Augsburger Allgemeine (Land West)
Schmerzfreie Füße sind ihr Beruf
Lehrstellenoffensive Emilia Liepert und Marco Meltzer machen eine Ausbildung zum Orthopädieschuhmacher. Was die jungen Leute an dem Handwerk fasziniert
Neusäß Marco Meltzer beugt sich über das Einlagen-Regal, seine Kollegin Emilia Liepert steht neben ihm. Ihr Blick wechselt zwischen den Einlegesohlen und einem Stück Papier hin und her. Der kleine Rollwagen vor ihnen ist voll mit Einlagen, Schuhen und Zetteln.
Die Berufseinsteiger machen eine Ausbildung zum Orthopädieschuhmacher in der Werkstatt von Alexandra Stuhler und Jörg Aumann in Neusäß-Westheim im Kreis Augsburg. Auf dem Papier ist ein Paar Füße in Originalgröße abgedruckt. Für diese Füße werden die Sohlen gemacht, sie sind die Vorlage. Meltzer arbeitet ruhig und konzentriert. Der Maschinenlärm und die Gesprächsfetzen in dem kleinen Produktionsraum blendet er aus.
In der linken Hand hält er einen langen Zimmermannsbleistift, in der rechten einen Kugelschreiber. Den Bleistift nutzt er als Lineal, er misst auf der Vorlage und auf den Einlagen. Er vergleicht, überlegt und setzt einen kurzen Strich auf die Sohlenoberfläche. Mit dem Strich markiert er die Position für die Pelotte, die er später auf den Sohlenrohling kleben wird. Zuerst die rechte, dann die linke Sohle. Das kleine Polster aus Moosgummi helfe beispielsweise gegen Spreizfüße und ermögliche dem Träger wieder ein schmerzfreies Laufen, sagt er. Meltzer ist bereits im zweiten Lehrjahr, in wenigen Wochen wird er seine Zwischenprüfung schreiben.
Die Haare trägt er zum Scheitel, immer wenn er sich vorbeugt und die Sohlen mit der Kopie abgleicht, fallen sie ihm leicht ins Gesicht. Mit einer schnellen Handbewegung streift er sie aus den Augen, er braucht den Durchblick. Er darf jetzt keinen Fehler machen, sonst war die ganze Arbeit umsonst. Bevor er die Pelotten anklebt, überprüft ein ausgelernter Kollege die Position. Die Markierung passt, Meltzer kann mit dem Spezialkleber die Pelotte anbringen. Sieben Arbeitsschritte sind vom Rohling bis zur fertigen Einlage notwendig.
„Unsere Kunden kommen nicht aus Vergnügen, wer etwa einen Fersensporn hat, der hat einen Leidensdruck“, betont Orthopädieschuhmachermeister Aumann. Die beiden Auszubildenden sind sich dieser Verantwortung bewusst. Dass sie mit ihrer Arbeit Schmerzen lindern, mache sie stolz. „Das verleiht der Arbeit einen tieferen Sinn“, sagt Meltzer. Die Ausbildung zum Orthopädieschuhmacher ist Meltzers zweite Ausbildung. Gleich nach dem Realschulabschluss absolvierte er eine Lehre zum Automobilkaufmann. Er hat sie abgeschlossen, weiter in dem Beruf arbeiten wollte er nicht. „Als Orthopädieschuhmacher kann ich was mit meinen Händen machen“, sagt er. „Das hat mir im Büro gefehlt.“
Emilia Liepert startete im Herbst in ihre Ausbildung. In einem Praktikum bewies sie ihr Talent und sicherte sich so den Lehrstellenplatz. „Es geht nicht um Noten“, sagt der Ausbilder. Wichtiger seien Engagement und Talent. Neben Einlagen fertigen Orthopädieschuhmacher auch Schuhzurichtungen und Maßschuhe. Bei den Zurichtungen werden Konfektionsschuhe nach den Bedürfnissen der Träger umgearbeitet. Kunden mit unterschiedlichen Beinlängen, mit Arthrose oder Hallux ordern die Zurichtungen, um so wieder schmerzfrei zu laufen.
Ab dem dritten Lehrjahr arbeiten die Auszubildenden verstärkt bei der Produktion von Orthopädieund Therapieschuhe mit. Für die Anfertigung der Maßschuhe müssen sie die Wünsche der Kunden und die Vorgaben des fachärztlichen Rezepts genau beachten.
Weil ihre Tätigkeit systemrelevant ist, blieb den Azubis eine Zwangspause während der Pandemie erspart. „Unser Beruf ist absolut krisensicher“, betont Meltzer. Um seine berufliche Zukunft macht er sich keine Sorgen. Gesundheit liege im Trend, sogar immer mehr junge Leute würden inzwischen auf gesunde Füße achten, sagt er.