Augsburger Allgemeine (Land West)
Wohnungsnot und Mietenexplosion: Die falschen Rezepte der Politik
Der Staat sollte private Häuslebauer und seriöse Vermieter unterstützen. Enteignungsfantasien, undurchdachte Eingriffe oder Verbotsdebatten aber sind gefährlich
Wo wir uns aufhalten, hat einen gewaltigen Einfluss darauf, wie wir uns fühlen. Wenn wegen der Pandemie der lauschige Biergarten, die glitzernde Einkaufsstraße oder der Strandurlaub tabu sind, ist der Mensch komplett zurückgeworfen auf die eigenen vier Wände. In Zeiten, in denen das Heim für viele auch zum Arbeitsplatz wird und Kinder nicht in Schule oder Kita können, ist jedes Extrazimmer, der Balkon oder der Garten Gold wert. Buchstäblich, denn Miet- und Kaufpreise klettern scheinbar unaufhaltsam. Kein Wunder also, dass die Politik mit immer neuen wohlfeilen Rezepten gegen Wohnungsnot und Mietpreisexplosion aufwartet, also Lösungen für Probleme anbietet, die sie selbst mit verursacht hat.
Wohnen wird eines der bestimmenden Themen im Bundestagswahlkampf
sein, der jetzt beginnt. Fragen der Wohnverhältnisse polarisieren in Deutschland so stark, weil hier nur gut die Hälfte der Bürger in eigenen Immobilien lebt. Die im EU-Vergleich niedrigste Wohneigentumsquote hat historische Gründe, in einem vom Krieg zerstörten Land mussten viele Menschen schnell untergebracht werden. Das ließ sich nur mit Mietwohnungsbau bewerkstelligen. Politisch entstand so die Tradition sehr weitreichender Mieterschutzrechte und ein jahrzehntelanger Fokus auf den sozialen Wohnungsbau.
Doch dann entdeckten politisch Verantwortliche jeder Couleur den Glauben an den vermeintlich uneingeschränkten Segen der Privatisierung. Große Bestände an sozial gebundenen oder öffentlich geförderten Wohnungen wurden an Immobilienkonzerne verkauft. Manche von ihnen missbrauchen nun ihre Marktmacht zum Nachteil sozial schwacher Mieter. In diesen Fällen muss der Staat ordnend eingreifen.
Enteignungen aber, wie sie etwa die Linkspartei fordert, wären der völlig falsche Weg. Der Großteil der Mietwohnungen in Deutschland befindet sich in Privatbesitz. Allein die Debatte über Enteignungen sendet ein verheerendes Signal an jene, für die der Bau von Mietwohnungen ein seriöses Geschäftsmodell oder Teil der Altersvorsorge ist. Auch andere simpel klingende Eingriffe in den Mietmarkt können mehr schaden als nutzen. So fordert die SPD den Mietendeckel, der schon in Berlin nicht wirkt, für das ganze Land. Das kann privaten Investoren nicht nur die Freude am Neubau nehmen, sondern auch Renovierung und Sanierung von Bestandsimmobilien bremsen.
Ebenso verheerend ist die Diskussion über ein mögliches Verbot des Neubaus von Einfamilienhäusern aus Klimaschutzgründen, die die Grünen angezettelt haben. Denn für viele private Bauherren sind
Nachhaltigkeit und Ökologie Teil ihrer Wohnträume. Richtig ist, dass die Zersiedelung der Landschaft nicht ungebremst weitergehen darf. Deshalb braucht es jetzt mehr Nachverdichtung, die Umwandlung von Industriebrachen in Bauland und ein schlankeres Baurecht. Eigentumsbildung muss besser gefördert werden. Jeder, der in die ersehnten eigenen vier Wände zieht, scheidet auf Dauer aus dem Konkurrenzkampf um knappe Mietwohnungen aus.
Auf der anderen Seite muss der soziale Wohnungsbau wieder hochgefahren werden, denn nur wenn das Angebot an günstigen Wohnungen stimmt, können Immobilienhaie nicht mehr jeden Preis verlangen. Nur ein Mix aus durchdachten Maßnahmen kann den Bauboom auslösen, der jetzt nötig ist. Durch Enteignungsfantasien, Verbotsdebatten oder überbordende staatliche Eingriffe aber entsteht keine einzige neue Wohnung. Derartige Forderungen sorgen nur für Neid, Missgunst und ein Auseinanderdriften der Gesellschaft. Nicht aber für mehr Baustellen.
Der Streit ums Einfamilienhaus ist verheerend