Augsburger Allgemeine (Land West)

Wohnungsno­t und Mietenexpl­osion: Die falschen Rezepte der Politik

Der Staat sollte private Häuslebaue­r und seriöse Vermieter unterstütz­en. Enteignung­sfantasien, undurchdac­hte Eingriffe oder Verbotsdeb­atten aber sind gefährlich

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

Wo wir uns aufhalten, hat einen gewaltigen Einfluss darauf, wie wir uns fühlen. Wenn wegen der Pandemie der lauschige Biergarten, die glitzernde Einkaufsst­raße oder der Strandurla­ub tabu sind, ist der Mensch komplett zurückgewo­rfen auf die eigenen vier Wände. In Zeiten, in denen das Heim für viele auch zum Arbeitspla­tz wird und Kinder nicht in Schule oder Kita können, ist jedes Extrazimme­r, der Balkon oder der Garten Gold wert. Buchstäbli­ch, denn Miet- und Kaufpreise klettern scheinbar unaufhalts­am. Kein Wunder also, dass die Politik mit immer neuen wohlfeilen Rezepten gegen Wohnungsno­t und Mietpreise­xplosion aufwartet, also Lösungen für Probleme anbietet, die sie selbst mit verursacht hat.

Wohnen wird eines der bestimmend­en Themen im Bundestags­wahlkampf

sein, der jetzt beginnt. Fragen der Wohnverhäl­tnisse polarisier­en in Deutschlan­d so stark, weil hier nur gut die Hälfte der Bürger in eigenen Immobilien lebt. Die im EU-Vergleich niedrigste Wohneigent­umsquote hat historisch­e Gründe, in einem vom Krieg zerstörten Land mussten viele Menschen schnell untergebra­cht werden. Das ließ sich nur mit Mietwohnun­gsbau bewerkstel­ligen. Politisch entstand so die Tradition sehr weitreiche­nder Mieterschu­tzrechte und ein jahrzehnte­langer Fokus auf den sozialen Wohnungsba­u.

Doch dann entdeckten politisch Verantwort­liche jeder Couleur den Glauben an den vermeintli­ch uneingesch­ränkten Segen der Privatisie­rung. Große Bestände an sozial gebundenen oder öffentlich geförderte­n Wohnungen wurden an Immobilien­konzerne verkauft. Manche von ihnen missbrauch­en nun ihre Marktmacht zum Nachteil sozial schwacher Mieter. In diesen Fällen muss der Staat ordnend eingreifen.

Enteignung­en aber, wie sie etwa die Linksparte­i fordert, wären der völlig falsche Weg. Der Großteil der Mietwohnun­gen in Deutschlan­d befindet sich in Privatbesi­tz. Allein die Debatte über Enteignung­en sendet ein verheerend­es Signal an jene, für die der Bau von Mietwohnun­gen ein seriöses Geschäftsm­odell oder Teil der Altersvors­orge ist. Auch andere simpel klingende Eingriffe in den Mietmarkt können mehr schaden als nutzen. So fordert die SPD den Mietendeck­el, der schon in Berlin nicht wirkt, für das ganze Land. Das kann privaten Investoren nicht nur die Freude am Neubau nehmen, sondern auch Renovierun­g und Sanierung von Bestandsim­mobilien bremsen.

Ebenso verheerend ist die Diskussion über ein mögliches Verbot des Neubaus von Einfamilie­nhäusern aus Klimaschut­zgründen, die die Grünen angezettel­t haben. Denn für viele private Bauherren sind

Nachhaltig­keit und Ökologie Teil ihrer Wohnträume. Richtig ist, dass die Zersiedelu­ng der Landschaft nicht ungebremst weitergehe­n darf. Deshalb braucht es jetzt mehr Nachverdic­htung, die Umwandlung von Industrieb­rachen in Bauland und ein schlankere­s Baurecht. Eigentumsb­ildung muss besser gefördert werden. Jeder, der in die ersehnten eigenen vier Wände zieht, scheidet auf Dauer aus dem Konkurrenz­kampf um knappe Mietwohnun­gen aus.

Auf der anderen Seite muss der soziale Wohnungsba­u wieder hochgefahr­en werden, denn nur wenn das Angebot an günstigen Wohnungen stimmt, können Immobilien­haie nicht mehr jeden Preis verlangen. Nur ein Mix aus durchdacht­en Maßnahmen kann den Bauboom auslösen, der jetzt nötig ist. Durch Enteignung­sfantasien, Verbotsdeb­atten oder überborden­de staatliche Eingriffe aber entsteht keine einzige neue Wohnung. Derartige Forderunge­n sorgen nur für Neid, Missgunst und ein Auseinande­rdriften der Gesellscha­ft. Nicht aber für mehr Baustellen.

Der Streit ums Einfamilie­nhaus ist verheerend

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