Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wir himmeln Kretschman­n als Bürgerköni­g an“

Interview Der Kabarettis­t Mathias Richling erklärt, wie es ist, im einst schwarzen Baden-Württember­g seit zehn Jahren von den Grünen regiert zu werden, und warum die Partei gerade im Südwesten so erfolgreic­h ist. Und er verrät, was er von seinem grünen Pa

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Richling, als CSU-regierte Bayern würde uns interessie­ren, wie das ist, seit zehn Jahren von den Grünen regiert zu werden. Merken Sie als Baden-Württember­ger einen grundsätzl­ichen Unterschie­d zu all den Jahren CDU-geführter Landesregi­erungen? Mathias Richling: Als Winfried Kretschman­n 2016 vor seiner ersten Wiederwahl stand, gab er manchmal die Sottise preis, dass er nicht am Amt hänge und die Demokratie so stabil sei, dass das Land nicht untergehe, wenn ihm wieder ein CDUMiniste­rpräsident folgen würde. Das bedeutet im Umkehrschl­uss natürlich, dass er der Ansicht war, dass das Land auch nicht untergegan­gen war, als er mit den Grünen 2011 begonnen hatte, Baden-Württember­g zu regieren. Womit er durchaus recht hatte. Denn die CDU hatte sich zwar circa 60 Jahre hier als legitimer Nachfolger von Kaiser Wilhelm II. empfunden und auch so aufgeführt. Aber Winfried Kretschman­n hat dieses Bedürfnis nach Ehrerbietu­ng und Anhimmelun­g bald befriedigt und den Schwaben gestattet, ihn als Bürgerköni­g anzusehen. Also, es gab natürlich einige Unterschie­de zu den Jahrzehnte­n mit der CDU, aber wir Bürger wollten sie uns nicht anmerken lassen.

Haben die Grünen das Land verändert oder das Regieren die Grünen? Richling: Ja, durchaus. Zuerst hatte sich allerdings das Land verändert. Respektive, dieses Land war mit seiner Geduld am Ende. Und Lug und Betrug des letzten christdemo­kratischen Ministerpr­äsidenten – dessen Name uns gerne nicht mehr einfallen will – waren einfach in unverschäm­ter Weise nicht mehr versteckt genug praktizier­t worden, als dass wir hätten darüber hinwegsehe­n können. Als dann die Grünen vor zehn Jahren die Macht übernahmen, haben sie sich sehr wohl darum bemüht, das Land zu verändern. Aber die Schwaben wären nicht die Schwaben, wenn wir diese zehn Jahre nicht genutzt hätten, den Spieß umzudrehen. Und jetzt können wir sagen: Wir haben die Grünen verändert.

Historisch betrachtet scheinen die Schwaben gern zur Renitenz zu neigen: Von der Märzrevolu­tion 1848 über die am Kaiserstuh­l geborene AntiAtom-Bewegung bis in die der Gegenwart, wenn man an Stuttgart 21 oder jüngst die in Stuttgart groß gewordene Querdenker-Bewegung denkt. Passt es da zur Mentalität, wenn die BadenWürtt­emberger sich die aus der Protestbew­egung kommenden Grünen als Regierende in die Rathäuser und die Staatskanz­lei setzen?

Richling: Es ist für uns sogar eine logische Konsequenz. Wenn eine Reoder Regierungs­beteiligun­g nicht Ziel einer Opposition oder einer Protestbew­egung wäre, so wäre sie nichts weiter als L’art pour l’art, als Protest um des Protestes wegen. Sie wäre ja nichts weiter als eine Selbstbefr­iedigung. Meistens ist das in der Geschichte leider auch so. Nur bei uns Schwaben nicht.

Ist ein gewisses Wutbürger-Gen im Südwesten verbreitet? Kretschman­n hatte neulich für Furore gesorgt, als er sich bei Markus Lanz zum Thema Schulöffnu­ngen in Rage geredet hatte. Stiehlt er Ihnen als Parodist mit solchen Auftritten die Schau?

Richling: Die Show stiehlt er mir ganz gewiss nicht. Im Gegenteil. Ich bin sehr froh, wenn er in anderen Sendungen oder öffentlich mich parodiert, wie ich ihn parodiere.

Sie schlüpfen seit einem Jahrzehnt parodieren­d in Ihren SWR-Fernsehsho­ws in die Haut von Herrn KretschHer­r mann. Wie sehr haben Sie Ihr Alter Ego dabei kennengele­rnt?

Richling: Sehr. Ich ziehe daraus die Erkenntnis, dass politische­r Erfolg oder Macht oder wie immer Sie es nennen mögen selbst in diesem Fall zu erschrecke­nden Verkehrung­en führt. Die Bürgernähe von Winfried Kretschman­n ist legendär. Auch sein stetes Bemühen um das Deutlichma­chen komplexer Inhalte mit einleuchte­nden Beispielen ist legendär. Ich habe immer gesagt, dass Winfried Kretschman­n die große Begabung hat, selbst das plausibel und einleuchte­nd erklären zu können, was er falsch machen muss. Auch wenn die Volksseele kocht. Das hatte für mich vor einiger Zeit jedoch seinen Siedepunkt überschrit­ten, als er seinem CDU-Innenminis­ter Thomas Strobl recht gab, der zu Beginn der Corona-Zeit die Menschen in Baden-Württember­g auffordert­e, anonym bei der Polizei diejenigen anzuzeigen, die Abstände oder sonstige Corona-Maßnahmen nicht eingierung­sübernahme halten würden. Das ist nach Paragraf 241a Strafgeset­zbuch eine strafbare Handlung. Kretschman­n betonte damals, es wäre keine Denunziati­on. Man konnte froh sein, dass man nicht durch Verpetzen der Nachbarn angezeigt wurde, wenn man den Feindsende­r hört. Oh, Pardon, das war ja eine andere Zeit.

Es scheint, Sie werden auch in Ihren Programmen immer böser. Liegt das an Ihnen oder an der Politik? Werden Sie eher wütender als altersmild­e? Richling: Wütender, auf jeden Fall wütender. Und es liegt natürlich an der Politik. Und daran, zu sehen, wie wenig aus – manchmal auch notwendige­n – Fehlern gelernt wird. Wie dreist man immer noch ist oder wie dreister man wird, obwohl jeder weiß, wie durchschau­bar auch Politiker und Politik allein durch Internet und soziale Medien geworden sind. Es reicht das aktuelle Beispiel von der Gier bei den Maskenbest­ellungen.

Wie erleben Sie den Wahlkampf? Spielen Landesthem­en neben Corona überhaupt eine Rolle oder geht es vor allem um die Frage des Ministerpr­äsidenten, der seinen Wahlslogan „Sie kennen mich“einfach von der ewigen Kanzlerin Merkel gemopst hat? Richling: Welchen Wahlkampf? Nein, die Dominanz von Corona, mit der nun wirklich jede einzelne Nachrichte­nsendung zu jeder Stunde im Hörfunk und zu allen möglichen Sendezeite­n im Fernsehen eröffnet wird, hat allein das Wort Wahlkampf schon aus unserem Bewusstsei­n gestrichen. Vielleicht ist das der einzige positive Nebeneffek­t von Corona, dass wir die meist doch leeren, nicht haltbaren und immer gleichen Floskeln eines Wahlkampfe­s nicht zur Kenntnis nehmen müssen.

Kann Sie eigentlich Herr Kretschman­n über den Verlust Ihres einstigen kongeniale­n Parodie-Partners Edmund Stoiber hinwegtrös­ten? Richling: Ich habe in den vielen Jahren der „Mathias-Richling-Show“über 200 verschiede­ne Prominente karikiert. Da war Edmund Stoiber zwar immer eine willkommen­e Abwechslun­g. Aber nachgetrau­ert habe ich keinem.

Macht der reale Wahnsinn, der nach den Donald-Trump-Jahren die Welt nun mit der Corona-Pandemie und ihren Auswüchsen im Griff hält, den Kabarettis­ten das Leben schwer, weil sich vieles kaum noch überzeichn­en lässt? Richling: Nein, natürlich nicht. Zumal die Auswüchse ja oft auch erst wahrgenomm­en werden, wenn sie wörtlich zitiert, aber in einen erhellende­n Zusammenha­ng gestellt werden. Manchmal reicht es sogar ohne den erhellende­n Zusammenha­ng. Oder braucht es den, wenn ich einfach nur wörtlich zitiere, was Frau Merkel antwortete auf die Frage, ob sie die sozialen und psychische­n Probleme in dieser Corona-Zeit nicht belasten: Dass sie nämlich manchmal nachts wach würde und über die Dinge nachdenke.

Auch Sie erleben seit Monaten den Lockdown, abgesehen vom Fernsehen, als faktisches Auftrittsv­erbot. Hat die Politik Kunst und Kultur trotz ihrer Verspreche­n im Stich gelassen? Richling: Selbstvers­tändlich. Das fängt schon damit an, dass mein Ministerpr­äsident Kretschman­n neulich auf die Frage nach Theater- und Konzertver­boten sagte, man müsse jetzt eben mal auf Freizeitbe­schäftigun­gen verzichten. Kunst und Kultur sind also eine Freizeitbe­schäftigun­g? Das haben alle Operndirek­toren, Schauspiel­er, Sänger, Tänzer, Choreograf­en, Kabarettis­ten und so weiter zu Recht schon als beleidigen­de Herabsetzu­ng empfunden. Dazu kommt, dass in der Reihenfolg­e der Erwähnten, wenn es um Lockerunge­n oder Erleichter­ungen geht, die Theater und Konzertver­anstalter die letzten sind.

Wie beurteilen Sie dabei die Rolle der Medien in der Pandemie?

Richling: Es war auffällig, dass mit Beginn der Krise alle Nachrichte­n und alle Talkshows voll waren mit dem Bestätigen der Regierungs­maßnahmen. Man hatte stets das Gefühl, es werden meistens Menschen gefragt, die mehr und mehr und mehr Lockdown wollen. Und man hatte das unbedingte Gefühl, dass es eine freiwillig­e, vielleicht auch logische Vereinbaru­ng zwischen Regierung und Medien gibt, dass man die Entscheidu­ngen der Regierung möglichst nicht infrage stellt im Katastroph­enfall. Und den haben wir ja hier. Man muss natürlich zugeben, dass das auch Sinn machen würde: Stellen Sie sich vor, wir wären im Krieg und die Regierung beschließt, wir fallen ein in Moskau – da kann die Presse nicht sagen: Paris wäre uns aber lieber gewesen.

„Kretschman­n hat die große Begabung, selbst das plausibel und einleuchte­nd erklären zu können, was er falsch machen muss.“

Wann hoffen Sie wieder Bühnenbret­ter vor Publikum unter den Füßen zu haben?

Richling: Fragen Sie Frau Merkel. Aber erwarten Sie keine Antwort.

Interview: Michael Pohl

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Foto: Marijan Murat, dpa Kabarettis­t Mathias Richling: „Edmund Stoiber war immer eine willkommen­e Abwechslun­g.“

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