. Aber natürlich braucht das Unternehme­n auch eigene Fachkräfte. Die zu finden sei aber eine Herausford­erung.

Das bestätigt auch Michael Hofmann, Geschäftsf­ührer des Andreas Schmid Lab, einer Teilgesell­schaft der Andreas Schmid Group. IT und

Datenspezi­alisten sind überall Mangelware – wenn auch noch längst nicht alle Unternehme­n das Thema Digitalisi­erung so entschloss­en angehen wie der Gersthofer Logistiker. Die Aufgabe von Hofmanns Geschäftse­inheit ist es, in Start-ups zu investiere­n und Ausgründun­gen aus der eigenen Unternehme­nsgruppe zu fördern. Außerdem sollen die bestehende­n Geschäftsb­ereiche Hilfe bei der Fortentwic­klung im Digitalen bekommen. An zwei Beispielen erläutert Hofmann, wo Künstliche Intelligen­z dabei zum Einsatz kommt.

Ein Lkw der Spedition Andreas Schmid verdient nur Geld, wenn er fährt. Ausfall- und Wartungsze­iten sollten daher möglichst knapp bemessen sein. Moderne Lkw übermittel­n im Betrieb laufend Fahrzeugda­ten. Die KI soll auf Basis dieser Daten vor dem Ausfall kritischer Fahrzeugte­ile warnen, bevor der Schadensfa­ll eintritt. Ein zweites Projekt geht noch viel weiter. Hofmanns Lab hat in das Würzburger Drohnen-Start-up Emqopter investiert und arbeitet intensiv an der Entwicklun­g eines Drohnenlie­ferservice­s. Die Drohne kann autonom starten, fliegen und landen. Bis sie abheben darf, gibt es noch eine Reihe regulatori­scher Hinderniss­e zu überwinden. Aber Hofmann sagt: „Wir glauben fest an das Thema Lieferdroh­nen.“Die KI muss bei diesem Projekt etwa die Daten der vielen Sensoren an der Drohne auslesen, interpreti­eren und dann selbststän­dig das Flugsystem steuern. Auch für Hofmann steht fest: „KI gehört längst zum Alltag und wird nach und nach in immer mehr Teile der Wertschöpf­ungskette einziehen.“Einen Großteil einfacher Verwaltung­stätigkeit­en könne man über kurz oder lang ebenfalls an Softwarero­boter übergeben. „Unternehme­n, die da nicht mitgehen, verlieren einen Kostenvort­eil und haben damit weniger Chancen am Markt“, sagt Hofmann.

Auf dem Markt etablieren will sich Unternehme­nsgründer Daniel Lassahn aus Augsburg mit seinem Start-up erst noch. Der 28-Jährige hat Physik der Erde und Atmosphäre studiert und anschließe­nd vier Jahre als Energiemet­eorologe gearbeitet. Grob gesagt kümmerte er sich darum, Energienet­zbetreiber­n anhand von aktuellen Wetterdate­n eine Prognose für die zu erwartende Einspeisun­g von Wind- und Solarstrom zu liefern. Irgendwann reifte die Idee, dieses Modell auf andere Bereiche zu übertragen – die Geburtsstu­nde von Meteointel­ligence.

Wie bei den Lastern von Andreas Schmid nutzt auch Lassahn die KI für die Vorhersage von Ereignisse­n. Neuronale Netze heißen diese Anwendunge­n. Lassahn erklärt es mit folgendem Beispiel: Wenn es heiß wird, verkauft ein Händler mehr Klimaanlag­en. Doch Lagerhaltu­ng ist teuer, daher ist es für ihn interessan­t zu wissen, wann er mehr Klimaanlag­en vorhalten sollte. Aus der Analyse historisch­er Verkaufs- und Wetterdate­n lernt die KI Vorhersage­n zu treffen. „Daten sind heute viel einfacher und günstiger zu beschaffen, als noch vor wenigen Jahren“, sagt Lassahn. Prinzipiel­l kann das Modell laufend erweitert werden: Wer schon eine Klimaanlag­e hat, kauft wohl nicht so schnell wieder eine und so weiter. Momentan hat das Start-up mit Lassahn drei Mitarbeite­r. Wenn es am Markt besteht, können neue Experten vielleicht in Augsburg rekrutiert werden. Rund 100 Millionen will der Freistaat zur Schaffung eines KIProdukti­onsnetzwer­ks hier investiere­n. Fast die Hälfte davon fließt an die beiden Hochschule­n, der Rest wird über mehrere Forschungs­partner verteilt.

 ?? Foto: Sebastian Gollnow, dpa ?? Daten als Lebenselix­ier der Wirtschaft: Wie im Körper das Blut in den Adern, fließen im Computer Daten durch die Kabel.
Foto: Sebastian Gollnow, dpa Daten als Lebenselix­ier der Wirtschaft: Wie im Körper das Blut in den Adern, fließen im Computer Daten durch die Kabel.

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