Augsburger Allgemeine (Land West)
Dinkelscherber Händler wollen ihre Läden jetzt öffnen
Protest Der Wirtschaftsförderverein Reischenau fordert in einem offenen Brief, die Geschäfte wieder öffnen zu dürfen
Dinkelscherben Jetzt reicht es den Einzelhändlern in Dinkelscherben. Sie wollen ihre Läden endlich wieder öffnen. Mittlerweile sei nicht mehr nachvollziehbar, welche Geschäfte nun öffnen dürfen und warum, erklären die Händler in einem offenen Brief. In diesem Schreiben richtet sich der Wirtschaftsförderverein Reischenau an die politischen Entscheidungsträger im Landkreis Augsburg, im Bezirk Schwaben und im Freistaat Bayern. Die Forderung: Den Einzelhandel und lokale Betriebe ohne Beschränkung auf ein bestimmtes Sortiment wieder öffnen zu dürfen.
Der Einkauf im Dorfladen sei keineswegs gefährlicher oder ansteckender als der in einem überfüllten Supermarkt. Die Regelung, dass Geschäfte ihr Gesamtsortiment verkaufen dürfen, wenn dieses aus über 50 Prozent so genannter erlaubter Waren besteht, also zum Beispiel Lebensmittel, sei ad absurdum geführt. Der einzelne Ladenbesitzer könne – wenn nicht sogar besser als im Großmarkt – Hygienekonzepte, Abstandsregeln und Maskenpflicht einhalten und kontrollieren.
Claudia Strobl spricht deshalb von einer „gemeinen Wettbewerbsverzerrung“. Die Inhaberin des Bekleidungshaus Kraus sagt, es sei sehr ungerecht, dass Supermarktketten in riesigen Nonfood-Abteilungen Bekleidung verkaufen dürfen, während sie in ihrem Bekleidungshaus auf das Konzept Click an Meet zurückgreifen muss. Zur ihr können die Kunden also nur in den Laden kommen, wenn sie einen Termin haben. „Das ist ein Notnagel, aber mit einem offenen Geschäft ist das nicht zu vergleichen“, erklärt sie.
Das Bekleidungshaus existiert seit 1936 in Dinkelscherben. 1994 wurde es umgebaut. Claudia Strobl wohnt selbst in dem Haus. Sie plagen nach drei Monaten Lockdown schlaflose Nächte. Denn auch sie hat laufende Kosten und die bestellte Ware zu bezahlen. Dieses Jahr wird sie an ihre Altersvorsorge gehen müssen, um die Kosten zu decken.
Viele, vor allem ältere Kunden, freuen sich, dass sie jetzt zumindest nach einer Terminvereinbarung wieder ins Geschäft kommen können. Hier werden sie beraten und die Kleidung wird individuell angepasst und abgesteckt, falls nötig. Als Claudia Strobl erfuhr, dass sie Kunden mit Terminen empfangen darf, hat sie gleich mehrere Behörden und Ämter angerufen erzählt sie. Sie habe sich nach den detaillierten Regeln erkundigt. Doch niemand habe ihr etwas Genaues sagen können. „Die Regierung hat uns komplett allein gelassen.“Die monatelange psychische Belastung sei ohnehin enorm. Finanzielle Hilfen vom Staat habe sie für ihr Bekleidungshaus nicht erhalten. Keine einfache Zeit für sie. Doch es trifft nicht nur Claudia Strobl. Sie warnt, dass es vor allem die Arbeitsplätze von Frauen seien, die im Einzelhandel auf dem Spiel stünden.
Die Sprecherin des Dinkelscherbener
Einzelhandels, Birgit MeyerLutz, verkauft Haushaltswaren und Geschenke in ihrem Geschäft in Dinkelscherben. Sie fühlt sich nicht weniger allein gelassen. Viele Fragen seien noch immer ungeklärt: Sollen die Händler beim Terminshoppen die Tür auflassen? Abschließen, sobald ein Kunde im Laden ist? Damit die Leute überhaupt wissen, wie sie ihre Händler erreichen können, hängen in Dinkelscherben an vielen Ladentüren nun Zettel mit Telefonnummern und weiteren Informationen.
Birgit Meyer-Lutz beklagt, dass sie auch nach drei Monaten ohne Verkauf ihre laufenden Kosten decken müsse. Das Terminshoppen, das sie anbietet, diene vor allem der Kundenbindung, erklärt sie. Warum sie ihr Geschäft nicht öffnen darf, versteht sie nicht. Von den Städten mit höheren Inzidenzen sei Dinkelscherben doch weit entfernt. Nach Angaben des Landratsamtes ist in der Gemeinde im Moment ein Bürger positiv auf das Coronavirus getestet. In vielen anderen ländlichen Gemeinden sieht es ähnlich aus. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben ruft deshalb dazu auf, den regionalen Spielraum für Öffnungen voll auszunutzen. So erklärte Reinhold Braun, Vorsitzender der IHK-Regionalversammlung Augsburg-Land, dass die Kombination aus Schnell- oder Selbsttests mit den umfangreichen Hygiene- und Schutzmaßnahmen der Einzelhändler, Gastronomen und Hotelbetriebe die intelligente Öffnungsperspektive und Strategie auf regionaler Ebene sei, „die wir und unsere Unternehmen im Landkreis Augsburg so dringend benötigen, um nicht dauerhaft wirtschaftlichen Schaden zu nehmen“. Peter Schäfer, Geschäftsführer von Medele Schäfer, erklärte, dass die Öffnung von Blumenläden, Baumärkten und Friseuren bei gleichzeitiger pauschaler Dauerschließung von Einzelhändlern, Gastronomen und Hotels für ihn nicht nachvollziehbar sei.