Augsburger Allgemeine (Land West)
Junges Supertalent für die Blasharmoniker
Die Gersthofer Blasharmoniker hatten die Qual der Wahl und durften aus einem Bewerberpool von 17 Dirigenten die Nachfolge für Ulrich Fischer auswählen
Gersthofen Fischer war seit 1994 der Dirigent des Gersthofer Blasorchesters. Nun wird eine Frau den Taktstock schwingen. Denn die Wahl fiel auf Melanie Maria Warschun-Boulata. Die Mittzwanzigerin, die ihr Alter nicht verraten möchte, spricht neben ihrer Muttersprache Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Arabisch. „Ohne Sprachen kommt man nicht so weit in der Welt, mit Musik schon“, erzählt die gebürtige Nordrhein-Westfälin aus Detmold. „Doch da, wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an. Denn die Musik hat etwas sehr Soziales und Verbindendes.“
„Mein erstes Instrument war die Trompete. Mit elf Jahren wechselte ich zum Horn“, erzählt WarschunBoulata, die einst das Musikgymnasium besuchte. Mit 16 Jahren studierte sie als Jungstudentin sechs Semester Horn künstlerisch an der Musikhochschule Detmold bei Professor Norbert Stertz, machte die Kirchenmusikausbildung und die Bläserchorleitung und absolvierte nebenbei ihr Abitur. Auslandsprojekte nahm sie stets mit. „Die Musik hat mich herausgebracht und mich etwas erleben lassen. Reisen sind die absolute Inspirationsquelle, und es gab eigentlich nie einen Monat, in dem ich nicht gereist bin“, schwärmt die Dirigentin, die bereits 40 Länder der Welt bereiste.
Konzertreisen und internationale Masterclasses führten sie in die weite Welt. Als Volontärin war sie in den Jahren 2017 und 2018 bei Brass for Peace. Ein Höhepunkt ihres bisherigen Lebens. Denn sie reiste nach Palästina, verbrachte dort ihr Auslandsjahr und zeigte sich nach dieser Erfahrung begeistert: „Brass for Peace hat mir gezeigt, dass Musik Menschen unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Sprachen friedlich miteinander vereinen kann.“
Seitdem ist sie für den diplomatischen Dienst der Bundesrepublik Deutschland tätig und bereitet palästinensische Orchester auf Staatsempfänge vor. Seit 2015 wohnt sie in Augsburg, machte am Leopold-Mozart-Zentrum der Universität Augsburg ihren Bachelor Musik in Instrumentalpädagogik Horn sowie Blasorchesterleitung bei Professor Maurice Hamers und schloss mit Bestnote ab. Warum sie ausgerechnet nach Augsburg kam? „Weil Augsburg einen riesengroßen Namen in Bezug auf Blasorchesterleitung hat“, antwortet sie blitzschnell. „Egal ob aus Kiel, der Schweiz oder Venezuela – von überall kommen sie nach Augsburg.“
Auf die Gersthofer Blasharmoniker wurde sie durch Uli Fischer aufmerksam: „Er hat mich auf einem Bläserkonzert angesprochen und gefragt, ob ich mich nicht bewerben möchte.“Fischer wollte jemand, der in Augsburg studiert hat. „Wir sind alle individuell, haben aber die gleiche Basis.“
Mit den Gersthofern zu arbeiten, darauf freut sich Warschun-Boulata sehr. „Die Blasharmoniker haben ein Riesenpotenzial und sind ein Traum für jeden Dirigenten. Dazu kommen ein fantastisches Probenhaus, Topinstrumente und eine super Organisation. Es gab nicht umsonst so viele Bewerber.“Allerdings plane sie nicht, wie viele Orchester, die nächsten 20 Jahre da zu sein. Denn das wäre aus ihrer Sicht eigentlich falsch, weil sich Orchester so nicht weiterentwickeln können. Sie habe auch keinen Vertrag mit den Blasharmonikern, sondern arbeitet auf Auftragsbasis. Auslandsprojekte werde sie immer machen, ebenso ihr Masterstudium parallel zur Arbeit, aber zu den Proben natürlich stets da sein.
Aktuell sind Proben nicht möglich. „Die Corona-Zeit nutze ich, um mich weiterzubilden und etwas Sinnvolles zu machen. Deshalb mache ich am Luigi-Cherubini-Konservatorium für Musik in Florenz ein dreimonatiges Auslandssemester.“Ihre Schwerpunkte dort sind Dirigieren und Instrumentation. „Ich liebe es, die Geschichte hinter der Musik zu erkunden und die fremde Welt einem Publikum nahezubringen.“
Ihren Ehemann Giries Boulata, Professor an zwei Musikhochschulen in Jerusalem, sowie Pianist und Komponist, sah sie aufgrund von Corona monatelang nicht. Auch von ihm hat sie in einjähriger Arbeit das Stück „Gaza Rhapsody“für sinfonisches Blasorchester umgeschrieben. Er wird auf jeden Fall auch mal in Gersthofen spielen. An die Blasharmoniker möchte sie sich langsam herantasten, dann aber auch intensiv arbeiten. „Ich setze nicht so sehr mein eigenes Ding durch, sondern bin sehr auf interaktive Arbeit aus.“Gemeinsam mit ihnen möchte sie sich an „Die Mittagshexe“von Antonín Dvorˇák heranwagen. „Da werden die Köpfe rauchen“, lacht sie. „Nach Corona möchte ich einfach schöne Momente schaffen, wo jeder träumen und die Welt um sich herum vergessen kann.“