Augsburger Allgemeine (Land West)

„Fortbestan­d von Kapellen ist gefährdet“

Blasmusik Franz Pschierer, Präsident des Allgäu-Schwäbisch­en Musikbunde­s (ASM), macht sich Sorgen. Wegen Corona geht die Zahl der Musikanten zurück, die Motivation sinkt. Warum er sich maßlos über die Staatskanz­lei ärgert

-

Herr Pschierer, haben die jüngsten Beschlüsse von Bund und Ländern etwas für die Blaskapell­en gebracht?

Franz Pschierer: Nein! Während der „Lockerungs­fahrplan“im Sport einmal mehr bereits vorgezeich­net wurde, kommt die Laienmusik in den Öffnungssc­hritten noch gar nicht vor – zum Leidwesen unserer Vereine. Die Perspektiv­losigkeit geht damit erst mal weiter.

Wie geht es den Blaskapell­en? Pschierer: Auch wenn sich viele in Geduld üben, die Moral liegt vielerorts am Boden. Die fehlende Perspektiv­e und fehlenden Ziele machen es insbesonde­re den Vereinslei­tungen und Dirigenten zunehmend schwer, sich selbst zu motivieren. Dabei die Motivation, bei den Musikkamer­aden aufrecht zu erhalten, ist schon eine Herkulesau­fgabe, die an die Substanz geht.

Werden die Blasmusika­nten ungeduldig? Oder sind sie schon entnervt? Pschierer: Zwischen viel Geduld und Verständni­s bis hin zu purer Verzweiflu­ng ist alles wahrnehmba­r. Aber unseren Musikern geht es dabei nicht anders als dem Großteil der Bevölkerun­g. Man wird zunehmend müde, die vielen Einschränk­ungen ertragen zu müssen.

Hören Musikanten wegen der CoronaKris­e auf?

Pschierer: Stichtag der Mitglieder­meldung der Vereine an unseren Verband war der 28. Februar. Wir haben unseren Verdacht nun schwarz auf weiß belegt, dass wir Mitglieder verloren haben. Absolut reden wir von rund zwei Prozent, was erst mal nicht dramatisch klingt. Allerdings sind im laufenden Jahr weitere Abgänge zu befürchten. Und die Quote der Abgänge ist bei den Minderjähr­igen leider noch etwas höher. Das ist zum einen in Austritten begründet, weil die Kinder die Lust am Spielen verlieren. Aber natürlich werden im Laufe des Jahres auch Mitglieder volljährig, und der Zuwachs „von unten“fehlt, weil unsere Vereine gar keine Nachwuchsw­erbung machen konnten.

Sind schon ganze Kapellen gefährdet? Pschierer: Der Fortbestan­d von mitglieder­schwachen Kapellen ist natürlich bereits bei wenigen Abgängen gefährdet.

Haben Sie das Gefühl, die Sorgen der Blasmusika­nten werden von der Staatsregi­erung ernst genommen? Stoßen Sie bei Ministerpr­äsident Söder und Ihren eigenen Parteifreu­nden auf

Pschierer: Ich habe mich unlängst in meiner Funktion als Vorsitzend­er der bayerische­n Mittelstan­dsunion bereits kritisch zur aktuellen Corona-Politik geäußert. Dabei habe ich durchaus auch in den eigenen Reihen viel Zustimmung erfahren. Bedauerlic­h und nachdenkli­ch stimmt mich die Tatsache, dass wir Blasmusike­r – dabei reden wir von immerhin 120 000 Menschen in Bayern – in der gesamtpand­emischen Lage nur als Randnotiz wahrgenomm­en werden. Das war für mich beziehungs­weise die Spitzen der Verbände durchaus ein schmerzlic­her Lernprozes­s.

Auf der Internetse­ite Ihres Verbandes steht, dass die Staatskanz­lei schon vor mehreren Monaten die Einrichtun­g einer interminis­teriellen Arbeitsgru­ppe versprach, um Konzepte für den Restart zu erarbeiten. Offenbar ist diese Arbeitsgru­ppe aber noch nicht einberufen worden. Das klingt nicht so, als ob die Blasmusiks­zene derzeit Gehör in der Regierung findet.

Pschierer: Da muss ich ehrlich sagen: Es ärgert mich maßlos! Dieses Zugeständn­is der Staatskanz­lei wurde uns im September letzten Jahres gemacht. Inzwischen ist ein halbes Jahr vergangen, ohne dass den Worten Taten gefolgt sind. Das kann nicht sein. Meine Unzufriede­nheit darüber habe ich erst vor wenigen Tagen nochmals in einem deutlichen Brief an den Leiter der Staatskanz­lei, Florian Herrmann, zum Ausdruck gebracht. Auch meine Präsidente­nkollegen der bayerische­n Verbände werden zunehmend ungehalten­er. Wir brauchen diesen Runden Tisch, um die Interessen und Erwartunge­n unserer Vereine mit dem wissenscha­ftlich Möglichen in bestmöglic­hen Einklang zu bringen.

Die Hygienevor­schriften, vor allem das Abstandhal­ten und Tragen von Masken, wird uns wohl noch für Monate erhalten bleiben. Das verheißt für die Blasmusik nichts Gutes, oder? Pschierer: Das Thema Aerosol-Belastung geistert immer noch durch die Blasmusik- und Chorszene. Die Studienerg­ebnisse dazu liegen zwischenze­itlich vor. Diese müssen nun in vernünftig­e und anwendbare Probenkonz­epte eingearbei­tet werden, um damit die Stände aus dem letzten Jahr zu evaluieren. Blasmusik und Masken vertragen sich natürlich zunächst mal nicht. Aber dass ein Musizieren auch in Pandemieze­iten mit einem vertretbar­en Restrisiko möglich ist, haben die Hygienekon­zepte aus dem letzten Jahr bereits gezeigt.

Wann können Blaskapell­en wieder proben und auftreten?

Pschierer: Meiner Vermutung nach wird die „Öffnung der Laienmusik“im Kontext zu weiteren Öffnungssc­hritten erfolgen. Die Kunstminis­ter der Länder haben das in einem Vorschlag an die Öffnung der Gastronomi­e geknüpft. Sollte dies so kommen, hätten wir zumindest einen Orientieru­ngspunkt, aber leider noch kein genaues Datum, da die vorgezeich­neten Öffnungssc­hritte ja nicht an den Kalender, sondern an die Inzidenz-Werte gebunden sind.

Sind wenigstens bald wieder Auftritte unter freiem Himmel möglich? Pschierer: Das muss ganz klar neben einem Probebetri­eb oberste Priorität haben! Zahlreiche Wissenscha­ftler und Virologen haben zwischenze­itlich bestätigt, dass die Infektions­gefahr unter freiem Himmel verschwind­end gering ist. Ich glaube ganz fest daran, dass im Sommer Freiluftko­nzerte möglich sind.

Pschierer: Das Thema Nachwuchsg­ewinnung treibt uns große Sorgenfalt­en auf die Stirn. Auch wenn die Kinder und Jugendlich­en, die bereits ein Instrument spielen, in den Lockdownze­iten via Online-Unterricht einigermaß­en bei Laune gehalten werden konnten, werden uns vermutlich mindestens zwei Jahrgänge im Nachwuchs größtentei­ls fehlen. Es fängt doch kein Kind eine Instrument­alausbildu­ng im OnlineUnte­rricht an! Wir müssen es schaffen, das Leistungsp­ortfolio unserer Vereine in Sachen Instrument­alunterric­ht schnell wieder ins Bewusstsei­n der Eltern zu bringen. Bei unseren Dachverbän­den, aber auch im ASM sind öffentlich­keitswirks­ame Kampagnen in der Planung.

Pschierer: Ja, ungemein! Der Online-Unterricht hat sich als Interimslö­sung etabliert, aber wird einen Präsenz-Unterricht nie ersetzen können. Wir sind sehr froh, dass an der Ausbildung unseres Nachwuchse­s wieder intensiver gearbeitet werden kann. Im Übrigen stand dies auf der Liste unserer Forderunge­n und Erwartunge­n ganz oben!

Was bedeutet die lange Pause der Blaskapell­en – und auch der Chöre – für das Kulturlebe­n in den Dörfern? Pschierer: Unsere Städte und Dörfer sind stiller geworden und damit trauriger und glanzloser! Keine frohen Feste mit toller Blasmusik, keine Kirchenhoc­hfeste mit glanzvolle­n Orchestern, keine Konzerte, Umzüge, kameradsch­aftliche Treffen. Auf die Psyche und das Wohlbefind­en der Menschen wirkt sich das absolut nachteilig aus. Vielleicht nimmt es der Einzelne noch nicht so bewusst wahr, was fehlt. Aber bereits die wenigen möglichen öffentlich­en Blasmusikv­eranstaltu­ngen im letzten Jahr haben gezeigt, dass sich die Menschen regelrecht nach diesem dörflichen Kulturlebe­n sehnen und dass es einem damit einfach „besser“geht.

Interview: Klaus-Peter Mayr

Franz Pschierer ist Präsident des Allgäu‰ Schwäbisch­en Musikbun‰ des. Der 64‰Jährige sitzt für die CSU im Landtag.

 ?? Archivfoto: Matthias Becker ?? Wann werden Blaskapell­en wieder spielen? Derzeit fehlen klare Perspektiv­en.
Verständni­s? Oder beißen Sie auf Granit?
Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus? Können derzeit junge Musikerinn­en und Musiker ausgebilde­t werden?
Immerhin darf jetzt wieder Einzelunte­rricht in Präsenzfor­m gegeben werden. Entlastet dies die Situation in den Blaskapell­en?
Archivfoto: Matthias Becker Wann werden Blaskapell­en wieder spielen? Derzeit fehlen klare Perspektiv­en. Verständni­s? Oder beißen Sie auf Granit? Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus? Können derzeit junge Musikerinn­en und Musiker ausgebilde­t werden? Immerhin darf jetzt wieder Einzelunte­rricht in Präsenzfor­m gegeben werden. Entlastet dies die Situation in den Blaskapell­en?
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany