Augsburger Allgemeine (Land West)
„Arbeitsplatzabbau lässt keinen kalt“
Interview Der Augsburger Maschinenbauer MAN Energy Solutions gehört zum VW-Konzern. Volkswagen-Vorstand Gunnar Kilian und der Augsburger MAN-Chef Uwe Lauber erklären, warum hunderte Stellen bei der Firma gestrichen werden
Augsburger Unternehmen MAN Energy Solutions, das früher MAN Diesel & Turbo hieß, wird nicht verkauft. Volkswagen bleibt bis mindestens Ende 2024 alleiniger Eigentümer des Motoren- und Turbomaschinenspezialisten. Doch die Firma muss deutlich effizienter werden und dafür 450 Millionen Euro einsparen. So fallen rund 800 von zuletzt etwa 4400 Arbeitsplätzen allein in Augsburg weg. Wie es mit dem Betrieb im VW-Konzern weitergeht, erläuterten VolkswagenPersonalvorstand sowie MANEnergy-Solutions-Aufsichtsratschef Gunnar Kilian und MAN-EnergySolutions-Chef Uwe Lauber in einem Doppel-Interview.
Herr Kilian, lange wurde spekuliert, dass Volkswagen MAN Energy Solutions verkauft. Woher rührt der Sinneswandel bei VW?
Gunnar Kilian: Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, dass MAN Energy Solutions zunächst im VolkswagenKonzern verbleiben wird. Das heißt konkret, dass wir uns als Volkswagen jetzt aktiver dem Maschinenbau, wenn dieser auch nicht unser Kerngeschäft ist, annehmen.
Aber, Herr Kilian, so weit geht Ihr Faible für Maschinenbau dann doch nicht, dass Volkswagen an den 4400 Arbeitsplätzen in Augsburg festhält und auf einen Job-Abbau verzichtet. Kilian: Technologisch überzeugt das Unternehmen absolut und hat die besten Voraussetzungen. Das wissen wir. Genauso klar ist aber auch, dass sich das Unternehmen in einer wirtschaftlich herausfordernden Situation befindet. Die Vorsteuerrendite lag 2019 bei nur 3,5 Prozent. Im Corona-Jahr 2020 waren es sogar nur etwa zwei Prozent. Daher hatten wir im vergangenen Jahr keine einfachen Gespräche mit der Arbeitnehmerseite bei MAN Energy Solutions. Wir wissen alle um die Stärken des Unternehmens. Doch wir müssen das Unternehmen wieder in eine vernünftige Ergebnissituation bringen. Das ist das Ziel. Herr Lauber, dessen Vertrag wir gerade um fünf Jahre verlängert haben, und das MAN-Energy-Solutions-Team haben das klar im Fokus.
Was ist ein vernünftiges Ergebnis? Kilian: Wir peilen eine Vorsteuerrendite von rund neun Prozent bis 2023 an. Basis dafür ist das Performance2023-Programm, das der Vorstand vorgelegt und dem der Aufsichtsrat zugestimmt hat. Im Vorfeld gab es dazu intensive, bisweilen schwere Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern. Es wurde sich kräftig gerieben. Doch ich bin insbesondere den Vertretern der IG Metall und des Betriebsrats dankbar, dass sie mitziehen und wir zusammen an der Zukunft arbeiten.
Lauber: Das stimmt. Die Verhandlungen waren für alle Kräfte zehrend. Doch es gab eine Vertrauensbasis. Ob Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite: Wir wollten alle unter dem VW-Dach bleiben. Deshalb haben wir in hoher Geschwindigkeit den Interessensausgleich und den
Sozialplan verhandelt. Natürlich schmerzt mich der Abbau von allein 800 Arbeitsplätzen in Augsburg und 1650 unternehmensweit. Aber es führt kein Weg daran vorbei. Unsere Performance muss besser werden. Wir brauchen höhere Gewinne, um Investitionen in Zukunftstechnologien wie den Ausbau der Wasserstoff-Aktivitäten selbstständig finanzieren zu können.
Kilian: Es gab hoch emotionale Momente, denn es geht hier schließlich um Restrukturierung und auch um Arbeitsplatzabbau. Das lässt keinen kalt und das darf es auch nicht. MAN ist eine der deutschen Traditionsfirmen. Mein Ururgroßvater hat seinerzeit für MAN in Gustavsburg gearbeitet. Daher, vor allem aber aus den Gesprächen mit den heutigen Kollegen weiß ich, dass die MANEnergy-Solutions-Mannschaft sehr stolz auf ihr Unternehmen und die Produkte ist, die in Augsburg oder Oberhausen gefertigt werden. Und das können die Beschäftigten auch sein. In ihrem jeweiligen Segment gehören die von ihnen gefertigten Produkte zu den besten auf dem Markt. Nicht umsonst sind wir in einigen Bereichen auch Weltmarktführer.
Warum muss das Unternehmen dennoch so hart saniert werden?
Kilian: Die RestrukturierungsproDas gramme, die dem heutigen vorausgingen, waren nicht nachhaltig genug. Es wurde damals auf eine bessere Marktentwicklung gesetzt, die dann nicht kam. Jetzt ist uns jedoch ein tragfähiger Kompromiss gelungen, der greifen wird. Wir können für MAN Energy Solutions deshalb positiv nach vorne blicken. Die Kunden des Unternehmens sind begeistert von den Produkten. Das habe ich in Gesprächen mit Verantwortlichen aus dem Kundenkreis immer wieder erfahren. Das sorgt für eine spürbare Aufbruchstimmung bei MAN Energy Solutions, die auch darauf basiert, dass Volkswagen es dem Unternehmen nun ermöglicht, sich in den kommenden Jahren auf das Geschäft zu konzentrieren. Das ist eine große Chance.
Wie viele Mitarbeiter haben sich bisher schon bereit erklärt, freiwillig über Altersteilzeit oder Abfindungen auszuscheiden?
Lauber: Für rund 200 der 800 Arbeitsplätze in Augsburg, die wir abbauen wollen, haben wir bereits Einigungen mit Beschäftigten erzielt.
Glauben Sie, dass genügend Mitarbeiter freiwillig gehen, sodass Sie auf Entlassungen verzichten können? Lauber: Ich bin guter Dinge, dass wir den Abbau schaffen, ohne betriebsbedingt kündigen zu müssen. Aber erst Mitte des Jahres wissen wir, ob wir unser Ziel wirklich erreichen. Noch können wir es zumindest nicht ausschließen, dass betriebsbedingte Kündigungen notwendig sind.
Doch ist dieser Personalabbau in der saftigen Höhe wirklich notwendig? Lauber: Es ist wichtig zu verstehen, dass Personalabbau nicht das Ziel ist, sondern die Folge. Es geht darum, 450 Millionen Euro einzusparen, um unsere Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten zu können. Dazu müssen wir notgedrungen auch Arbeitsplätze streichen. Doch wir werden jede Einsparmaßnahme wahrnehmen, die uns hilft, am Ende weniger Stellen abzubauen. Das haben wir auch schon erfolgreich getan: Als wir mit der Restrukturierung anfingen, ging es noch um einen viel höheren Personalabbau von über 1000 Arbeitsplätzen allein in Augsburg.
Wie stark verhagelt Corona MAN Energy das Geschäft?
Lauber: Das Vor-Corona-AuftragsNiveau werden wir in einigen Segmenten wahrscheinlich erst wieder 2023 sehen. Ein Beispiel: Unsere Firma ist stark als Motorenlieferant im Kreuzfahrtgeschäft vertreten. Doch heute verlassen nur sehr wenige Kreuzfahrtschiffe die Häfen und werden gewartet. Unsere Kunden verbrennen jedes Quartal fast eine Milliarde Euro. Selbst wenn dieses Geschäft Mitte des Jahres wieder anläuft, werden die Kreuzfahrtschiffe mit Passagierzahlen, die nur 30 bis 40 Prozent der früheren Auslastung ausmachen, auslaufen. Das ist natürlich nicht gewinnbringend. Das trifft auch uns.
Gibt es Hoffnungszeichen?
Lauber: Das Geschäft mit Containerschiffen erholt sich schnell. Trotz oder gerade auch wegen Covid-19 haben sich die Frachtraten für Container, die von Asien aus etwa nach Europa transportiert werden, in den vergangenen zwölf Monaten verdoppelt bis verdreifacht. Deshalb werden wieder neue Containerschiffe gebaut. Die Reeder verdienen wieder Geld. Wenn sich der Neubau belebt, ist das natürlich gut für uns als Motorenlieferant für diese Schiffe. Hier sehen wir ein Licht am Ende des Tunnels, ja das Licht kommt immer näher auf uns zu.
Wie kann MAN Energy Volkswagen unterstützen?
Lauber: Wir treiben die WasserstoffTechnologie voran und haben vor wenigen Monaten den ebenfalls in Augsburg ansässigen WasserstoffSpezialisten H-TEC Systems übernommen. Gemeinsam wollen wir die Elektrolyse, also die Gewinnung von grünem Wasserstoff, im industriellen Maßstab voranbringen. Damit können wir auch Volkswagen unterstützen. Wasserstoff kann im LkwGeschäft eine Rolle spielen. Vor allem können wir helfen, die VWWerke rund um die Welt zu dekarbonisieren, also weg von der Kohle als Energielieferant – gerade bei der Wärmeversorgung – zu kommen. Das machen wir schon jetzt erfolgreich: In Dänemark bauen wir derzeit eine riesige Wärmepumpe mit 50 MW Leistung, die dann eine 50000-Einwohner-Gemeinde klimaneutral mit Wärme versorgt. Das hat vorher ein Kohlekraftwerk gemacht. Mit dem neuen Produkt haben wir uns gegen die Konkurrenz durchgesetzt.
So kann MAN Energy Solutions für VW immer wichtiger werden auf dem Weg zum grünen Mobilitätskonzern. Wächst hier zusammen, was zusammengehört? Kann MAN Energy Solutions über 2024 hinaus Teil der VWFamilie bleiben?
Kilian: Die Perspektive dafür ist gegeben, wenn das jetzige Programm erfolgreich ist. Wenn wir auch als Volkswagen für MAN Energy Solutions eine operative Rendite von neun Prozent anpeilen, dient das der Absicherung der Zukunft des Unternehmens. MAN Energy Solutions muss in der Lage sein, Investitionen wie in die Wasserstofftechnologie selbst zu tragen. Das Unternehmen muss seine Produkte zu wettbewerbsfähigen Kosten anbieten.
„Die Kunden sind begeistert von den Produkten.“
VWVorstand Kilian über MAN Energy
„Es geht darum, 450 Millionen einzusparen.“MANEnergyChef Lauber über die Sparpläne
Und was passiert, wenn bis 2024 nicht neun Prozent Rendite eingefahren werden?
Kilian: Wenn sich abzeichnet, dass wir die angestrebte Rendite nicht erreichen, müssen wir uns rechtzeitig wieder zusammensetzen und besprechen, wie man das Ziel erreicht. Da werde ich nicht lockerlassen.
Interview: Stefan Stahl