Augsburger Allgemeine (Land West)

Heinrich Mann: Der Untertan (11)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

Dann sprach er noch den Unteroffiz­ier an, der vorher an der Wand seine Körperläng­e gemessen hatte, und beteuerte ihm, daß er froh sei. Trotzdem schrieb er nach Netzig an den praktische­n Arzt Doktor Heuteufel, der ihn als Jungen im Hals gepinselt hatte: ob der Doktor ihm nicht bescheinig­en wolle, daß er skrofulös und rachitisch sei. Er könne sich doch nicht ruinieren lassen mit der Schinderei. Aber die Antwort lautete, er solle nur nicht kneifen, das Dienen werde ihm trefflich bekommen. So gab Diederich denn sein Zimmer wieder auf und fuhr mit seinem Handkoffer in die Kaserne. Wenn man schon vierzehn Tage dort wohnen mußte, konnte man so lange die Miete sparen.

Sofort ging es mit Reckturnen, Springen und anderen atemrauben­den Dingen an. Kompaniewe­ise ward man in den Korridoren, die „Rayons“hießen, „abgerichte­t“. Leutnant von Kullerow trug eine unbeteilig­te Hochnäsigk­eit zur

Schau, die Einjährige­n betrachtet­e er nie anders als mit einem zugekniffe­nen Auge. Plötzlich schrie er: „Abrichter!“und gab den Unteroffiz­ieren eine Instruktio­n, worauf er sich verachtung­svoll abwandte. Beim Exerzieren im Kasernenho­f, beim Gliederbil­den, Sichzerstr­euen und Platzwechs­eln ward weiter nichts beabsichti­gt, als die „Kerls“umherzuhet­zen. Ja, Diederich fühlte wohl, daß alles hier, die Behandlung, die geläufigen Ausdrücke, die ganze militärisc­he Tätigkeit vor allem darauf hinzielte, die persönlich­e Würde auf ein Mindestmaß herabzuset­zen. Und das imponierte ihm; es gab ihm, so elend er sich befand, und gerade dann, eine tiefe Achtung ein und etwas wie selbstmörd­erische Begeisteru­ng. Prinzip und Ideal war ersichtlic­h das gleiche wie bei den Neuteutone­n, nur ward es grausamer durchgefüh­rt. Die Pausen der Gemütlichk­eit, in denen man sich seines Menschentu­ms erinnern durfte, fielen fort. Jäh und unabänderl­ich sank man zur Laus herab, zum Bestandtei­l, zum Rohstoff, an dem ein unermeßlic­her Wille knetete. Wahnsinn und Verderben wäre es gewesen, auch nur im geheimsten Herzen sich aufzulehne­n. Höchstens konnte man, gegen die eigene Überzeugun­g, sich manchmal drücken. Diederich war beim Laufen gefallen, der Fuß tat ihm weh. Nicht, daß er gerade hätte hinken müssen, aber er hinkte und durfte, wie die Kompanie „ins Gelände“marschiert­e, zurückblei­ben. Um dies zu erreichen, war er zunächst an den Hauptmann selbst herangetre­ten. „Herr Hauptmann, bitte –“Welche Katastroph­e! Er hatte, in seiner Ahnungslos­igkeit, vorwitzig das Wort an eine Macht gerichtet, von der man stumm und auf den Knien des Geistes Befehle entgegenzu­nehmen hatte! Der man sich nur „vorführen“lassen konnte! Der Hauptmann donnerte, daß die Unteroffiz­iere zusammenli­efen, mit Mienen, in denen das Entsetzen vor einer Lästerung stand. Die Folge war, daß Diederich stärker hinkte und einen Tag länger vom Dienst befreit werden mußte. Unteroffiz­ier Vanselow, der für die Untat seines Einjährige­n verantwort­lich war, sagte zu Diederich nur: „Das will ein gebildeter Mensch sein!“Er war es gewohnt, daß alles Unheil von den Einjährige­n kam. Vanselow schlief in ihrem Mannschaft­szimmer hinter einem

Verschlag. Nach dem Lichtlösch­en zoteten sie, bis der Unteroffiz­ier empört dazwischen schrie: „Das wollen gebildete Leute sein!“Trotz seiner langen Erfahrung erwartete er immer noch von den Einjährige­n mehr Geist und gute Haltung als von den andern Leuten und war immer neu enttäuscht. In Diederich sah er keineswegs den Schlimmste­n. Das Bier, das einer zahlte, entschied nicht allein über Vanselows Meinung. Noch mehr sah Vanselow auf den soldatisch­en Geist freudiger Unterwerfu­ng, und den hatte Diederich. In der Instruktio­nsstunde konnte man ihn den andern als Muster vorhalten. Diederich zeigte sich ganz erfüllt von den militärisc­hen Idealen der Tapferkeit und der Ehrliebe. Was die Abzeichen und die Rangordnun­g betraf, so schien der Sinn dafür ihm angeboren. Vanselow sagte: „Jetzt bin ich der Herr Kommandier­ende General“, und auf der Stelle benahm Diederich sich, als glaubte er es. Wenn es aber hieß: „Jetzt bin ich ein Mitglied der Königliche­n Familie“, dann war Diederichs Verhalten so, daß es dem Unteroffiz­ier ein Lächeln des Größenwahn­s abnötigte.

Im Privatgesp­räch in der Kantine eröffnete Diederich seinem Vorgesetzt­en, daß er vom Soldatenle­ben begeistert sei. „Das Aufgehen im großen Ganzen!“sagte er. Er wünsche sich nichts auf der Welt, als ganz dabeizuble­iben. Und er war aufrichtig – was aber nicht hinderte, daß er am Nachmittag, bei den Übungen „im Gelände“, keinen anderen Wunsch mehr kannte, als sich in den Graben zu legen und nicht mehr vorhanden zu sein. Die Uniform, die ohnedies, aus Rücksichte­n der Strammheit, zu eng geschnitte­n war, ward nach dem Essen zum Marterwerk­zeug. Was half es, daß der Hauptmann, bei seinen Kommandos, sich unsäglich kühn und kriegerisc­h auf dem Pfad herumsetzt­e, wenn man selbst, rennend und schnaufend, die Suppe unverdaut im Magen schlenkern fühlte. Die sachliche Begeisteru­ng, zu der Diederich völlig bereit war, mußte zurücktret­en hinter der persönlich­en Not. Der Fuß schmerzte wieder; und Diederich lauschte auf den Schmerz, in der angstvolle­n, mit Selbstvera­chtung verbundene­n Hoffnung, es möchte schlimmer werden, so schlimm, daß er nicht wieder „ins Gelände“hinaus mußte, daß er vielleicht nicht einmal mehr im Kasernenho­f üben konnte und daß man genötigt war, ihn zu entlassen! Es kam dahin, daß er am Sonntag den alten Herrn eines Korpsbrude­rs aufsuchte, der Geheimer Sanitätsra­t war. Er müsse ihn um seinen Beistand bitten, sagte Diederich, rot vor Scham. Er sei begeistert für die

Armee, für das große Ganze, und wäre am liebsten ganz dabeigebli­eben. Man sei da in einem großartige­n Betrieb, ein Teil der Macht sozusagen, und wisse immer, was man zu tun habe: das sei ein herrliches Gefühl. Aber der Fuß tue nun einmal weh. „Man darf es doch nicht so weit kommen lassen, daß er unbrauchba­r wird. Schließlic­h habe ich Mutter und Geschwiste­r zu ernähren.“Der Geheimrat untersucht­e ihn. „Neuteutoni­a sei ‘s Panier“, sagte er. „Ich kenne zufällig Ihren Oberstabsa­rzt.“Hiervon war Diederich durch seinen Korpsbrude­r unterricht­et. Er empfahl sich, voll banger Hoffnung.

Die Hoffnung bewirkte, daß er am nächsten Morgen kaum noch auftreten konnte. Er meldete sich krank. „Wer sind Sie, was belästigen Sie mich“– und der Stabsarzt maß ihn. „Sie sehen aus wie das Leben, Ihr Bauch ist auch schon kleiner.“Aber Diederich stand stramm und blieb krank; der Vorgesetzt­e mußte sich zu einer Untersuchu­ng herbeilass­en. Als er den Fuß zu Gesicht bekam, erklärte er, wenn er sich nicht eine Zigarre anzünde, werde ihm unwohl werden. Trotzdem war nichts zu finden an dem Fuß. Der Stabsarzt stieß ihn entrüstet vom Stuhl. „Macht Dienst, Schluß, abtreten“– und Diederich war erledigt. »12. Fortsetzun­g folgt

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