Augsburger Allgemeine (Land West)
Langzeitarbeitslosigkeit ist ein schleichendes Gift
Leitartikel Deutschland hat wieder mehr als eine Million Menschen, die dauerhaft keinen Job finden. Und es werden mehr werden. Dieser Trend muss dringend gestoppt werden
Die Nachricht ging zuletzt nicht unter, aber so richtig Schlagzeilen machte sie auch nicht. Hätte sie aber sollen: Deutschland hat seit langer Zeit wieder mehr als eine Million Langzeitarbeitslose. Das ist eine Menge und weckt böse Erinnerungen an jene ökonomisch öden Tage, als die Bundesrepublik der kranke Mann Europas war. Dahin will niemand zurück, weshalb schnell etwas unternommen werden muss. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sagte zwar neulich, er sei zuversichtlich gestimmt, dass der Arbeitsmarkt in den nächsten Monaten „stabil“bleibe. Für die, die seit über zwölf Monaten keinen neuen Job finden, muss das nicht nach Aufbruch klingen. Und Experten rechnen damit, dass deren Zahl weiter steigt. Denn die, die in der Folge des ersten Lockdowns im März 2020, wegen Corona, ihre Arbeit verloren und seither keine neue Stelle bekommen haben, erscheinen erst im April in der Statistik der Bundesagentur. Die bisherige Million plus x bildet also den Stand der Langzeitarbeitslosigkeit vor Corona ab. Heißt: Hinter der akuten Krise kostet der Strukturwandel Jobs. Bei den Autozulieferern zum Beispiel weiß man das schon länger.
Wir sind schlechte Neuigkeiten nach einem Jahr im (wirtschaftlichen) Ausnahmezustand gewöhnt. Diese aber ist eine, die besonders nachdenklich machen sollte, denn Arbeitslosigkeit kostet den Staat nicht nur Geld, sie ist vor allem ein Schicksalsschlag, ist toxisch, lähmend, macht – je länger sie dauert – die davon Betroffenen krank. Aber die akute Krise mit ihren immer neuen Erfordernissen lässt das leicht in Vergessenheit geraten. Und wann sie bewältigt ist, erscheint in diesen Tagen ungewisser denn je. Die Wirtschaftsweisen haben ihre Wachstumsprognosen diese Woche gesenkt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zog am Donnerstag deutlich nach.
Deutschland impft zu langsam und die dritten Pandemie-Welle kommt. Die wiederum wird die ebenfalls erwartete – aber wegen der ausgesetzten Insolvenzantragspflicht – Pleitewelle nicht flacher machen. Bedeutet in der Summe: Bis die Wirtschaft – und der Arbeitsmarkt – sich wieder erholen kann, wird es länger dauern als bisher gedacht. Wissen muss man auch: Fast 60 Prozent dieser bislang rund einer Million Langzeitarbeitlosen hat keinen Berufsabschluss.
Natürlich steht Deutschland – nicht zuletzt dank massiver Kurzarbeit – vergleichsweise immer noch gut da. Aber den Langzeitarbeitslosen nützt das alles nichts. Was also tun? In welche Richtung es gehen kann, zeigt der Blick auf die, die gerade erst auf den Arbeitsmarkt kommen. Weil 2020 im Vergleich zum Vorjahr elf Prozent weniger neue Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden, hat das Bundeskabinett diese Woche das Förderprogramm „Ausbildungsplätze sichern“erweitert. Die Regierung will verhindern, dass schon junge Menschen, angehende Azubis, Erfahrung mit der Langzeitarbeitslosigkeit machen. Wer als Unternehmen in Schwierigkeiten ist und dennoch ausbildet, bekommt eine Prämie. Das könnte ein Weg sein, abgesehen von einem – noch nicht wirklich absehbaren – massiven Aufschwung, versteht sich, der Jobs massenweise zurückbringt.
Der Staat tut schon viel. Es gibt verschiedenste Fördermöglichkeiten und auch neue Ansätze: Ein Stichwort lautet hier Reform der Grundsicherung.
Aber: Er sollte bald noch mehr Anreize schaffen, damit Unternehmen denen, die wenig Chancen haben, einen Arbeitsplatz geben. Durch weitere Qualifizierungsangebote. Und es muss schnell gehen. In Zeiten, in denen der Staat viel Geld ausgibt, wäre das besonders gut investiert.
Es braucht mehr Anreize für Weiterqualifizierung