Augsburger Allgemeine (Land West)
„Für die Seele gut“: Neue Lust auf Spaziergänge
Viele Menschen sind durch Corona zu Spaziergängern geworden. Vier Augsburgerinnen berichten, warum sie draußen unterwegs sind – und welche Orte sie dabei besonders gerne ansteuern
Eva Weber: Den Kopf freibekommen
Sie ist Augsburgs Oberbürgermeisterin und auch so etwas wie Augsburgs oberste Spaziergängerin. Denn Eva Weber, 43, ist schon vor der Corona-Pandemie gerne spazieren gegangen – und jetzt, mit den eingeschränkten Freizeitangeboten, noch mehr. Sie ist gerne zu Fuß in der Stadt unterwegs. Sie nutze das Spazierengehen, sagt sie, um in Ruhe nachzudenken, aber auch um den Kopf freizubekommen. Das sei wichtig, gerade in den herausfordernden Zeiten der Corona-Pandemie. Kürzlich war sie auch mit ihrem Vorgänger im Amt, Alt-OB Kurt Gribl, draußen unterwegs. Ob er ihr Ratschläge gegeben hat und welche, verrät Eva Weber nicht. Nur so viel: Sie seien befreundet, da tausche man sich natürlich aus.
Eva Weber zieht es zum Spazierengehen oft in den Augsburger Stadtwald, der Stempflesee gehört zu ihren Lieblingsorten. Dort war sie auch am Tag nach ihrer Wahl unterwegs, früh am Morgen. Im sozialen Netzwerk Instagram veröffentlicht die Oberbürgermeisterin immer wieder auch Schnappschüsse von ihren Spaziergängen. Dazu schrieb sie kürzlich: „Ich bin noch nie so viel spazieren gegangen wie in den vergangenen Monaten. In den Stadtwald. Durch die Altstadt. An der Wertach entlang.“Ein Spazier– sagen Experten – entspanne Muskeln und Geist, senke den Blutdruck und lasse das Stresslevel sinken. Eva Weber dazu: „Kann ich bestätigen“. Sie ist mit ihrem Mann unterwegs, aber auch alleine. Ihr Mann, verrät sie, sei nicht ganz so ein begeisterter Spaziergänger wie sie selbst.
Sieglinde Wisniewski: Neues entdecken
Gleich am ersten Tag der Wiedereröffnung flanierte die Augsburgerin Sieglinde Wisniewski durch den Botanischen Garten, um sich am Frühlingserwachen in der Pflanzenwelt zu erfreuen. Kürzlich unternahm die 68-jährige SPD-Stadträtin einen Ausflug in den Haunstetter Wald zum Alten Schießplatz, den sich die Natur zurückerobert hat. „Es gibt immer wieder was zu entdecken. Wunderschön“, tat sie im sozialen Netzwerk Facebook mit ein paar Bildern kund. Die Augsburgerin ist „immer schon gerne gelaufen, auch wegen unserer Hunde“. Dass sie das Spazierengehen intensiviert hat, sei allerdings nicht alleine der CoronaPandemie und dem damit verbundenen Mangel an Freizeitaktivitäten geschuldet, sondern hänge auch mit ihrer Gesundheit zusammen. „Ich habe vor einem Jahr eine neue Herzklappe bekommen, mich danach Schritt für Schritt zurück ins Leben begeben und dabei zunehmend die Freude am Laufen entdeckt.“
Der Spaß, etwas auf zwei Beinen zu entdecken, ist Wisniewski erhalten geblieben. Statt in den Urlaub zu fahren, begibt sich die ehemalige Altenpflegerin regelmäßig auf Touren ins Alpenvorland, in die Region – wo sie etwa den Ganghofer-Rundwanderweg in Welden wärmstens empfehlen kann – oder zu Zielen direkt vor ihrer Haustür. So liebt es die Lechhauserin besonders, am Lech entlang zu gehen. In den meisten Fällen wird die Kommunalpolitikerin dabei von ihrem Mann begleitet. Ihre Riesenschnauzer-Hündin könne mit ihren zwölf Jahren leider nicht mehr bei allen Ausflügen dabei sein.
Claudia Prendke: Sie mag eigentlich keine Spaziergänge Eigentlich konnte Claudia Prendke Spaziergänge nicht leiden. Völlig sinnfrei fand die 54-Jährige das Herumlaufen – bis zum ersten Lockdown. Das Fitness-Studio schloss, Prendke musste ins Homeoffice. Die Augsburgerin befürchtete, auf dem Sofa zu versauern. Dann hatte sie einen Einfall, den sie rückblickend als einen ihrer besten betrachtet. Prendke überzeugte ihren Nachbarn Florian Hesse, gemeinsam spazieren zu gehen. „Ich ließ ihm keine Wahl“, erzählt sie und lacht. Ab da zogen die beiden jeden Abend nach der Arbeit, wenn es allmählich dämmerte, in Lechhausen los, egal bei welchem Wetter. Einbis eineinhalb Stunden lang waren sie jedes Mal unterwegs, acht Kilometer im Schnitt.
Schnell habe sie gemerkt, wie die vielen Schritte an der frischen Luft den Kopf frei machten, der Seele gut taten. „Wir haben uns nicht immer unterhalten. Es wurde auch geschwiegen.“Für die Sekretärin war es wichtig, nicht alleine zu laufen. „Mit jemand anderem im Schlepptau rafft man sich ganz anders auf.“Oft marschierten die Nachbarn am Lech entlang, probierten aber auch neue Wege aus, auf denen sie hin und wieder überrascht wurden. Denn noch nie sei sie jemals zuvor in der Wolfzahnau gewesen, wo die Wertach in den Lech mündet. „Am Ende steht da dieses wunderschöne Wasserkraftwerk, das abends toll beleuchtet ist. Da habe ich wirklich eine Dankbarkeit in mir gespürt“, sagt Prendke.
Überrascht seien sie und ihr Nachbar auch gewesen, als sie in der Firnhaberau plötzlich auf eine Plärrer-Bude stießen. Der Stand, an dem Süßigkeiten verkauft wurden, befand sich auf einem Grundstück. Von da an liefen Prendke und Hesse dort öfter mal vorbei, um sich eine Leckerei zu holen. Vor Kurzem erst ist Claudia Prendke nach Steppach umgezogen. Aber sie und Florian Hesse haben gleich vereinbart, dass sie, wenn auch nicht mehr ganz so oft, weiter gemeinsam spazieren gehen.
Sylvia Richardson: Ein Buch als Wegweiser
Sylvia Richardson fand bis zum Beginn der Pandemie Spaziergänge ohne konkretes Ziel langweilig. Aber auch die 43-Jährige hat den Zeitvertreib für sich neu entdeckt. Während des ersten Lockdowns begang stellte sich die Augsburgerin, die mit ihrem Mann in der Innenstadt lebt, viele Bücher, darunter befand sich der Führer mit dem Titel „111 Orte in Augsburg, die man gesehen haben muss“. Richardson kam die Idee, die Orte zu Fuß abzuklappern. Knapp 50 Stationen hat Richardson bereits im Buch abgehakt. Entweder war sie mit ihrem Mann, ihrer Schwester, mit dem Vater oder mit allen gemeinsam auf Erkundungstour. „Es ist immer gut, wenn jemand dabei ist, denn ich habe null Orientierungssinn“, meint sie schmunzelnd.
Das Weiteste, was Sylvia Richardson bislang gelaufen ist, war die Strecke bis Gut Bannacker im Südwesten von Augsburg. Rund zwölf Kilometer beträgt der Fußmarsch – einfach. Auf dem Rückweg habe sie der Vater mit dem Auto ein Stück mitgenommen. „Ich konnte nicht mehr gehen.“Die 43-Jährige will ihr Vorhaben auf alle Fälle durchziehen. Dabei hat sie sich selbst zusätzlich strenge Regeln auferlegt.
Jede der 111 Stationen wird einzeln zu Fuß erlaufen, liegt eine weitere Sehenswürdigkeit zufällig auf dem Weg, gelte das nicht. Richardson hat so ihren Spaß am Spazierengehen gefunden. Weil die Bewegung mit einem Ziel verbunden ist und weil sie dabei oft Neues und Überraschendes über Augsburg erfährt. Die 43-Jährige mag ihre Erkundungstouren, auch wenn sie ihre Liebsten manchmal dazu etwas überreden müsse.