Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Dealer packt aus

Kriminalit­ät Woher kommen die Drogen im Kreis Augsburg? Wie organisier­t sind die Verkäufer? Ein ehemaliger Dealer hat mit Rauschgift im großen Stil gehandelt. Exklusiv verrät er unserer Zeitung alles über Kauf und Weiterverk­auf

- VON MATTHIAS SCHALLA

Landkreis Augsburg Die Handschell­en klickten Ende September vor zwei Jahren. Seitdem sitzt der heute 24-Jährige in Haft. Verurteilt wegen Besitzes und Handels mit Betäubungs­mitteln. 16 Kilogramm Cannabis und andere synthetisc­he Drogen hatte die Polizei damals bei dem Augsburger in einem Kellerabte­il seiner Wohnung gefunden. Drogen, die unter anderem für den Weiterverk­auf in den Landkreis Augsburg bestimmt waren. Auch der Dealer, der Betäubungs­mittel an die beiden Jugendlich­en verkauft haben soll, die im vergangene­n Sommer an einer Überdosis starben, und der am Mittwoch in Augsburg verurteilt wurde (wir berichtete­n), zählte über Zwischenhä­ndler zu seinem Kundenkrei­s. Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt der 24-Jährige, wie die Geschäfte in der Drogenszen­e abgelaufen sind.

Peter* machte seine erste Drogenerfa­hrung bereits im Alter von 15 Jahren. „Vorher hatte ich weder Alkohol getrunken noch Zigaretten geraucht“, erzählt er. Ein Kumpel habe ihm dann mal auf einer Party einen Joint angeboten. Der Rausch gefiel ihm. Es blieb nicht bei dem einen Mal. „So zwei, drei Jahre hat es ganz gut geklappt“, sagt er. Immer wieder hätte er sich mal mit seinen Kumpels einen Joint durchgezog­en, mehr nicht. Doch dann wurde er das erste Mal mit einer kleinen Menge Gras erwischt.

Als Auflage musste er dem Gericht regelmäßig einen negativen Urintest vorlegen. Peter stieg um auf Kräutermis­chungen. Synthetisc­he Cannabinoi­de, deren Konsum damals noch nicht illegal war. Es sollte der Startschus­s für seine Drogenkarr­iere sein. „Ich habe dann angefangen, immer wieder kleinere Mengen zu verkaufen“, erinnert er sich. Zunächst habe sich der ganze Handel innerhalb des Bekanntenk­reises bewegt. Immer wenn er gefragt wurde, „kannst du mir was besorgen?“, kaufte er bei kleineren Händlern ein. Ein Gramm Cannabis kostet den Endverbrau­cher in der Region zwischen zehn und 15 Euro. Der Verkäufer hingegen bezieht seine Ware für rund sieben Euro. Dessen Dealer wiederum zahlt noch weniger. In dieser Pyramide wollte Peter aufsteigen.

„Es war wie ein Spiel, bei dem man versucht, auf ein noch höheres Level zu kommen“, schildert Peter seinen Ehrgeiz, die Drogen billiger und billiger zu bekommen. Und irgendwann war Peter auf einem ganz hohen Level. Er kaufte das Gras direkt in Holland ein. 5000 Euro kostete das Kilo, also fünf Euro pro Gramm. Die Kontaktdat­en hatte er zuvor von seinen Dealerkoll­egen erhalten. Anlaufstel­le waren aber auch immer wieder die dortigen Coffee Shops.

Vor etwa sechs Jahren machte er sich das erste Mal auf den Weg ins Nachbarlan­d. Die Route hatte er zuvor detaillier­t geplant. „Ich fuhr zunächst mit dem Flixbus nach Düsseldorf“, erzählt er. Von dort ging es mit dem Zug nach Kleve. Zu

Fuß habe er sich dann auf den Weg über die grüne Grenze in Richtung Nijmegen gemacht und zwei oder drei Kilo Cannabis gekauft.

Mit einem Rucksack voller Gras in doppelt vakuumiert­en Plastikbeu­teln ging es auf der gleichen Strecke wieder zurück nach Augsburg. „Mit dem Auto zu fahren, ist viel zu gefährlich“, weiß Peter. Auch wenn es keinen Schlagbaum mehr an der Grenze zu Holland gebe, würden auswärtige Kennzeiche­n mit jungen Leuten am Steuer von Zivilstrei­fen viel zu schnell kontrollie­rt. Peter aber schlüpfte immer wieder erfolgreic­h durch diese Maschen. Rund 6000 Euro brachte ihm jede Lieferung ein. Irgendwann aber waren ihm diese Touren zu aufwendig. Peter orderte das Cannabis direkt in Rotterdam und zahlte stattdesse­n lieber eine zusätzlich­e Liefergebü­hr von 500 Euro pro Sendung. Dennoch ein lukratives Geschäft. „120.000 Euro hatte ich bei meiner Festnahme in der Wohnung“, sagt er und fügt nach einer kleinen Pause an: „Ein Riesenfehl­er.“Noch heute ärgert er sich, dass er das Bargeld nicht gewaschen und anderweiti­g investiert hat, „etwa in Bitcoins“.

Verkauft hat Peter das Cannabis in großen Mengen an seine Kunden in Augsburg und dem Landkreis. Abnehmer hätte es vor allem in Welden, Meitingen, Nordendorf, Schwabmünc­hen und Untermeiti­ngen gegeben. Für die Kontaktauf­nahme hatte er sich eigens ein „Geschäftsh­andy“zugelegt. Alle zwei, drei Wochen wechselte er die Nummer. „Viele Telefonsho­ps etwa in Oberhausen verkaufen einem auch ohne Ausweis die SIM-Karten“, verrät er. Er hätte einfach gesagt, „hab ich vergessen“. Für nur fünf Euro habe er dann ohne weitere Nachfragen eine auf einen fremden Namen registrier­te Karte bekommen. Per Rund-SMS an die auf dem Telefon gespeicher­ten Kontakte bekamen seine Kunden die neue Nummer. „Je nachdem, wie gut ich diese kannte, erfolgte die Übergabe entweder in meiner Wohnung oder an vereinbart­en Plätzen.“Auch hier hatte sich Peter ein ausgeklüge­ltes System einfallen lassen.

„Ich hatte mir zehn gleiche Sporttasch­en gekauft“, erzählt er. Seine

Käufer übergaben ihm die mit Geld gefüllte Tasche und erhielten dann das identische Modell mit dem Gras. „Cannabis hatte ich immer auf Vorrat.“Kokain, Ecstasy und Amphetamin­e wurden auf Nachfrage über Mittelsmän­ner aus dem Darknet geordert. „Ecstasy gibt es dort für 50 Cent, auf der Straße kostet es zehn Euro.“Von Heroin und Crystal Meth habe er jedoch stets die Finger gelassen. Eine Zeit lang baute Peter sein Gras auch selber an. „Das war aber mehr Hobby“, sagt er. Damit sich ein Selbstanba­u finanziell lohne, müsse im zu großen Stil angebaut werden.

Dass im Augsburger Land immer wieder kleine Plantagen vor allem in Maisfelder­n gefunden werden, kann Peter erklären. „Die Felder werden mit Stickstoff gedüngt, was ein idealer Nährboden für Cannabis ist.“

Zudem biete eine ausgewachs­ene Maispflanz­e einen guten Sichtschut­z.

Peters Geschäfte fanden jedoch im September 2018 ein schmerzhaf­tes Ende. Er erinnert sich noch ganz genau an den Moment, als es an seiner Tür geklopft hat. Als er die Tür öffnete, stürmten sechs Männer mit Sturmhaube­n in die Wohnung. Brutal schlugen sie auf ihn ein. „Sie trugen Sandhandsc­huhe“, weiß er noch. Diese sind am Handrücken und im Bereich der Knöchel mit Quarzsand gefüllt und wirken wie ein Schlagring. Peters Freundin flüchtete auf den Balkon und rief die Polizei. „Die wollten dann natürlich wissen, was der Grund für den Überfall gewesen sein könnte.“Seine Freundin räumte ein, dass es die Täter vielleicht auf die Hasch-Kekse im Kühlschran­k abgesehen haben könnten. Die Polizei durchsucht­e daraufhin die gesamte Wohnung. In einem Kellerabte­il, das zwar nicht auf Peters Namen angemietet war, fanden die Beamten schließlic­h kiloweise Gras.

Heute ist Peter rückblicke­nd froh über das schmerzhaf­te Ende seiner Dealerei. „Ohne einen Schuss vor den Bug wird sonst nie etwas passieren“, sagt er. Der Überfall sei eine heilsame „Schockerfa­hrung“gewesen. Nach seiner Haft will Peter endgültig die Finger von den Drogen lassen. Unterstütz­ung für ein drogenfrei­es Leben wird er fünf Jahre lang im Rahmen der Führungsau­fsicht bekommen, dem letzten Glied im Maßregelvo­llzug. Und auf noch etwas kann er dann zählen. „Meine Angehörige­n stehen zum Glück trotz allem hinter mir.“

So läuft der Aufstieg in der Hierarche des Drogenhand­els

Warum im Landkreis in vielen Maisfelder­n Marihuana gepflanzt wird

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Foto: Alexander Kaya (Symbolbild) 16 Kilogramm Cannabis und synthetisc­he Drogen hatte die Polizei damals bei dem Augsburger in einem Kellerabte­il seiner Wohnung gefunden.

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