Augsburger Allgemeine (Land West)
Studie: Wie Pollen die Immunabwehr löchern
Wie eine Studie der Universität Augsburg die Corona-Pandemie in ein neues Licht rückt. Und warum wir inzwischen fast das ganze Jahr Pollenflug haben
Frau Professorin Traidl-Hoffmann, Ihre Studie zum Zusammenhang von Pollenflug und Corona-Aufkommen hat in den vergangenen Tagen sehr viel Aufsehen erregt. Was haben Pollenflug und Corona miteinander zu tun? Claudia Traidl-Hoffmann: Verkürzt gesagt ist die Kernaussage: Pollen gelangen auf die Schleimhaut und blockieren dort sogenannte Typ1/3-Interferone, die Teil unserer Immunabwehr sind. Interferone können unter anderem auch antiviral wirken. Wir wissen schon lange, dass Pollen diese Blockade auslösen können und die bekannten, normalen Schnupfenviren und auch harmlose saisonale Coronaviren, die auch nur Schnupfen auslösen, dann ein leichteres Spiel haben. Das zeitlich gemeinsame Auftreten von Virusinfektionen der oberen Atemwege mit Pollen wurde etwa in Erhebungen an 20000 Menschen im schwedischen Göteborg belegt.
Wie kam es nun dazu, dass Sie auch die Pollenwirkung mit dem neuen, gefährlichen Coronavirus untersuchten?
Traidl-Hoffmann: Ausgehend von den vorher skizzierten Befunden haben wir gedacht: Wie ist das bei SarsCoV-2? Wir untersuchten im vergangenen Jahr in komplexen mathematischen Modellen Pollen und Infektionsraten mit Sars-CoV-2 und stellten fest: Je mehr Pollen, desto mehr Infektionen mit Sars-CoV-2. Auch in Ländern wie etwa Spanien oder Italien. Schlussendlich konnten wir das für 31 Länder auf fünf Kontinenten belegen.
Nun könnte man aber einwenden: Im nun vergangenen Winter stieg ja auch die Zahl der schweren Verläufe – während der zweiten Welle. Aber da war ja nicht klassische Pollenzeit.
Traidl-Hoffmann: Man muss ausdrücklich sagen: Pollen sind einer von mehreren Umweltfaktoren, der Corona-Infektionen verstärkt. Daneben gibt es ja noch weitere Umweltfaktoren. Pollen machen die Schleimhaut-Immunabwehr des Menschen gegen Viren quasi löchrig. Und dieser verletzliche Zustand hält dann drei bis vier Tage an, selbst wenn man nach einem Pollenkontakt wieder nur noch im Hause wäre. Kommt man in dieser Zeit im ausreichenden Maße in Kontakt mit Coronaviren, besteht eine hohe Ansteckungsgefahr. Das zeigen unsere Daten, insbesondere wenn die Pollenkonzentrationen sehr hoch sind.
Welche Umweltfaktoren müssen denn noch genannt werden?
Traidl-Hoffmann: Es gibt auch schützende Umweltfaktoren: Je höher die Temperaturen sind, je trockener es ist und je mehr UV-Licht vorhanden ist, desto schlechter scheint es für das Virus zu sein. Umgekehrt heißt das: Nasskaltes, aber auch feuchtes Wetter gehen mit mehr Vireninfektion einher. Und – wie andere Forscher herausfanden – Luftverschmutzungen. Ein sehr komplexes Zusammenspiel mit der „Suppe“, der wir ausgesetzt sind. Deshalb gibt es viele Coronainfektionen, selbst wenn nicht gerade Pollenzeit ist. Aber: Inzwischen herrscht ja fast immer Pollenzeit.
Wie meinen Sie das?
Traidl-Hoffmann: Durch den Klimawandel haben wir inzwischen fast das ganze Jahr Pollenflug. Diese These kursiert in Wissenschaftskreisen schon länger. Inzwischen ist sie durch Studien aus Nordamerika belegt, an den europäischen Daten arbeiten wir gerade.
Also wirklich das ganze Jahr Pollenflug?
Traidl-Hoffmann: Es gibt nur noch wenige Lücken im Pollenkalender. Derzeit unter anderem viel Eibe und Erle, Hasel momentan aber fast nicht mehr. In zwei Wochen kommen die Birken. Danach die Gräser. Und im Herbst kommen die Kräuter. Dann geht es wieder mit der Hasel los – manchmal schon im Dezember. Auch in unserer Region ist das so. Diese Erkenntnisse werde ich in meinem Buch „Überhitzt“beschreiben, das bald erscheint.
Wenn nun das ganze Jahr bald – durch den Klimawandel – sozusagen immer noch mehr Pollenflugzeit herrscht: Bedeutet das, dass das auch einen steigernden Einfluss auf das Covid-Aufkommen haben wird? Traidl-Hoffmann: Ja. In gewissen Zeitfenstern im Jahr ist damit zu rechnen, insbesondere wenn es zu mehr Pollen im Frühjahr kommt. Da im Sommer allerdings die schützenden Umweltfaktoren – wie Wärme oder UV-Licht – überwiegen, werden die Pollen dann einen sehr geringen Effekt auf Virusinfektionen haben.
Sind insbesondere Allergiker davon betroffen, dass Pollen die Immunabwehr löchrig machen?
Traidl-Hoffmann: Nein, davon ist jeder betroffen, je nach seinen individuellen Risikofaktoren. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.
Was kann jeder Einzelne tun, um sich zu schützen?
Traidl-Hoffmann: Der aktuelle Pollenflug ist auf bestimmten Internetseiten abrufbar. Für Augsburg ist das die Seite unika-t.de und für Schwaben mit dem Allgäu kann man auf die Website https://epin.lgl.bayern.de/pollenflug-aktuell schauen. Ansonsten hilft bei starkem Pollenflug auch die Maske im Freien. Oder man hält sich bei starkem Pollenflug bevorzugt im Haus auf.
Was kann man aus medizinischer Sicht sagen?
Traidl-Hoffmann: Wir stellen zusehends fest, dass zu den persönlichen Risikofaktoren auch komplexe Umwelteinflüsse in Bezug auf die Virus-Pandemie eine wichtige Rolle spielen. Darum müssen wir weiter in diese Richtung forschen. Für diese Aufgabe ist der Umweltstandort Augsburg prädestiniert. Mein Lehrstuhl für Umweltmedizin ist eingebettet in die medizinische Fakultät Augsburg, die sich als einen Schwerpunkt die Erforschung von Umwelt-Mensch-Interaktionen gegeben hat. Und so werden wir weiter forschen an den Zusammenhängen von Umweltfaktoren und Krankheit und Gesundheit – um am Ende des Tages nachhaltige Gesundheit zu schaffen. Nur so können wir uns für zukünftigen Pandemien wappnen.
An was forschen Sie und Ihr Team derzeit?
TraidlHoffmann: In Bezug auf Corona erforschen wir gerade Vorhersagemodelle – gefördert vom Freistaat – für den Verlauf von Covid-19. Hier suchen wir ganz konkret freiwillige Teilnehmer, die positiv auf SarsCoV-2 getestet sind. Diese sollten sich direkt bei ihrem positiven Test bei uns melden. Weiteres gibt es auf uk-augsburg.de/eoc nachzulesen. Als Umweltmedizinerin verfolge ich mit meinem Team die Prävention von Erkrankungen – und das hehre Ziel ist eine personalisierte Prävention, also zurechtgeschnitten auf den einzelnen Menschen.