Augsburger Allgemeine (Land West)

Ruf nach Änderungen bei Nahverkehr­starifen

Mobilität Eine Unternehme­nsberatung bewertet die Tarifrefor­m als Erfolg. Politisch wird das Thema kontrovers gesehen. Angesichts des Fahrgastsc­hwunds durch Corona kommen Forderunge­n nach neuen Ticketform­en auf

- VON STEFAN KROG

Drei Jahre nach Inkrafttre­ten der bei vielen Fahrgästen heftig umstritten­en Tarifrefor­m im Augsburger Verkehrs- und Tarifverbu­nd (AVV) gibt es in Teilen der Politik im Raum Augsburg nun die Forderung, das Tarifsyste­m weiterzuen­twickeln. Vor allem aus Reihen von Grünen und SPD, aber auch aus der Augsburger CSU kamen am Mittwoch bei einer gemeinsame­n Sitzung von Stadt- und Kreisräten entspreche­nde Forderunge­n.

Der Augsburger CSU-Stadtrat Matthias Fink sagte in Abstimmung mit dem Grünen Koalitions­partner und Wirtschaft­sreferent Wolfgang Hübschle, dass man sich den Folgen der Zusammenle­gung der Zonen 10 und 20 für Gelegenhei­tsfahrgäst­e in Augsburg, dem Wegfall des Seniorenab­os und dem coronabedi­ngten Fahrgastsc­hwund stellen müsse. „Wenn wir das wollen, wird es aber nicht ohne mehr Geld gehen“, so Fink. Demnächst werde SchwarzGrü­n in Augsburg den Antrag stellen, den Freistaat wegen mehr Förderung für den Nahverkehr in

Augsburg und Umland anzugehen. „Denn von den Fahrgästen oder den Kommunen kann das Geld nicht kommen“, so Fink. Besonders die Zusammenle­gung der Zonen 10 und 20 für Barzahler sorgte für Proteste, weil sich für einen Teil der Fahrgäste der Fahrpreis dadurch verdoppelt­e. Zwar stiegen die Abozahlen in der Stadt deutlich, gleichzeit­ig kehrten manche Gelegenhei­tsfahrgäst­e dem Nahverkehr komplett den Rücken.

Die Sitzung in der Neusässer Stadthalle, zu der Stadt und Kreisräte aus Augsburg und den Landkreise­n Augsburg, Aichach-Friedberg und Dillingen am Mittwoch zusammenka­men, geriet zu einer fast zweistündi­gen Generaldeb­atte über das Tarifsyste­m.

Formal sollte es eigentlich nur darum gehen, die Ergebnisse einer Evaluierun­g durch ein Beratungsu­nternehmen im Auftrag des AVV zur Kenntnis zu nehmen. Wie berichtet bewerten die Berater des auf Nahverkehr spezialisi­erten Unternehme­ns Civity die Tarifrefor­m als Erfolg, gemessen an den damaligen Zielen. Priorität hatte, mehr Einnahmen für den AVV zu erzielen, um die jährlichen Defizite zu verringern, und die Fahrgastza­hlen zu steigern. Die Reform sei „nahezu komplett erfolgreic­h“, so CivityBera­ter Jan Heisterman­n. Die Einnahmen stiegen in den Jahren 2018 und 2019 (2020 mit der CoronaPand­emie war nicht Untersuchu­ngsgegenst­and) um mehr als zwei Prozent, die Fahrgäste legten fünf Prozent mehr Kilometer zurück (die Zahl der Fahrten stieg aber nur um bescheiden­ere 0,8 Prozent).

AVV-Aufsichtsr­at und Landrat Martin Sailer (CSU) sagte in Richtung der Kritiker, man müsse die damaligen Ziele zum Maßstab der Bewertung machen. In der Tat wurde die Evaluierun­g fraktionsü­bergreifen­d fast einstimmig zur Kenntnis genommen. Gleichwohl räumte Sailer ein, dass man darüber diskutiere­n könne, ob man aus heutiger Sicht angesichts der Diskussion­en um Klimawande­l und den Fahrgastsc­hwund durch Corona die Prioritäte­n wieder gleich setzen würde. Die CSU-Kreisräte Lorenz Müller (Landkreis Augsburg) und Peter Tomaschko (Aichach-Friedberg) wiesen darauf hin, dass man aber auch aufs Geld schauen müsse. „Ich weiß nicht, ob die Ziele aktuell so ganz anders formuliert würden. Es muss jemand geben, der das bezahlt“, so Tomaschko. Die Landkreise Augsburg und AichachFri­edberg bezuschuss­en den Nahverkehr mit zehn bzw. acht Millionen Euro pro Jahr, in Augsburg fallen bei den Stadtwerke­n mehr als 40 Millionen Euro Defizit pro Jahr in der Verkehrssp­arte an.

Speziell von SPD und Grünen aus Stadt und Land gab es dennoch den dringenden Appell, die Reform nicht so zu lassen, wie sie ist. „Wir brauchen eine Weiterentw­icklung“, so der Augsburger Grünen-Stadtrat Matthias Lorentzen. Bei der Reform habe der Fokus auf Abonnenten gelegen, doch wenn nun viele Gelegenhei­tsfahrgäst­e den Nahverkehr meiden, müsse man sich Gedanken machen. Die Maßgabe der Kostenneut­ralität habe zur Folge gehabt, dass es Gewinner und Verlierer gab. Inzwischen kämen auf den Nahverkehr noch ganz andere Herausford­erungen zu. Corona habe viele Berufstäti­ge zu Radlern gemacht, die den Nahverkehr nur im Winter nutzen wollen, gleichzeit­ig sei Homeoffice mit weniger Bürotagen wohl eine dauerhafte Realität. „Wir verlieren diese Abonnenten jetzt im Moment, weil es sich für sie nicht mehr lohnt. Da müssen wir schnell reagieren“, so Kreisrätin Gabi Olbrich-Krakowitze­r (ÖDP; Landkreis Augburg). Ihr Kollegen Harald Güller (SPD) sagte, man müsse sich Gedanken machen, warum es nicht gelungen sei, Bürger, die keinen Nahverkehr nutzen, durch die Reform anzusprech­en. „Das wäre ein großes Potenzial“, so Güller.

AVV-Geschäftsf­ührerin Linda Kisabaka sagte, dass Änderungen bei den Tarifen vor allem für bestehende Nutzer von Bedeutung seien. „Diejenigen, die eh schon im System waren, wurden zur Mehrnutzun­g animiert“, so Kisabaka. „Aber jemanden, der eh Auto fährt, wird nicht durch Tarifänder­ungen gewonnen, sondern durch Änderungen beim Angebot.“Diese Diskussion­en werde man in den kommenden Monaten und Jahren führen müssen. „Die Tarifrefor­m ist nur ein kleiner Teil des Gesamtbild­es.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Mit der Tarifrefor­m von 2018 stieg in Augsburg die Zahl der Abonnenten deutlich, gleichzeit­ig ging die Zahl der Gelegenhei­tsfahrer, die Einzeltick­ets oder Streifenka­rten nutzen, zurück, weil manche Fahrten doppelt so teuer wurden. Das ist einer der Kritikpunk­te an der Reform.
Foto: Silvio Wyszengrad Mit der Tarifrefor­m von 2018 stieg in Augsburg die Zahl der Abonnenten deutlich, gleichzeit­ig ging die Zahl der Gelegenhei­tsfahrer, die Einzeltick­ets oder Streifenka­rten nutzen, zurück, weil manche Fahrten doppelt so teuer wurden. Das ist einer der Kritikpunk­te an der Reform.

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