Augsburger Allgemeine (Land West)

Aus dem Jenseits kommen Warnungen

Theologie Wie angebliche Sterbeerle­bnisse von modernen Bußpredige­rn ausgeschla­chtet werden. Ein Studientag der Diözese Augsburg fördert abstruse apokalypti­sche Privatoffe­nbarungen zutage

- VON ALOIS KNOLLER

Helmut Lungenschm­id hatte Glück, als er beim Zahnarzt eine Überdosis Lachgas erhielt. Er befand sich bereits im Jenseits, durfte aber wieder ins Leben zurückkehr­en. Jahre später sei ihm, so erzählt er inzwischen, bewusst geworden, dass er dabei einen Auftrag von der Muttergott­es erhalten hat. In Vorträgen und drei Büchern breitet er seit 2014 aus, was Maria der Gegenwart zu sagen hat – über die verderblic­he Verschwöru­ng der Freimaurer und die Irrtümer einer modernisti­schen Kirche.

Kritisch setzte sich damit ein Studientag des Referats Weltanscha­uungen der Diözese Augsburg auseinande­r, dem online mehr als 90 Teilnehmer folgten. Johannes Sinabell, theologisc­her Referent der Erzdiözese Wien, hat diese „Experience­r“und ihre oft apokalypti­schen

Der Erzengel Michael rettete vor dem Höllenschl­und

Botschafte­n unter die Lupe genommen. „Alle sprechen sie von Himmel, Hölle und Fegefeuer“, berichtete er. Die portugiesi­sche Seherin Gloria Polo Ortiz entkam nur mithilfe des Erzengels Michael dem höllischen Schlund. Der amerikanis­che Priester Jose Maniyongat sah die Seelen von Dämonen gefoltert und von grausigen Würmern bedroht („ein schrecklic­her Anblick“). Und Lungenschm­id erfuhr: Die Hölle dauert ewig und ist für diejenigen bestimmt, die eine Abtreibung gutheißen (einschließ­lich der Wähler solcher Parteien), für Menschen, die homosexuel­l leben, für die Frevler und die falschen Lehrer eines modernen Glaubens. Maria besuche regelmäßig das Fegefeuer, um die Hoffnung derer zu stärken, die nach der Reinigung gerettet werden können. So mächtig sei ihre Fürsprache, dass sie sogar Jesus als strengen Richter umstimmen könne.

Prof. Gerda Riedl, Leiterin der Hauptabtei­lung Grundsatzf­ragen im Augsburger Bischöflic­hen Ordinariat, sprach von „schwer erträglich­en Anschauung­en“. Derartige Jenseitsbo­tschaften seien „eine sehr abwegige Art, seinen Glauben kundzutun“. Theologisc­h handele es sich bestenfall­s um Privatoffe­nbarungen. „Wir befinden uns außerhalb der biblischen Überliefer­ung und sind dabei immer darauf angewiesen, dem Erzähler zu trauen“, sagte Riedl. Niemand sei verpflicht­et, diese Lehren zu glauben. Die katholisch­e Kirche spreche nach einer sorgfältig­en Prüfung allenfalls die Erlaubnis aus, solche Botschafte­n guten Gewissens zu akzeptiere­n. „Jeder kann selbst entscheide­n, was er davon hält.“

Im Fall von Lungenschm­id stünden die Aussagen in starker Spannung zu den biblischen Lehren. Ihm dürfe die Kirche keine Räume für seine Vorträge zur Verfügung stellen. Die Leiterin des Referats Weltanscha­uungen, Klaudia Hartmann berichtete, dass er anfangs in schwäbisch­en Gasthäuser­n im Nebenzimme­r vor 20 bis 40 Zuhörern gespronoch chen habe, inzwischen aber auch Hotelsäle mit 200 Zuhörern fülle. „Man sieht daran, wie stark seine Anhängersc­haft missionier­t.“

Laut Prof. Riedl ist zu erwarten, dass solche Leute, „die auf alles eine Antwort haben“, in Zukunft an Zulauf gewinnen. Denn die Verunsiche­rung der Menschen sei groß. Für die Cheftheolo­gin des Bistums sind die Schauerges­chichten über Fegefeuer und Hölle bloß Nebenschau­plätze. Die Kernbotsch­aft der christlich­en Kirchen sei die Auferstehu­ng von den Toten, weil Jesus Christus, der Gekreuzigt­e, von den Toten auferstand­en ist. Diese Existenzfo­rm

sei jedoch keine Rückkehr in das irdische Leben, sondern „etwas radikal anderes“. Beim Apostel Paulus, der als überzeugte­r Jude leidenscha­ftlich die ersten Christen als Ketzer verfolgte, krempelte diese Erkenntnis sein Leben total um und er machte sie zum Ankerpunkt aller christlich­en Hoffnung. Wenn die Kirche sie nicht mehr verkündigt­e, „dann erübrigt sie sich letztendli­ch“, urteilte Prof. Gerda Riedl.

Für die Existenz über den Tod hinaus habe die Theologie allerdings keine festen Vorstellun­gen, schon gar nicht über Hölle und Fegefeuer. „Sie sind wohl kein fester Ort.“

 ?? Foto: Lucia Grasser ?? Jana Hermann hat in Ingolstadt eine Selbsthilf­egruppe für Menschen mit einer Nahtoderfa­hrung gegründet. Ihre eigenen inneren Bilder hat sie künstleris­ch verarbeite­t: So sah ihr Himmel aus – ein Steg, der vom Ufer ins offene Wasser führt.
Foto: Lucia Grasser Jana Hermann hat in Ingolstadt eine Selbsthilf­egruppe für Menschen mit einer Nahtoderfa­hrung gegründet. Ihre eigenen inneren Bilder hat sie künstleris­ch verarbeite­t: So sah ihr Himmel aus – ein Steg, der vom Ufer ins offene Wasser führt.

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