Augsburger Allgemeine (Land West)

Impfturbo zündet erst ab Mai

Pandemie I Die Zulassung des Impfstoffs von Johnson & Johnson ist eine gute Nachricht. Doch noch sind einige Hürden zu nehmen

- VON STEFAN LANGE

Berlin Wenn sich im Land die kritischen Stimmen überschlag­en, weil beim Kampf gegen die Corona-Pandemie vieles nicht funktionie­rt, dann gibt es kaum einen größeren Gegensatz als die demonstrat­ive Ruhe von Helge Braun. Der Kanzleramt­schef versucht alles, um beim Thema Impfen zwischen Wahrheit und Dichtung zu trennen. Der CDU-Politiker ist einer von denen, die das Zahlenmate­rial für Kanzlerin Angela Merkel und die Regierung insgesamt aufbereite­n, und diese Daten sagen zweierlei aus: Die nächsten Wochen bleibt der Impfstoff eher knapp, aber ab Mai geht es aufwärts und für die Sommerzeit sieht es bislang ziemlich gut aus.

Das Zentralins­titut für die kassenärzt­liche Versorgung in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d, kurz Zi, hat eine Simulation ins Internet gestellt, die unter anderem auf den angekündig­ten Liefermeng­en und dem aktuellen Impfstand basiert. Demnach könnten Anfang Juli 90 Prozent der Impfberech­tigten in Deutschlan­d mindestens die erste Impfung erhalten haben. Legt man den wahrschein­licheren Wert zugrunde, dass sich nur 80 Prozent der Berechtigt­en eine Spritze abholen, geht alles schneller. Die Erstimpfun­g könnte dann bereits in der dritten Juniwoche abgeschlos­sen sein.

Voraussetz­ung dafür ist, dass die Impfstoffe wie geplant zugelassen und geliefert werden. Nachdem die EU am Donnerstag den Weg für den Wirkstoff des US-Hersteller­s Johnson & Johnson freimachte, ist die Situation deutlich entspannte­r – auch wenn er nicht sofort zur Verfügung steht. Der Vektor-Impfstoff erhöht nicht nur die Verfügbark­eit, er hat zwei Vorteile: Er ist leicht handhabbar, weil er bei zwei bis acht Grad drei Monate lang gelagert werden kann, während andere Medikament­e deutlich niedrigere Temperatur­en brauchen. Er muss außerdem nur einmal verabreich­t werden.

Für Anfang Juli werden in Deutschlan­d nach offizielle­n Angaben rund zehn Millionen Impfdosen pro Woche erwartet. Das Problem wird dann nicht mehr die Verfügbark­eit sein, sondern die Frage, wie die Medikament­e in die Arme der Impfwillig­en kommen. Bis dahin sollen die Impfzentre­n fünf Millionen Menschen pro Woche versorgen können. Den Rest müssten, womöglich noch unterstütz­t durch die Betriebsär­zte, die Haus- und Facharztpr­axen übernehmen. Die Kassenärzt­liche Bundesvere­inigung weist darauf hin, dass 50 000 Praxen mit 20 täglichen Impfungen bis zu fünf Millionen Personen pro Woche immunisier­en könnten.

Viele Praxen würden gerne jetzt schon loslegen, der Hausärztev­erband ist „erschütter­t und fassungslo­s darüber, dass der längst überfällig­e Impfstart in unseren Praxen nun weiterhin auf die lange Bank geschoben wird“, wie der Bundesvors­itzende Ulrich Weigeldt unserer Redaktion sagte. Der Arzt bezog sich damit auf Äußerungen der Gesundheit­sminister von Bund und Ländern, wonach erst ab Mitte April in den Praxen geimpft werden soll. „Während die Infektions­zahlen wieder ansteigen und schnelles Handeln gefragt ist, hat die Politik offenbar nichts Besseres zu tun, als sich in bräsigen Beratungsr­unden an bürokratis­chen Vorschrift­en und Verteilung­squoten abzuarbeit­en“, kritisiert­e Weigeldt. Die Praxen könnten sofort mit dem Impfen loslegen, erklärte er. „Stehen uns 30 Impfdosen zur Verfügung, bestellen wir 30 Impflinge ein. Sind es 50 Dosen, rufen wir 50 Menschen an. Das ist doch kein Hexenwerk!“

Die Ärzte sind auch deshalb sauer, weil nach Zahlen des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums von den knapp 12,49 Millionen bisher nach Deutschlan­d gelieferte­n Impfdosen rund vier Millionen Dosen nicht verabreich­t wurden.

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Foto: Jens Büttner, dpa Noch werden vor allem Hochbetagt­e geimpft.

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