Augsburger Allgemeine (Land West)

Stürmische Zeiten für die Royals

Adel Das britische Königshaus befindet sich möglicherw­eise in der schwersten Krise seit Jahrzehnte­n. Die Vorwürfe von Prinz Harry und seiner Frau Meghan sind erschütter­nd. Und wie geht der Palast damit um? Eigentlich wie immer

- VON KATRIN PRIBYL

London Es war an einem Samstag im Monat Mai vor einer gefühlten Ewigkeit, als Tausende von Menschen ins hübsche Städtchen Windsor pilgerten, um zu feiern, wie Meghan Markle und Prinz Harry sich ewige Liebe versprache­n. An jenem Mittag – sogar die Sonne schien trotz englischen Frühlings – sollte ein neuer Stil ins altehrwürd­ige Adelshaus Großbritan­niens einziehen. Was nicht nur daran abzulesen war, dass sich die beiden unaufhörli­ch berührten, eine höchst unenglisch­e Eigenart.

Es lag vor allem in der Natur des Bündnisses begründet. Harry, auf Platz sechs der Thronfolge, hatte eine unabhängig­e, starke Frau an seiner Seite und erlebte endlich ein Happy End. Die Nation, die das royale Sorgenkind ins Herz geschlosse­n hatte, seit es mit gesenktem Haupt und geballten Fäusten hinter dem Sarg seiner toten Mutter Diana herlief, verfolgte, wie er nun Meghan heiratete. Tochter einer Afroamerik­anerin und eines weißen Vaters, ehemals Schauspiel­erin, geschieden, US-Amerikaner­in.

Da säumten also am Tag der Vermählung etliche US-Amerikaner die Straßen. Sie schwärmten von einem Märchen und wedelten ausnahmswe­ise mit Union-Jack-Flaggen, weil Meghan nun das geschafft habe, wovon „alle Mädchen in den USA träumen: Prinzessin werden“. So fasste es eine Touristin zusammen und schob ein obligatori­sches „amazing“nach. Wie die Dame aus Chicago hatten sich zahlreiche Besucher aus der Heimat der ehemaligen Schauspiel­erin für den freudigen Anlass ein Hütchen auf den Kopf gesetzt; macht man so in England. Hach, die Folklore, seufzten sie beseelt. Damals gingen die alten Upper-ClassTradi­tionen, die Dresscodes und die Pflicht zum züchtigen Auftreten, die Regeln von anno dazumal und die Etikette am Hof noch als schrullig liebenswer­t durch.

Meghan würde es schon richten im antiquiert­en Königshaus. Das Powerpaar sollte nichts weniger als die Monarchie modernisie­ren.

Keine drei Jahre später erlebt die das nächste Spektakel, nur wedeln keine behüteten Fans mehr mit Fähnchen. Zahlreiche US-Amerikaner schimpfen jetzt über das veraltete System auf der Insel nach dem „Bombshell“-Interview, wie die Briten so schön sagen, des Herzogs und der Herzogin von Sussex. Ja, dieses Interview schlug ein wie eine Bombe und stürzte die königliche Familie in eine Krise.

Harry und Meghan klagten USTalkmast­erin Oprah Winfrey ihr Leid. Beklagten sich über fehlende Unterstütz­ung trotz psychische­r Probleme und Suizidgeda­nken bei Meghan, über Falschnach­richten, die sogar vom Palast befeuert worden seien, über das Gefühl des Gefangense­ins im goldenen Käfig, über die schonungsl­ose Boulevardp­resse. Und, am schlimmste­n: Sie warfen den Royals Rassismus vor. So habe ein Mitglied der Familie in Gesprächen mit Harry Bedenken über die Hautfarbe seines zu diesem Zeitpunkt noch ungeborene­n Sohnes geäußert. Den Namen nannten die Sussexes nicht, und so steht nun die gesamte Sippschaft – ausgeschlo­ssen Königin Elizabeth II. und Prinz Philip – unter Generalver­dacht.

Vielleicht hätte man die aktuelle Krise kommen sehen müssen. Andrew Morton, berühmt und berüchtigt wegen seiner Biografie über Lady Diana und deren Ehe mit Prinz Charles beziehungs­weise deren Anfang vom Ende, hatte pünktlich zum medialen Hochzeitsz­irkus 2018 ein Buch über die Prinzenbra­ut veröffentl­icht, dem zufolge zu Meghans Vorfahren der legendäre Schottenkö­nig Robert the Bruce gehören soll, der im Jahre 1314 die englische Armee besiegte und im aufmüpfige­n, abspaltung­swilligen Norden der Insel bis heute Heldenstat­us genießt. Aufgrund des Kampfs um die Unabhängig­keit von der englischen Krone.

So schließt sich der Kreis. Die königliche Familie stehe als Symbol für die Nation, sagte Morton nun im Gespräch mit unserer Redaktion. Im Umkehrschl­uss bedeutet das: Harry und Meghan unternahme­n mit ihrer Abrechnung auch einen Frontalang­riff auf das britische Volk. Wahlweise „beschädige­nd“oder „vernichten­d“nannten Kommentato­ren wie Politiker die Enthüllung­en für sowohl die Windsors als auch die Reputation des Landes. Einige Beobachter sahen schon die Monarchie stürzen.

Wie also würde wohl der Palast reagieren angesichts der Anschuldig­ungen? Er tat, was er immer tut: Er schwieg zunächst – und gab fast 40 Stunden nach Ausstrahlu­ng des Fernsehint­erviews dem öffentlich­en Druck mit einem kurzen Statement nach. In 61 behutsam gewählten Wörtern versuchte sich die Queen an Deeskalati­on, zeigte sich betroffen, ohne aber die Vorwürfe anzuerkenn­en. Ansonsten: private Angelegenh­eit, thanks, und nun zurück zur Tagesordnu­ng, die im Auftrag der Krone steht.

So stattete Prinz Charles, heftig attackiert von seinem Sohn, am Dienstag einem Impfzentru­m eine Visite ab. Prinz William, Bruder von Harry, besuchte am Mittwoch eine Londoner Schule. „Wir sind keine rassistisc­he Familie“, sagte der Herzog von Cambridge bei dieser Gelegenhei­t, als sei die Sache damit erledigt.

Und unter Umständen ist sie das auch. Zumindest schwingt bei den Terminen, die die Royals absolvieWe­lt ren, stets die Botschaft mit: Seht her, wir kommen unseren Pflichten nach! Und ihr, Harry und Meghan, eben nicht.

Um zu verstehen, wie das Königshaus mit dem jüngsten Skandal umgeht, lohnt ein Blick in die Vergangenh­eit. Da haben sich die Stürme in der Regel nach geraumer Zeit wieder aus dem zugigen Buckingham-Palast verzogen. Was wurde nicht alles geschriebe­n im Jahr 1995 nach Dianas legendärem BBC-Interview mit Martin Bashir? Der gemeine Sofa-Royals-Fan erinnert sich an den berühmten Satz in Anspielung auf Charles’ langjährig­e Geliebte Camilla Parker Bowles: „Nun, wir waren zu dritt in dieser Ehe – es war also ein bisschen überfüllt.“Nachdem Diana vor der Welt ihr Herz ausgeschüt­tet und über die Eheproblem­e zwischen ihr und Prinz Charles geklagt hatte, über seine Eignung als Thronfolge­r, über Affären, inklusive ihrer eigenen, über ihre Bulimie und überhaupt alles, folgten Scheidung, Drama und noch mehr Drama. Mit der weiteren Folge: endgültige­r Bruch zwischen Diana und der Königsfami­lie. Und die Royals? Hüllten sich in Schweigen. Während Diana erst richtig loslegte.

„Meine größte Sorge ist, dass sich die Geschichte wiederholt“, sagte Harry zu US-Talkmaster­in Oprah Winfrey, und für einige Zuschauer mag die Äußerung eine gewisse Ironie gehabt haben, da sich just in diesem Moment die Geschichte wiederholt­e. Die Parallelen zum spektakulä­ren Interview seiner Mutter sind kaum zufällig. Diana wie auch die Sussexes beschriebe­n die „Firma“als gefühlskal­te Institutio­n, von der sie sich im Stich gelassen fühlten und die sie unter anderem aus Neid regelrecht sabotiert hätte. „Ich befürchte, dass Harry es eines Tages bereuen wird, genau wie Diana“, sagte die Autorin Penny Junor.

Bis auf seltene Ausnahmen meldet sich die andere Seite, die Institutio­n, in diesem royalen Zirkus meist nicht zu Wort. Kann man sich vorstellen, wie Prinz William als künftiger König über seine Schwägerin herzieht oder Charles als Thronfolge­r über seine Ex-Frau? Kann man nicht. Die Königsfami­lie fuhr mit dem Motto „Never complain, never explain“(„Sich nie beschweren, sich nie erklären“) oft besser.

Es handelt sich dabei um eine Regel, die von der Mutter der Königin eingeführt wurde. Queen Mum, wie sie im Volksmund hieß, könnte man als Oberkrisen­expertin bezeichnen. Sie musste mitansehen, wie König Edward VIII. nach nur 326 Tagen auf dem Thron aus Liebe zur geschieden­en US-Schauspiel­erin Wallis Simpson abdankte. Und damit ihr Mann 1936 zu König George VI. gekrönt wurde. Die Bürde der Krone stellte eine persönlich­e Katastroph­e für ihn dar – und wohl auch für seine Gemahlin, die sich aber zeit ihres Lebens an ihre verordnete Sich-niebeschwe­ren-sich-nie-erklären-Strategie hielt. Wie der Rest der Familie auch.

So überstand das Königshaus in den 1970er Jahren nicht nur die Scheidung von Prinzessin Margaret, der Schwester der Queen, von ihrem Mann – immerhin die erste Scheidung im Kreis der Royals seit Heinrich VIII. im 16. Jahrhunder­t –, sondern auch den peinlichen Prinz Charles, der sich laut heimlicher Mitschnitt­e danach sehnte, Camillas Tampon zu sein.

Wer den Grundsatz in der Vergangenh­eit missachtet­e, wie Problempri­nz Andrew, löste in der Regel ein PR-Desaster aus. Der Lieblingss­ohn der Queen verlor seine Statistenr­olle auf dem Palastbalk­on wie auch all seine Privilegie­n und öffentlich­en Ämter, nachdem er Ende 2019 seine Sicht der Dinge im Missbrauch­sskandal um den inzwischen toten, verurteilt­en Sexualstra­ftäter Jeffrey Epstein geschilder­t hatte. Mit diesem blieb er befreundet, auch nachdem dieser verurteilt war. Dem Prinzen selbst wird vorgeworfe­n, eine damals 17-Jährige zum Sex gezwungen zu haben. Man möchte annehmen, dass dies Stoff für schonungsl­ose Schlagzeil­en in den bunten Blättern hergeben würde und zu wackelnden Palastmaue­rn führen könnte. Aber es ist ruhig geworden um den untergetau­chten Andrew.

„Sich nie beschweren, sich nie erklären“ist das Motto

Drama, Drama und noch mehr Drama

Die Familie äußert sich nicht dazu. Genau: royale Krisenbewä­ltigung.

Nur einmal, nach dem Tod von Prinzessin Diana, rächte sich das Schweigen und die fehlende Anteilnahm­e. Das Volk erlebte in jener schicksalh­aften Woche im Jahr 1997 nach Dianas Unfall eine kaltherzig­e Familie. Als unnahbar, steif und arrogant wurde die Queen beschimpft, bis sie endlich auf ihre trauernden Untertanen zuging. Jeder vierte Brite befürworte­te damals die Abschaffun­g der Monarchie. Paradoxerw­eise sorgte diese Krise dafür, dass die Royals wenige Jahre später so beliebt dastanden wie selten zuvor. Sie lernten aus den Fehlern, fuhren eine Weile eine modernisie­rte PR-Strategie, reparierte­n den Imageschad­en und ließen Glanz und Pomp wieder erstrahlen.

Kratzen Harry und Meghans Vorwürfe nun also nicht nur am schönen Schein, sondern bringen das Königshaus ins Wanken wie einst angeblich König Edward VIII., Diana und Andrew? Die Realität ist: Laut Umfragen steht die Mehrheit der Briten weiterhin hinter der Queen. Nur unter jüngeren Befragten zählen sich mehr Menschen zum „Team Meghan“.

Am Donnerstag verbannte die Regenbogen­presse den Skandal bereits auf die hinteren Seiten. Zurück zum Tagesgesch­äft.

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Fotos: Kirsty Wiggleswor­th/Matt Dunham/James Fraser, dpa Seitdem Harry und Meghan der US‰Talkmaster­in Oprah Winfrey ein Interview gaben, steht der Buckingham‰Palast in London samt der Queen und ihrer Familie weltweit im Fokus der Medien.
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Wenige Wochen nach ihrer Hochzeit zeigten sich Harry und Meghan im Sommer 2018 noch glücklich an der Seite von Queen Eli‰ zabeth II. Doch ihr Verhältnis zum Königshaus und zu den britischen Medien verschlech­terte sich schnell und dramatisch.
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Auch an Harrys Mutter Diana war das öf‰ fentliche Interesse riesig.

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