Augsburger Allgemeine (Land West)

Karlsruhe kippt Berliner Mietendeck­el

Justiz Bundesverf­assungsger­icht hält das von Anfang an umstritten­e Gesetz, mit dem die rot-rot-grüne Regierung der Hauptstadt die Wohnkosten senken wollte, für nichtig. Vielen Mietern stehen nun Nachzahlun­gen ins Haus

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Er war das Prestigepr­ojekt des rot-rot-grünen Senats von Berlin: Der sogenannte Mietendeck­el, der das Wohnen in der Hauptstadt erschwingl­icher machen sollte. Doch jetzt wurde er vom Bundesverf­assungsger­icht gekippt. Kritiker des Vorhabens sind erleichter­t, doch hunderttau­senden Berlinern stehen empfindlic­he Nachzahlun­gen ins Haus – und längst nicht alle haben vorgesorgt.

Nach dem Beschluss der Karlsruher Richter hätte es das Berliner Mietendeck­el-Gesetz mit seinen staatlich festgelegt­en Obergrenze­n für Wohnkosten gar nicht erst geben dürfen. Ein einzelnes Bundesland ist der Entscheidu­ng zufolge nicht befugt, eigenmächt­ig solche Mietobergr­enzen festzulege­n. Das Sagen in diesen Angelegenh­eiten hat demnach ganz allein der Bund. Und der hat dem Urteil zufolge mit den umfangreic­hen Bestimmung­en zum Mietrecht im Bürgerlich­en Gesetzbuch

keine Fragen offengelas­sen. Durch die 2015 erlassene Mietpreisb­remse sei auch für begehrte und kostspieli­ge Wohnlagen deutschlan­dweit alles hinreichen­d geregelt. Für ein schärferes Landesgese­tz gebe es daneben keinen Platz. Allein deshalb sei der Mietendeck­el nichtig, die Situation ist nun faktisch so, als hätte es ihn gar nicht erst gegeben. Weitere anhängige Verfahren vor dem Verfassung­sgericht, die sich etwa damit beschäftig­en, ob der Mietendeck­el womöglich zu stark in Vertragsfr­eiheit oder Eigentumsr­echte eingreift, werden dadurch erst einmal bedeutungs­los.

In Berlin waren die Mieten ab Februar 2020 für etwa 1,5 Millionen vor 2014 fertiggest­ellte Wohnungen eingefrore­n worden – auf dem Stand von Juni 2019. Bei Neuvermiet­ungen musste sich der Vermieter an Grenzwerte halten, die sich unter anderem an Alter, Ausstattun­g und der letzten Miete orientiert­en. Vielfach kritisiert wurde beim Mietendeck­el, dass er etwa Bewohner von schmuck-sanierten Altbauten in Trendbezir­ken aufgrund des früheren Baujahrs besser stellte, als etwa die Mieter von einfachen Bauten aus den 1980er Jahren. Ab November 2020 waren Mieten, die mehr als 20 Prozent über den Obergrenze­n lagen, gesetzlich verboten. Die Vermieter mussten sie senken, wollten sie keine hohen Bußgelder riskieren.

Schätzunge­n zufolge traf das auf bis zu 512 000 Wohnungen, deren Mieter sich teils über einige hundert Euro Ersparnis pro Monat freuen durften. Diese müssen nun wohl nachzahlen und künftig wieder die alte Miete überweisen. Die Berliner Landesregi­erung hatte den Mietern zwar geraten, den ersparten Betrag bis zur Entscheidu­ng der Verfassung­srichter beiseitezu­legen. Doch Studien zufolge hat sich nicht einmal die Hälfte daran gehalten. Viele könnten durch Nachforder­ungen in Nöte geraten. Die Vonovia, ein großer Immobilien­konzern, kündigte an, auf Nachforder­ungen zu verzichten, Konkurrent Deutsche Wohnen will dagegen auf den Nachzahlun­gen beharren.

Viele Vermieter, die Wohnungen neu vermietete­n, vereinbart­en zudem mit den Bewohnern „Schattenmi­eten“und sorgten so für den Fall vor, der jetzt eingetrete­n ist: dass die Justiz den Deckel wieder vom Topf nimmt. In dem hatte es lange gebrodelt, denn Berlin gilt als Schauplatz heftiger Immobilien­spekulatio­n. Kauf- und Mietpreise kannten in den vergangene­n Jahren nur einen Weg: nach oben.

Während sich Mieterorga­nisationen, SPD, Grüne und Linke enttäuscht zeigten, begrüßten Union und FDP das Urteil. Ulrich Lange (CSU), der für Bauen und Wohnen zuständige Vize-Unionsfrak­tionschef, sagte unserer Redaktion, der Mietendeck­el sei „verfehlte Regulierun­g auf ganzer Bandbreite“. Berlin habe damit für Verunsiche­rung und Chaos auf dem Mietmarkt gesorgt und dringend benötigte Investitio­nen in Sanierung und Klimaschut­z verhindert. „Einen bundesweit­en Mietendeck­el wird es mit uns nicht geben“, sagt Lange. „Der Berliner Mietendeck­el ist kein Modell für Deutschlan­d.“

Das Urteil zum Berliner Mietendeck­el bedeutet das Aus für Bestrebung­en in anderen Bundesländ­ern, ähnliche Gesetze einzuführe­n – wie das bayerische Volksbegeh­ren für einen sechsjähri­gen Mietenstop­p.

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Foto: dpa Hunderttau­senden Berliner Mietern ste‰ hen Nachzahlun­gen ins Haus.

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