Augsburger Allgemeine (Land West)

Soll doch ein anderer seine Früchte ernten

Nationalma­nnschaft Joachim Löw begründet seinen Rücktritt als Bundestrai­ner. Dem Team prophezeit er eine goldene Zukunft. Bei der Suche nach einem Nachfolger spielt der DFB auf Zeit

- VON TILMANN MEHL

Frankfurt am Main Dann ist das nun also nach 17 Jahren endlich mal geklärt. Wenn Joachim Löw redet, zählt einzig das gesprochen­e Wort. Mögen die Sport-Feuilleton­isten über ein Jahrzehnt auf eine zweite oder gar dritte Ebene verwiesen haben, die hinter den im sanften badischen Idiom vorgetrage­nen Sätzen zu entdecken sei, so enttäuscht­e sie am Donnerstag der noch amtierende Bundestrai­ner. „Ich würde mir wünschen, dass man mir zuhört“, bat Löw die virtuell zugeschalt­eten Journalist­en während der Pressekonf­erenz.

Selbstvers­tändlich hörten sie ihm alle zu. Es passiert ja schließlic­h nicht alle Tage, dass der deutsche Bundestrai­ner die Beweggründ­e für seinen Rückzug öffentlich erklärt. In den vergangene­n eineinhalb Jahrzehnte­n gab es sogar mehr deutsche Päpste, die begründete­n, weshalb sie ihr Amt niederlege­n.

Löw aber wollte nicht nur, dass ihm die Reporter zuhören. Er forderte auch, dass sie keinesfall­s interpreti­eren, im schlimmste­n Fall umdeuten. Ihm hat es in den vergangene­n Wochen nicht gefallen, dass jede Aussage, die er bezüglich des Trios Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller tätigte, wahlweise als ein Öffnen der Tür in Richtung der Nationalma­nnschaft beziehungs­weise das Zuschlagen der Tür verstanden wurde.

Auch wenn sich Löw nun nach der EM ins Private verabschie­det, sieht er es nicht als Fehler, vor zwei Jahren einen Umbruch in der Nationalma­nnschaft eingeleite­t zu haben. Es gebe aber nun mal auch Begebenhei­ten, diese Umbrüche zu unterbrech­en. Ob dieser Umbruch nach der Europameis­terschaft fortgesetz­t wird und vor allem, wer ihn moderieren soll, ist wenige Tage nach der Bekanntgab­e von Löws Rückzug noch offen.

DFB-Präsident Fritz Keller bedankte sich beim scheidende­n Bundestrai­ner, dass der dem Verband die Möglichkei­t gegeben hat, „in aller Ruhe und Sorgfalt die Nachfolge vorzuberei­ten“. Man habe dafür „alle Zeit der Welt“. Alle Zeit der Welt endet im September, wenn die ersten Länderspie­le nach der EM anstehen – und der neue Mann soll auch nicht „erst zwei Tage vorher feststehen“, so Oliver Bierhoff, der mit der Suche betraut ist. Sollte er einen Favoriten für den Posten haben, hält er ihn konsequent geheim. Wahrschein­licher aber ist, dass sich Bierhoff noch nicht festlegen will und die Entwicklun­gen der kommenden Monate abwartet. So viel immerhin scheint klar: Einen ausländisc­hen Trainer wird es wohl nicht geben. Bierhoff sprach sich klar für einen deutschen Übungsleit­er für die deutsche Nationalma­nnschaft aus. „Wir haben hier gute deutsche Trainer, wir haben sie im Ausland und wir haben sie innerhalb des DFB“, so Bierhoff.

Löw indes will sich bei der Suche nach einem Nachfolger für ihn zumindest nicht öffentlich äußern. Sein einziges Interesse gilt der kommenden Europameis­terschaft. „Wenn ich etwas besonders an diesem Job liebe, dann sind es die Turniere“, so der 61-Jährige. Wer den Mann schon mal während einer Europaoder Weltmeiste­rschaft erlebt hat, wird nicht umhinkönne­n, die Ausführung als glaubhaft zu bezeichnen. Allerdings sieht Löw nun die Zeit gekommen, einen anderen Mann die besten Spieler des Landes um sich versammeln zu lassen. Bereits im vergangene­n Jahr habe er sich vorgenomme­n, sich im Februar und März 2021 Gedanken über seine eigene Zukunft zu machen. Wo diese Gedanken mündeten, ist seit Dienstag klar.

Die EM 2024 im eigenen Land müsse zu einer „Explosion führen“, so Löw. „Begeisteru­ng in Mannschaft und Gesellscha­ft“seien zu erwarten. Sich selbst sieht er aber „nicht mehr in der Situation“, diese Explosion aktiv zu begleiten. „Ein neuer Trainer soll die notwendige Zeit haben“, begründet Löw seinen Rücktritt nach der kommenden EM. „Diese Mannschaft braucht Raum und Zeit für ihre Entwicklun­g – sie soll die Gelegenhei­t dazu haben und nicht von einem Trainer gehemmt werden, der an seinem Stuhl klebt.“Sollte diese Mannschaft sich dann so entwickeln, wie es Löw erwartet, muss sie als Favorit auf den Titel 2024 gelten.

Löw versuchte zwischen zwei Atemzügen die Erwartungs­haltung für die kommende EM zu senken, um sie für die Zeit danach steigen zu lassen. Er vergleicht sein derzeitige­s Team mit jener Mannschaft, die 2010 eine tolle WM spielte, allerdings im Halbfinale ausschied – und vier Jahre später Weltmeiste­r wurde. Das jetzige Team um Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Leroy Sané befinde sich „noch nicht auf dem Zenit“. Den erwartet Löw in etwa drei Jahren.

Der Noch-Bundestrai­ner wird die Heim-EM aus „einer anderen Perspektiv­e“beobachten. Noch aber hat er keine Entscheidu­ng getroffen, wie er seine Zukunft über den jetzigen Sommer hinaus gestaltet. Nach 17 Jahren, die er hauptsächl­ich von Turnier zu Turnier plante, lässt sich Löw sämtliche Optionen offen.

Genauso macht es der DFB. Löw aber hat mehr Zeit.

 ?? Foto: Thomas Boecker, dpa ?? Joachim Löw präsentier­te sich gelöst auf der Pressekonf­erenz. Oliver Bierhoff und Präsident Fritz Keller dankten ihm ausgiebig für die Arbeit der vergangene­n Jahre. Ein Höhepunkt soll aber noch ausstehen.
Foto: Thomas Boecker, dpa Joachim Löw präsentier­te sich gelöst auf der Pressekonf­erenz. Oliver Bierhoff und Präsident Fritz Keller dankten ihm ausgiebig für die Arbeit der vergangene­n Jahre. Ein Höhepunkt soll aber noch ausstehen.

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