Augsburger Allgemeine (Land West)
Musik gewaltig wie ein Vulkan
Neuerscheinung Im Pandemie-Sommer 2020 hat das Augsburger Bassgitarren-Duo Deep ein Live-Album vor Publikum aufgenommen. Herausgekommen ist ein schon haptisch ansprechendes Album für ein Monumentalstück
Von Rom bis Helsinki, von Brest bis Warschau finden sich Menschen, deren Augen bei der Erwähnung des Augsburger Plattenlabels attenuation circuit zu leuchten beginnen. Im Jahr 2000 von Klangschöpfer Sascha Stadlmeier, Künstlername Emerge, ursprünglich gegründet, um seine Aufnahmen auf Kassette zu veröffentlichen, entwickelt es sich seit 10 Jahren zu einer vorzüglich bestückten Volière der Experimentalmusik voller einheimischer Paradiesvögel, die alle erdenklichen Spielweisen der Macht des Klanges erforschen. Ambient, Drone, Musique Concrète, Field Recordings – auf den Veröffentlichungen des Labels flirrt und dröhnt, lärmt und wabert es – ohne Profitgedanken, mit dem Ethos des Selbstgemachten und dem Ziel, sich innerhalb einer Sparte zu vernetzen.
Das ist auch die Idee hinter dem re:flexions-Festival im Kulturhaus Abraxas, bei dem „Projekte, die noch nie zusammen gearbeitet haben, zusammengebracht werden“, wie Organisator Emerge erzählt. Letzten Juli ergab sich eine Kollaboration zweier Seelenverwandter, die laut Label „in gewisser Weise früher oder später passieren“musste: Das Bassgitarren-Duo Deep aus Augsburg, bestehend aus Bernd Spring und Stefan Vetter, brachten mit dem Dortmunder Gitarristen N (Hellmut Neidhart) ein knapp 40-minütige Monumentalstück namens „Abraxas“zur Uraufführung.
Das Konzert für die zugelassene Höchstzahl an 26 Gästen findet sich auf der haptisch wie akustisch eindrucksvollen LP Abraxas (attenuation circle/dhyana records) verewigt. Es dürfte eines der wenigen Livealben vor Saalpublikum in Pandemiezeiten sein. Gepresst auf weiß-grau marmoriertes Vinyl, gehüllt in eine körnige Schwarz-WeißFotografie eines in einer Wolke versinkenden Bergmassivs.
Ein Konzert der Band Deep ist ein physisches Erlebnis, die Frequenzen der Bassakkorde gehen sprichwörtlich unter die Haut, lassen sie doch jedes einzelne Organ im Körper erbeben. Die Basstöne sind oft nicht unbedingt als solche zu erkennen, sie werden von den Musikern durch zahllose Effektgeräte gejagt, bevor sie wie Lava aus den Boxen gekrochen kommen. Dazu schweben die angezerrten Klänge aus Ns Gitarre wie flirrende Hitze über dem tiefen Dröhnen. Ein Stück wie ein Vulkan.
Das unheilvolle Grollen kündigt beständig einen nicht aufzuhaltenden Höhepunkt an, den Zeugen des Schauspiels bleibt nur, aus sicherer Entfernung die Schönheit der Eruption zu beobachten und danach mitzuerleben, wie die immer langsam fließende Lava erkaltet, bevor sie schließlich erstarrt. Pop ist das nicht, aber ein intensives Erlebnis. Am 3. Juli 2021 geht das Festival im Abraxas in seine 6. Runde – so Corona mitspielt.