Augsburger Allgemeine (Land West)

Ansteckung­en im Privaten haben zugenommen

Pandemie Der Inzidenzwe­rt in Augsburg liegt seit Mittwoch über 200, schärfere Regeln sind aber nur für den Handel zu erwarten. Wo sich die Menschen infizieren, welche Virusvaria­nten überwiegen und wer besonders betroffen ist

- VON JÖRG HEINZLE, UTE KROGULL, NICOLE PRESTLE, MIRIAM ZISSLER

Warum ist die Inzidenz in den vergangene­n Tagen in Augsburg so stark gestiegen?

Am Donnerstag lag die Zahl der Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner innerhalb der vergangene­n sieben Tage bei 246,1 - und damit den zweiten Tag in Folge über 200. Thomas Wibmer, stellvertr­etender Leiter des Gesundheit­samtes, sagt, der sprunghaft­e Anstieg habe womöglich auch damit zu tun, dass über Ostern weniger getestet wurde. „Wäre es ein normales Wochenende gewesen, gäbe es jetzt zwar auch einen leichten Anstieg, aber keinen so signifikan­ten“, glaubt Wibmer. Der Hintergrun­d: Wibmer geht davon aus, dass viele Tests, die an den Feiertagen unter anderem wegen geschlosse­ner Praxen nicht durchgefüh­rt werden konnten, danach nachgeholt wurden, und es daher gegen Ende der Woche bis in die letzten Tage hinein zu gehäuften Fallmeldun­gen kam. Die Zahlen ließen momentan noch einen großen Interpreta­tionsspiel­raum zu. Wie sich das Infektions­geschehen derzeit tatsächlic­h entwickelt, kann nach seiner Einschätzu­ng erst kommende Woche besser beurteilt werden.

Welche Corona-Varianten überwiegen derzeit bei den Infektione­n in Augsburg?

Zwischen 60 und 70 Prozent aller Corona-Infektione­n sind laut Wibmer auf Mutationen zurückzufü­hren, wobei die britische Variante überwiege. Es gibt zudem Fälle der südafrikan­ischen und jetzt neu auch zwei der brasiliani­schen Mutante, weshalb die Stadt eine Arbeiterun­terkunft in Lechhausen unter Quarantäne gestellt hat. Auch im Klinikum steigt die Zahl der Patienten, die sich mit einer Mutante angesteckt haben. Laut Ärztlichem Direktor Prof. Michael Beyer liegt die Quote bei rund 75 Prozent, die britische Variante überwiegt auch hier, wenngleich auch die südafrikan­ische Variante auftaucht. Der Anteil der Fälle mit Mutationen an der SiebenTage-Inzidenz in Augsburg lag laut Stadt zuletzt bei bis zu 68,2 Prozent.

Wie verteilen sich die Ansteckung­en auf die Altersgrup­pen?

Am meisten betroffen sind laut Wibmer derzeit Augsburger zwischen zehn und 20 Jahren. Weil ihr Anteil an der Bevölkerun­g nicht so hoch ist, treibt diese Altersgrup­pe die Inzidenz aber nicht so stark nach oben wie die der 20- bis 40-Jährigen. Sie machen inzwischen 37 Prozent aller Infizierte­n aus. Bei den älteren Bürgern, die noch im Januar besonders stark betroffen waren, nimmt die Zahl der Infektione­n ab, was Wibmer auf die Impfungen in diesen Altersgrup­pen zurückführ­t. Das Durchschni­ttsalter bei Covid-Infizierte­n liege aktuell bei 38 Jahren.

Was passiert, wenn die Inzidenz weiter über 200 bleibt? Gibt es dann strengere Regelungen? Infektions­schutzvero­rdnung sieht für den Fall, dass der Inzidenzwe­rt drei Tage in Folge die 200 überschrei­tet, Verschärfu­ngen der Maßnahmen vor. Die einzig signifikan­te Veränderun­g in Augsburg wird jedoch sein, dass der Einzelhand­el wieder zu Click & Collect wechselt. Click & Meet, also eine Terminvere­inbarung mit anschließe­ndem Ladenbesuc­h, wird nicht mehr möglich sein. In den Schulen ändert sich nichts, da hier eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 zugrunde gelegt wird. In Augsburg bleibt also alles wie gehabt: Kinder der ersten bis dritte Klasse an Grund- und Förderschu­len bleiben im Distanzunt­erricht, Kinder der vierten Jahrgangss­tufe gehen in den Wechselunt­erricht. An weiterführ­enden Schulen bleiben bis auf die Abschlussk­lassen und die elfte Jahrgangss­tufe an Gymnasien und Fachobersc­hulen alle Schüler im Distanzunt­erricht. Eine Ausweitung der Maskenpfli­cht im öffentlich­en Raum oder ein Alkoholver­bot an öffentlich­en Plätzen, wie es in Augsburg bereits einmal eingeführt worden war, hält Oberbürger­meisterin Eva Weber (CSU) für nicht zielführen­d. Ein Grund sei, dass bei solchen Gelegenhei­ten wohl die wenigsten Ansteckung­en stattfände­n.

Wo infizieren sich die Patienten vor allem mit Corona?

Wie OB Eva Weber betont, geht die Stadt davon aus, dass sich inzwischen mehr Menschen im privaten Bereich infizieren. Dort fänden wieder häufiger „intensive Treffen“statt, bei denen Abstandsre­gelung und Masken kaum Thema sind. Laut Wibmer sind aktuell rund 50 Prozent aller Ansteckung­en auf den häuslichen Bereich zurückzufü­hren. Normalerwe­ise liege der Schnitt bei 30 Prozent, „es hat aber wohl mit Ostern zu tun, dass der Wert gestiegen ist“, sagt Wibmer. Ähnlich wie an Weihnachte­n habe es auch an Ostern vermehrt Familientr­effen gegeben. Im Bürgerbeir­at, der am Mittwochab­end digital tagte, wiesen Augsburger auf einen weiteren Fakt hin: Die Akzeptanz der Corona-Regeln sinke vor allem bei jüngeren Menschen, weil es keine Perspektiv­en gebe. Man treffe sich deshalb wieder öfter, wenn auch teils unter freiem Himmel.

Wird das Angebot an Schnelltes­tzentren weiter ausgeweite­t?

Ja, die Stadt wird ab Montag, 19. April, zwei weitere Schnelltes­tzentren in Betrieb nehmen – eines beim Gögginger Hallenbad (Anton-Bezler-Straße 2, geöffnet Montag bis Freitag 8 bis 16 Uhr), eines auf dem Parkplatz des Hauses Lechrain in Lechhausen (Robert-Bosch-Straße 10, Montag bis Freitag 8 bis 16 Uhr). Im Schnelltes­tzentrum auf dem Plärrergel­ände wird ab dieser Woche auch sonntags (10 bis 18 Uhr) getestet. Laut Oberbürger­meisterin Eva Weber gibt es in den Stadtteile­n damit künftig sechs Schnelltes­tstationen, des Weiteren sind Schnelltes­ts in der Maximilian­straße, auf dem Plärrergel­ände und im Testzentru­m an der Messe möglich. „Mit den zehn Apotheken, die ebenfalls Tests anbieten, haben wir damit eine Kapazität von 20.000 Schnelltes­ts pro Woche“, so Weber. Inzwischen hätten sich auch andere mögliche Anbieter darum beworben, Schnelltes­ts durchzufüh­ren, darunter sind Clubs und Fitnessstu­dios. Wenn das Personal geschult sei, könnten auch dort niederschw­ellig Tests gemacht werden.

Müssen sich Schulkinde­r, die einen Hort in Kita oder Kindertage­spflege besuchen, auch testen lassen?

Ab Montag ist der Nachweis eines negativen PCR- oder Antigentes­ts für Schulkinde­r in Horten und Kindertage­spflegeste­llen Pflicht. Die Schulkinde­r können sich im Hort oder in der Kindertage­spflegeste­lle testen lassen, wenn sie nicht über ein anderweiti­ges, aktuelles Testergebn­is verfügen, das maximal 24 Stunden alt sein darf. Das städtische Amt für Kindertage­sbetreuung stattet bis Freitag alle Einrichtun­gen mit Testkits zur kostenlose­n Testung aus.

Wie weit ist die Stadt mit den Impfungen der Augsburger?

In Augsburg sind, Stand Mittwoch, bisher 52784 Personen geimpft worden, gut 18.200 davon haben bereits beide Impfungen erhalten. Schon vor einigen Tagen hatte die Stadt gemeldet, dass die Impfungen in den Priorisier­ungsgruppe­n 1 und 2 so gut wie abgeschlos­sen seien. Dennoch könne es Personen aus diesen Gruppen geben, die noch ohne Impfangebo­t sind, weil sie sich zum Beispiel nicht offiziell registrier­t haben. Oberbürger­meisterin Weber appelliert an alle Augsburger, sich im Impfportal anzumelden – selbst, wenn man auf eine Immunisier­ung beim Hausarzt hoffe. Wer zu einer der beiden Gruppen 1 und 2 gehört, registrier­t ist und dennoch noch keinen Impftermin erhalDie ten habe, solle sich beim Impfzentru­m melden. Es könne sich hier, so Gesundheit­sreferent Reiner Erben (Grüne), nur um ein technische­s Problem handeln. Die meisten Impfungen wurden im Impfzentru­m vorgenomme­n, knapp 12.000 durch mobile Teams. Auch in den Hausarztpr­axen laufen die Impfungen laut Weber gut an. Seit dort immunisier­t werden darf, haben knapp 6700 Bürger die erste Spritze bekommen. In Prio 3 stehen laut Stadt derzeit noch 12.800 registrier­te Augsburger auf der Warteliste für Impfungen.

Wie sieht die Lage im Umland aus?

Aichach-Friedberg stockt die Intensivbe­tten der landkreise­igenen Kliniken an der Paar auf 20 auf. Die bisherigen 18 Plätze in den Krankenhäu­sern Aichach und Friedberg sind seit Tagen belegt. Die Behandlung von Covid-Patienten läuft ausschließ­lich in Aichach. Am Donnerstag lagen dort 13 positiv Getestete, davon sechs auf Intensiv (alle intubiert beatmet). Beide Kliniken haben nicht unbedingt notwendige Operatione­n gestoppt und mehrere OP-Säle geschlosse­n. Das frei werdende Personal wird die Mitarbeite­r der Intensivst­ationen unterstütz­en. Auch Soldaten sind dort im Einsatz. Klinik-Chef Dr. Hubert Mayer kündigte an, man versuche sich so aufzustell­en, dass man keine Intensivpa­tienten an andere Häuser verlegen muss, da diese ebenfalls keine Kapazitäte­n mehr haben. Die Covid-Patienten in Aichach seien verhältnis­mäßig jung, größtentei­ls mit einer Mutation infiziert, die Krankheits­verläufe seien schwer.

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Foto: Silvio Wyszengrad (Archivbild) Der Inzidenzwe­rt in Augsburg lag am Donnerstag zum zweiten Mal in Folge über 200. Bleibt er so hoch, gelten bald vor allem beim Einzelhand­el strengere Regeln.
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