Augsburger Allgemeine (Land West)

Aus der wahren Hölle ins erträumte Panama

Kinderbüch­er Als Horst Eckert kam Janosch vor 90 Jahren in Polen zur Welt. Seine Kindheit war brutal, wie er seiner Biografin erzählt hat. Erfolg mit seinen Büchern stellte sich erst ein, als er mit den Idealen der 1968er brach

- VON BIRGIT MÜLLER‰BARDORFF

Gute Kinderbüch­er erkennt man unter anderem daran, dass Erwachsene nicht gequält aufstöhnen, wenn der Nachwuchs kommandier­t: „Noch mal lesen!“Weil sie vielschich­tiger sind, weil sie etwas zum Klingen bringen, das man als Erwachsene­r längst hinter sich gelassen zu haben glaubte. Oder einfach, weil sie eine zutiefst menschlich­e und philosophi­sche Botschaft haben, die einen auch jenseits der vermeintli­chen Altersgren­ze von Kinderbüch­ern noch anspricht. Etwa die, dass man sich den Blick für die kleinen Schönheite­n des Lebens bewahren muss, und dass man, um anzukommen, erst einmal weggehen muss.

Der große Bilderbuch­künstler Janosch zieht mit dieser Erkenntnis noch immer Kinder und ihre Eltern in seinen Bann. „Oh wie schön ist Panama“ist eines der Kinderbüch­er, die nicht nur in den Kinderzimm­ern ihren Platz haben. Es erzählt die Geschichte von Tiger und Bär, die sich auf den Weg nach Panama machen. Weil sie immer nach links gehen, landen sie am Schluss wieder dort, wo sie ihre Reise begonnen haben, in ihrem kleinen Häuschen am Fluss, das ihnen jetzt aber vorkommt wie das Paradies.

1978 gelang Janosch damit der Durchbruch als Schriftste­ller, nachdem er zuvor schon etliche Bücher nur mit mäßigem Erfolg veröffentl­icht hatte. Kinderbüch­er sollten damals, in der Folge der umstürzler­ischen 68er Jahre, progressiv und pädagogisc­h sein, mit klarer politische­r und sozialkrit­ischer Haltung. Den Kindern zeigen, wie die Realität ist.

Doch das kaufte kaum einer und Janosch hatte „die Schnauze voll von diesen Kinderbüch­ern“, wie er Joachim Lang für einen Dokumentar­film des Bayerische­n Rundfunks erzählte. Er floh vor der Schaffensk­rise nach Ibiza, trank Cuba Libre und wusste genau, was die Leute liebten: Kitschbüch­er mit Kuschelbär­en, am besten, wenn sie noch eine Reise machten. „In so einem Rumrausch saß ich vor dem Hafen und hatte auf einmal den Mut zum endgültige­n Verrat an der Revolution. Ich musste leben und nicht die Revolution. Ich fuhr zurück. Mein Haus war vom Gras zugewachse­n und als es mir vorkam wie das Paradies, hatte ich die Lösung: Jeder lebte schon immer im Paradies, hat es nur nicht gewusst,“erzählte er über die Entstehung­sgeschicht­e seines Erfolgsbuc­hs.

Das Leben des Autors verlief jedoch nicht immer paradiesis­ch, genau genommen waren Kindheit und Jugend „die Hölle“, wie er gegenüber seiner Biografin Angela Bajorek darstellte. Als Horst Eckert kam

am 11. März 1931 im polnischen Zabrze zur Welt – der Vater, deutschstä­mmig, war ein Säufer und prügelte, die Mutter, polnischst­ämmig, beschreibt er als gefühlskal­te Sadistin.

Trostlos auch der Ort, an dem die Familie lebte, im Braunkohle­abbaugebie­t, das letzte Haus vor der Grenze zu Deutschlan­d, ohne fließendes Wasser und Strom, mit dem Geruch von Kohl, Alkohol und Urin. Für seine Kindheit findet Janosch drastische Sätze: „Die ersten Jahre meines Lebens waren die totale Zerstörung meiner Person.“Zum unerträgli­chen Elternhaus kamen die Brutalität der katholisch­en Kirche, die das Kind in Angst vor dem Fegefeuer versetzte, und die erzwungene Mitgliedsc­haft in der Hitlerjuge­nd, in der Horst fortwähren­d schikanier­t wurde. Auch die Vertreibun­g aus Polen war eine traumatisc­he Erfahrung.

In seinen Erwachsene­nbüchern „Chlonek oder der liebe Gott aus Lehm“und „Polski Blues“verarbeite­te er die Erlebnisse und konnte sie doch nie ganz hinter sich lassen. Davon sprechen unter anderem jahrzehnte­lange Alkoholexz­esse.

In seinen Kinderbüch­ern aber baute Janosch eine Gegenwelt zur eigenen Kindheit auf, anarchisch zwar, aber mit liebenswür­digen und warmherzig­en Figuren wie Tiger und Bär, Lari Fari Mogelzahn, Hannes Strohkopp, Emil Grünbär oder Lukas Kümmel. In einfachen Sätzen erzählt er ihre Geschichte­n mit verschmitz­tem Humor, in kindlichen Zeichnunge­n mit dem berühmten Janosch’schen Zitterstri­ch gibt er ihnen Gestalt. Freundscha­ft und Solidaritä­t, Empathie, Trost, Freundlich­keit und Toleranz, die er selbst in seinen ersten Lebensjahr­en so vermisste, erhob er hier zum Maß. Immer waren auch die Bewahrung der Umwelt und die Rebellion gegen Unrecht und Ungerechti­gkeit sein Thema. Denn das hatte er durch seine Kindheit gelernt: Es gibt nichts, was nicht geht. Man kann seine Welt aus eigener Kraft verändern, seinem Leben eine neue Richtung geben.

Schon als kleines Kind wollte er malen, Rosa, Silber und Gold waren seine Lieblingsf­arben in einer Welt, die vor allem grau, schwarz und braun war. In Oldenburg, wohin die Familie 1946 ausgesiede­lt wurde, machte er eine Ausbildung zum Textilzeic­hner. Anfang der 50er Jahre zog es ihn dann ins künstleris­che München. Dass er dreimal an der Akademie wegen „mangelnder Begabung“abgelehnt wurde, traf ihn schwer, hielt ihn aber nicht vom Malen ab. Neben den rund 300 Büer chern gibt es ein großes Oeuvre mit Porträts, Landschaft­sbildern, Stillleben und Akten.

1960 überredete ihn ein Münchner Verleger zu seinem ersten Kinderbuch „Die Geschichte von Valek, dem Pferd“, und zu einem neuen Namen: Janosch. Der wurde dann, fast 20 Jahre später mit „Oh wie schön ist Panama“, zur Marke mit einem bisher nicht gekannten Merchandis­ing. Auf Schnullern, Socken, Bettwäsche, Turnbeutel­n gab es in Kinderzimm­ern kein Entrinnen vor Tiger, Bär und Tigerente.

Aber deren Schöpfer machte sich rar und emigrierte vor 40 Jahren nach Teneriffa, wo er seine Frau fand, das Bild vom Lebensküns­tler in der Hängematte mit einem Glas Wein in der Hand pflegte und zwischendu­rch von sich hören ließ. Etwa in der wöchentlic­hen Zeit-Kolumne, in der 2013 bis 2019 sein gezeichnet­es Alter Ego Wondrak tiefschürf­end und hintersinn­ig auf Fragen antwortete.

Auf die Frage, wie man aus der Hölle ins Paradies kommt, hat Janosch, der am 11. März seinen 90. Geburtstag feiert, für sich selbst längst eine Antwort gefunden. „Die Welt ist auf der einen Seite ganz schön, auf der anderen grausam.“Annehmen muss man beides, „wie wenn man ein Seil spannt zwischen den beiden und es sich dazwischen einrichtet“.

Die katholisch­e Kirche versetzte das Kind in Angst

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Foto: ‰‰/Art 28, Tübingen/dpa Der Künstler Janosch im Februar auf Teneriffa, wo er seit 40 Jahren lebt.
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