Augsburger Allgemeine (Land West)
Karlsruhe kippt Berliner Mietendeckel
Justiz Bundesverfassungsgericht hält das von Anfang an umstrittene Gesetz, mit dem die rot-rot-grüne Regierung der Hauptstadt die Wohnkosten senken wollte, für nichtig. Vielen Mietern stehen nun Nachzahlungen ins Haus
Berlin Er war das Prestigeprojekt des rot-rot-grünen Senats von Berlin: Der sogenannte Mietendeckel, der das Wohnen in der Hauptstadt erschwinglicher machen sollte. Doch jetzt wurde er vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Kritiker des Vorhabens sind erleichtert, doch hunderttausenden Berlinern stehen empfindliche Nachzahlungen ins Haus – und längst nicht alle haben vorgesorgt.
Nach dem Beschluss der Karlsruher Richter hätte es das Berliner Mietendeckel-Gesetz mit seinen staatlich festgelegten Obergrenzen für Wohnkosten gar nicht erst geben dürfen. Ein einzelnes Bundesland ist der Entscheidung zufolge nicht befugt, eigenmächtig solche Mietobergrenzen festzulegen. Das Sagen in diesen Angelegenheiten hat demnach ganz allein der Bund. Und der hat dem Urteil zufolge mit den umfangreichen Bestimmungen zum Mietrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch
keine Fragen offengelassen. Durch die 2015 erlassene Mietpreisbremse sei auch für begehrte und kostspielige Wohnlagen deutschlandweit alles hinreichend geregelt. Für ein schärferes Landesgesetz gebe es daneben keinen Platz. Allein deshalb sei der Mietendeckel nichtig, die Situation ist nun faktisch so, als hätte es ihn gar nicht erst gegeben. Weitere anhängige Verfahren vor dem Verfassungsgericht, die sich etwa damit beschäftigen, ob der Mietendeckel womöglich zu stark in Vertragsfreiheit oder Eigentumsrechte eingreift, werden dadurch erst einmal bedeutungslos.
In Berlin waren die Mieten ab Februar 2020 für etwa 1,5 Millionen vor 2014 fertiggestellte Wohnungen eingefroren worden – auf dem Stand von Juni 2019. Bei Neuvermietungen musste sich der Vermieter an Grenzwerte halten, die sich unter anderem an Alter, Ausstattung und der letzten Miete orientierten. Vielfach kritisiert wurde beim Mietendeckel, dass er etwa Bewohner von schmuck-sanierten Altbauten in Trendbezirken aufgrund des früheren Baujahrs besser stellte, als etwa die Mieter von einfachen Bauten aus den 1980er Jahren. Ab November 2020 waren Mieten, die mehr als 20 Prozent über den Obergrenzen lagen, gesetzlich verboten. Die Vermieter mussten sie senken, wollten sie keine hohen Bußgelder riskieren.
Schätzungen zufolge traf das auf bis zu 512 000 Wohnungen, deren Mieter sich teils über einige hundert Euro Ersparnis pro Monat freuen durften. Diese müssen nun wohl nachzahlen und künftig wieder die alte Miete überweisen. Die Berliner Landesregierung hatte den Mietern zwar geraten, den ersparten Betrag bis zur Entscheidung der Verfassungsrichter beiseitezulegen. Doch Studien zufolge hat sich nicht einmal die Hälfte daran gehalten. Viele könnten durch Nachforderungen in Nöte geraten. Die Vonovia, ein großer Immobilienkonzern, kündigte an, auf Nachforderungen zu verzichten, Konkurrent Deutsche Wohnen will dagegen auf den Nachzahlungen beharren.
Viele Vermieter, die Wohnungen neu vermieteten, vereinbarten zudem mit den Bewohnern „Schattenmieten“und sorgten so für den Fall vor, der jetzt eingetreten ist: dass die Justiz den Deckel wieder vom Topf nimmt. In dem hatte es lange gebrodelt, denn Berlin gilt als Schauplatz heftiger Immobilienspekulation. Kauf- und Mietpreise kannten in den vergangenen Jahren nur einen Weg: nach oben.
Während sich Mieterorganisationen, SPD, Grüne und Linke enttäuscht zeigten, begrüßten Union und FDP das Urteil. Ulrich Lange (CSU), der für Bauen und Wohnen zuständige Vize-Unionsfraktionschef, sagte unserer Redaktion, der Mietendeckel sei „verfehlte Regulierung auf ganzer Bandbreite“. Berlin habe damit für Verunsicherung und Chaos auf dem Mietmarkt gesorgt und dringend benötigte Investitionen in Sanierung und Klimaschutz verhindert. „Einen bundesweiten Mietendeckel wird es mit uns nicht geben“, sagt Lange. „Der Berliner Mietendeckel ist kein Modell für Deutschland.“
Das Urteil zum Berliner Mietendeckel bedeutet das Aus für Bestrebungen in anderen Bundesländern, ähnliche Gesetze einzuführen – wie das bayerische Volksbegehren für einen sechsjährigen Mietenstopp.