Augsburger Allgemeine (Land West)
Wollen die Älteren AstraZeneca?
Pandemie Das Präparat wird nur noch Menschen über 60 Jahren geimpft. Doch die Verunsicherung ist groß, mancherorts lehnt die Hälfte das Mittel ab. Wie die Lage in den Impfzentren ist und welche Probleme es mit der Zweitimpfung gibt
Augsburg Dr. Max Kaplan redet nicht drum herum. „Die Hälfte der über 60-Jährigen will diesen Impfstoff nicht.“Dieser Impfstoff, von dem der Unterallgäuer Impf-Koordinator spricht, ist – natürlich – AstraZeneca. Das Präparat, dessen Image in den vergangenen Wochen schwer beschädigt wurde.
Nach einem Beschluss der Gesundheitsminister von Bund und Ländern soll das Mittel in der Regel nur noch bei Personen ab 60 Jahren eingesetzt werden. Jüngere sollen sich aber „nach ärztlichem Ermessen und bei individueller Risikoanalyse nach sorgfältiger Aufklärung“weiterhin damit impfen lassen können, heißt es in dem Beschluss. Unter 60-Jährige würden nun von der Software BayIMCO gar nicht mehr zu einer Impfung mit AstraZeneca eingeladen, erklärt Kaplan. „Auf der anderen Seite sind viele über 60-Jährige nicht gerade begeistert, dass sie nun AstraZeneca bekommen sollen. Sie sind sehr verunsichert.“Dass es eine große Zurückhaltung gibt, zeigen auch die Zahlen. Manchmal etwa werden Kaplan zufolge 50 Termine ausgeschrieben – nach zwei, drei Stunden würden davon aber nur 15 angenommen. „Normalerweise geht das schneller“, sagt Kaplan. Die Mitarbeiter im Impfzentrum rufen dann bei den Leuten an, fragen, ob sie den Termin vielleicht übersehen haben. „Viele sagen dann, dass sie warten, bis sie beim Hausarzt geimpft werden können. Und andere machen sehr deutlich, dass sie keine Impfung mit AstraZeneca wollen.“
Kaplan hofft, dass es bald eine Versachlichung der Diskussion gibt. Dass noch einmal klargemacht wird, dass es bei Menschen über 60 Jahren so gut wie keine Nebenwirkungen gibt. Und dass den Menschen in dieser Altersklasse bewusst wird, dass das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf um ein Vielfaches größer ist als das einer gravierenden Impfnebenwirkung. „Ich will keine vollen Kühlschränke“, macht Kaplan deutlich. „Was wir haben, soll auch verimpft werden.“
Eine große Verunsicherung ist vorhanden, das kann auch Gregor Blumtritt bestätigen, Ärztlicher Leiter der Impfzentren in Kaufbeuren und Marktoberdorf. Jedes Patientengespräch beendet der Allgemeinmediziner in seiner Gemeinschaftspraxis in Kaufbeuren, in der seit vergangener Woche auch geimpft wird, gerade mit Fragen zum Impfen. So ernst er die möglichen Nebenwirkungen von AstraZeneca auch nimmt, ganz nachvollziehen kann er die jetzige völlige Kehrtwende nicht: „Ich würde eine individuelle Risikoabwägung bevorzugen, so wie es ja auch die Europäische Arzneimittelbehörde und die WHO vorschlagen.“Auch warum nicht wenigstens Männer unter 60 Jahren weiter AstraZeneca erhalten, ist für den Allgemeinmediziner nicht schlüssig.
Blumtritt beobachtet aber keine Ablehnung von AstraZeneca bei Menschen über 60 Jahren: „Gerade bei den Menschen über 70 hat sich meiner Beobachtung nach die richtige und wichtige Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Covid-19-Erkrankung für sie extrem lebensgefährlich ist. Sie nehmen daher jeden Impfstoff.“Gleichwohl war es seines Erachtens natürlich nicht zielführend, dass zunächst AstraZeneca nicht für Ältere eingesetzt werden durfte und jetzt ausschließlich – „diese ganze Informationspolitik ist schon sehr verwirrend“. Am meisten ärgert Blumtritt aber die fehlende Planungssicherheit: „Eine Planung über fünf Tage hinaus wäre meine wichtigste Forderung.“So wüssten weder die Impfzentren noch die Hausarztpraxen, wie viel und welchen Impfstoff sie wirklich bekommen: „Das erschwert die Vergabe von Impfterminen ganz massiv“, erklärt Blumtritt. „Wir vergeben daher die Termine in unseren Impfzentren nur noch Woche für Woche, was natürlich die Organisation extrem schwierig macht.“
Besonders desaströs hält er die Informationslage für Menschen, die unter 60 Jahre sind und bereits eine Erstimpfung mit AstraZeneca bekommen haben. „Da hängen auch wir Ärzte immer noch völlig in der Luft“, sagt Blumtritt. „Zwar zeichnet sich ab, dass diese Personengruppe als zweiten Impfstoff jetzt einen mRNA-Impfstoff erhält, aber genau wissen wir es noch nicht.“Und auch dies erschwere die Vergabe von Impfterminen zusätzlich.
Malwine Zacher gehört zu den Menschen, die in so einer kniffligen Lage stecken. Die 40-Jährige aus Dillingen, die in einer Physiotherapiepraxis arbeitet, bekam Mitte Februar das Mittel von AstraZeneca verabreicht. Obwohl schon damals der Ruf des Präparats ins Wanken gekommen war, hatte Zacher keine Zweifel: „Nein, ein komisches Gefühl hatte ich nicht. Es gibt bei so vielen Medikamenten Nebenwirkungen, die im Beipackzettel stehen. Da macht sich auch keiner Sorgen.“Was sie nun aber umtreibt, ist eben die Frage, was jetzt eigentlich mit der Zweitimpfung passiert.
„Ich möchte den zweiten Termin etwas hinauszögern. Von neun auf zwölf Wochen“, sagt Zacher. „Ich will erst wissen, wie es weitergeht. Und ob es sinnvoll ist, einen komplett anderen Impfstoff draufzusetzen. Und bevor ich da im Dunkeln tappe, würde ich mir lieber noch einmal AstraZeneca impfen lassen.“
Sabine Adelwarth geht es ähnlich. Dass die 38-Jährige aus Dirlewang in der Nähe von Mindelheim bereits geimpft ist, hat zwei Gründe: Zum einen arbeitet sie als Arzthelferin, zum anderen leidet sie an Mukoviszidose, einer angeborenen Stoffwechselerkrankung, bei der der Schleim in den Bronchien sehr viel zäher ist als normalerweise. „Ich habe mir keine Gedanken gemacht, mich mit AstraZeneca impfen zu lassen. Bei anderen Impfungen kennt man nicht einmal die Hersteller, da macht sich doch auch niemand Gedanken“, sagt sie. Eigentlich sollte ihre zweite Impfung am 3. Mai stattfinden – ob es dabei bleibt, weiß Adelwarth nicht. Und auch nicht, welchen Impfstoff sie dann bekommen wird. „Wenn es Biontech oder Moderna wird, dann ist das auch gut. Ich vertraue darauf, dass das alles gut geprüft wird.“
Vereinzelt komme es vor, dass sich auch Jüngere weiterhin noch mit AstraZeneca impfen lassen wollen, berichtet Madeleine BestlerKraus, Sprecherin des Landratsamtes Neu-Ulm. „Die Impfzentren sind gehalten, diesen Wunsch abzulehnen“, fährt sie fort. „Diese Impfungen sollen von den Hausärzten, die die Impflinge besser kennen, vorgenommen werden.“Nicht nur bei der Beratung von Impfwilligen unter 60 Jahren werden die Hausärzte künftig eine größere Rolle spielen. Nach dem Impfstart vergangene Woche in einigen Praxen sollen Hausärzte in Bayern nun flächendeckend Spritzen gegen das Coronavirus verabreichen. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns rechnet ab diesem Mittwoch mit einem Impfstart in rund 8500 Praxen.
Der Bundesvorsitzende des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, fordert derweil mehr Informationen über die Nebenwirkungen von AstraZeneca. „Impfen darf nicht zur Mutprobe werden – weder für die Patienten noch für den Arzt“, sagte Weigeldt der Bild. Es fehle bisher an Klarheit, welche Vorerkrankungen und Prädispositionen die Geimpften hatten, bei denen Hirnvenen-Thrombosen aufgetreten waren. So sei es leichter einzuschätzen, ob der Impfstoff auch Jüngeren gegeben werden könne.
Für weitere offene Fragen sorgt allerdings auch die Meldung, dass ab dem 19. April keine Belieferung der Impfzentren mit AstraZeneca für Erstimpfungen mehr stattfinden soll. Dies bestätigte das bayerische Gesundheitsministerium am Dienstagabend unserer Redaktion. Die Länder werden demnach im April wöchentlich mit 2,25 Millionen Dosen Impfstoff beliefert, das heißt rund 350 000 Dosen für Bayern. Die Impfzentren würden den ihnen gelieferten Impfstoff entsprechend der Priorisierung weiter verimpfen. Doch nach dem 19. April können nach Angaben des Ministeriums in den Impfzentren die über 60-Jährigen dann mit dem Impfstoff von Biontech oder Moderna erstgeimpft werden. Daneben erfolgten die anstehenden Zweitimpfungen mit AstraZeneca. Erst- und Zweitimpfungen mit AstraZeneca würden nach jetzigem Informationsstand in den Hausarztpraxen stattfinden.