Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Schilddrüse: Das Gaspedal unseres Hormonhaushalts
Medizin Dr. Joanna Eisenbach von den Wertachkliniken erklärt alles rund um die Schilddrüse: Welche Erkrankungen gibt es, wie bleibt sie gesund, und wie kann Jod helfen?
Landkreis Augsburg Sie wiegt nur zarte 20 Gramm, hat aber vielfältigste Auswirkungen auf unseren Körper: die Schilddrüse. Vom HerzKreislauf-System über die Verdauung bis hin zum Knochenbau beeinflussen die Schilddrüsenhormone sogar die Psyche. Dr. Joanna Eisenbach, Leitende Oberärztin der Allgemeinund Viszeralchirurgie der Wertachkliniken, hat über das kleine Organ mit all seinen Wirkungen vergangenen Mittwoch in einer offenen Telefonsprechstunde informiert. Zahlreiche Anrufer stellten ihr individuelle Fragen. Die wichtigsten Antworten finden Sie hier.
Wofür ist die Schilddrüse im Körper zuständig?
Dr. Joanna Eisenbach: Die Schilddrüse ist für die Bildung der jodhaltigen Schilddrüsenhormone zuständig, die viele Stoffwechselvorgänge im Körper mit steuert.
Wie kann man sich eine Schilddrüse vorstellen?
Dr. Joanna Eisen bach: Man kann sie sich bildlich gesprochen wie einen Schmetterling vorstellen, der seine Flügel unterhalb des Kehlkopfes um die Luftröhre schmiegt. Sie ist sehr klein und wiegt bei der Frau etwa 18 Gramm, beim Mann etwa 25 Gramm. Das entspricht etwa dem zulässigen Gewicht eines Standardbriefes.
Was alles beeinflusst sie im Körper? Dr. Joanna Eisenbach: Die Schilddrüse beziehungsweise ihre Hormone sind von ganz zentraler Bedeutung für die Steuerung der Stoffwechselvorgänge in unserem Körper. Sie wirken auf Herz und Kreislauf, erweitern die Blutgefäße, beschleunigen den Herzschlag und wirken an der Steuerung des Blutdrucks mit. Sie aktivieren aber auch den Stoffwechsel im Fett- und Bindegewebe, in der Haut und beeinflussen ebenso die Nieren- und Darmtätigkeit. Außerdem sind die Schilddrüsenhormone wesentlich für viele Wachstumsprozesse verantwortlich und steigern den Grundumsatz und Energieverbrauch des gesamten Organismus.
Man könnte die Schilddrüse als Gaspedal unseres Körpers bezeichnen: Bei einem Zuviel an Hormonen laufen Körper und Geist permanent auf Hochtouren und überlasten, bei zu wenig Hormonen läuft alles entsprechend zu langsam und ohne Kraft.
Welche Schilddrüsenerkrankungen gibt es, und wie entstehen sie?
Dr. Joanna Eisenbach: Es gibt sehr unterschiedliche Erkrankungen der Schilddrüse. Bei Jodmangel versucht sie beispielsweise, dem auftretenden Hormonmangel durch eine Vergrößerung des Organs entgegenzuwirken. Dabei kommt es zu einer Knotenbildung, der klassische Kropf entsteht so, häufig langsam und über viele Jahre hinweg. Häufig gibt es in der Schilddrüse aber auch andere Knoten, die zu viele oder zu wenige Schilddrüsenhormone produzieren. Außerdem gibt es verschiedene Entzündungsformen und Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse, wie zum Beispiel den sogenannten Morbus Basedow. Das alles kann jeweils zu einer Unter- oder einer Überfunktion führen. In den letzten Jahren hat leider auch die Zahl der Schilddrüsenkarzinome, also der krebsartigen Erkrankungen, zugenommen, die aber erfreulicherweise in den allermeisten Fällen eine sehr gute Prognose haben.
Woran bemerkt man, ob man eine Fehlfunktion der Schilddrüse hat?
Dr. Joanna Eisenbach: Man kann es zum Beispiel am Herz-KreislaufSystem, der Verdauung oder auch bei psychischen Problemen merken. Da diese Dinge aber auch eine Vielzahl anderer Ursachen haben können, sollte man bei diesen unklaren Beschwerden zunächst mit dem Hausarzt sprechen, der in aller Regel auch eine breite Erfahrung mit Schilddrüsenfunktionsstörungen hat und sie von anderen Ursachen abgrenzen kann.
Wie äußert sich eine Schilddrüsenüberfunktion?
Dr. Joanna Eisenbach: Bei einer Schilddrüsenüberfunktion kann es zu einem stark erhöhten Puls mit Herzrhythmusstörungen, übermäßigem Schwitzen und einer gesteigerten Darmtätigkeit mit Durchfällen kommen. Auch Gewichtsverlust, Zittern oder Nervosität sind mögliche Erscheinungen.
Und wie eine Unterfunktion?
Dr. Joanna Eisenbach: Bei einer Schilddrüsenunterfunktion beobachtet man oft Müdigkeit, Gewichtszunahme, Haarverlust, Depression, vermehrtes Frieren oder Verstopfung.
Was kennzeichnet die Autoimmunerkrankung Hashimoto?
Dr. Joanna Eisenbach: Die Hashimoto-Thyreoiditis ist eine häufig vorkommende, entzündliche Erkrankung der Schilddrüse, die überwiegend Frauen betrifft. Wie die Frage schon andeutet, handelt es sich um eine autoimmune Erkrankung, das heißt, das Immunsystem des Patienten greift die eigene Schilddrüse immer wieder an. Es gibt sehr unterschiedliche Verläufe. Teilweise sind die Patienten beschwerdefrei und sich ihrer Erkrankung gar nicht bewusst. Teilweise, meist zu Beginn, beobachtet man Phasen der Überfunktion, die teilweise schubartig und wiederholt auftreten. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung geht sie oft in eine Unterfunktion über.
Und was ist die Autoimmunerkrankung Morbus Basedow?
Dr. Joanna Eisenbach: Bei Morbus Basedow produziert die Schilddrüse zu viele Schilddrüsenhormone, was sich in einer oftmals erheblichen Überfunktion bemerkbar macht. Durch die übermäßige Produktion wächst die Schilddrüse, und ein Kropf kann entstehen. Bei dieser Erkrankung beobachtet man auch ein auffälliges Hervortreten der Augäpfel, den sogenannten Exophtalmus. Umgangssprachlich würde man das wohl als Glubschaugen bezeichnen.
Warum genau spielt Jod eine wichtige Rolle für die Schilddrüse?
Dr. Joanna Eisenbach: Die Schilddrüse benötigt Jod, um die Schilddrüsenhormone herzustellen.
Wie viel Jod braucht der Körper? In welchen Lebensmitteln ist Jod enthalten?
Dr. Joanna Eisenbach: Die Empfehlung für die tägliche Jodzufuhr sind 180 bis 200 Mikrogramm. Tatsächlich nimmt jeder Deutsche aber nur etwa 120 bis 130 Mikrogramm Jod am Tag zu sich. Jod steckt in jodiertem Salz, in Seefisch und auch in Milchprodukten. Um genug Jod aufzunehmen, lautet die Empfehlung, ein- bis zweimal die Woche Seefisch und täglich Milchprodukte zu essen. Jodiertes Salz ist eine andere, gut zugängliche Möglichkeit, Jod aufzunehmen.
Wie wird die Schilddrüse untersucht? Dr. Joanna Eisenbach: Der Hausarzt beginnt mit einer Anamnese: Das bedeutet, man fragt, welche Beschwerden der Patient hat. Die Vorgeschichte ist dem Hausarzt zudem meist gut bekannt. Anschließend wird die Schilddrüse abgetastet, um festzustellen, ob sie vergrößert ist, schmerzt und gut verschieblich ist und ob es eventuell auffällige Knoten gibt. Im Bedarfsfall werden dann meist Laboruntersuchungen in einer Blutprobe durchgeführt.
Eine weitere Behandlung und Diagnostik erfolgt dann oft in Zusammenarbeit mit einem Nuklearmediziner, einem Facharzt, der sich unter anderem auf die Untersuchung der Schilddrüse und die Behandlung der unterschiedlichen Erkrankungen spezialisiert hat, oder einem Endokrinologen, einem Spezialisten für Hormonerkrankungen.
Weitere Untersuchungsmethoden sind zum Beispiel Ultraschall oder die Szintigrafie. Das ist eine nuklearmedizinische Untersuchung, mit der man überprüft, ob bestimmte Teile der Schilddrüse stoffwechselaktiv sind und Jod verarbeiten oder nicht. Mit Ultraschall kann man erkennen, ob es Knoten in der Schilddrüse gibt.
Eine zusätzliche Untersuchungsmethode ist die Feinnadelbiopsie oder auch die Punktion: Hier werden kleine Gewebeproben meist unter Ultraschallkontrolle entnommen.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei Fehlfunktionen und Autoimmunerkrankungen?
Dr. Joanna Eisenbach: Bei der Schilddrüse lässt sich mit Medikamenten einiges machen. Mit zum Beispiel Jod, Medikamenten mit Schilddrüsenhormonen oder einer Kombination aus beiden. Handelt es sich um eine Unterfunktion, so gibt man extra Hormone. Bei einer Überfunktion hemmt man die Hormonproduktion und die Jodaufnahme mit sogenannten Thyreostatika. Für Knoten, Morbus Basedow und bei einigen Schilddrüsengeschwüren setzt man die Radiojodtherapie ein: Dabei handelt es sich um eine nuklearmedizinische Therapie. Die Patienten bekommen radioaktives Jod, das aber nur auf eine minimal kurze Strecke Strahlung abgibt. Beim Menschen geht das Jod ausschließlich in die Schilddrüse und nicht in andere Teile des Körpers. So kann das radioaktive Jod ganz gezielt die erkrankten Zellen in der Schilddrüse unschädlich machen. Es handelt sich dabei sozusagen um eine Mini-Bestrahlung von innen.
Und wann muss man operieren?
Dr. Joanna Eisenbach: Man operiert, wenn die Schilddrüse durch eine übermäßige Hormonproduktion zu groß wird und Patienten dadurch zum Beispiel Schluckbeschwerden oder Luftnot haben. Man operiert auch, wenn man einen Knoten entdeckt, von dem man nicht weiß, ob er bösartig ist oder nicht. Bei Karzinomen, also krebsartigen Geschwüren in der Schilddrüse, ist eine Operation der Regelfall.
Gibt es Gefahren bei der OP?
Dr. Joanna Eisenbach: Es besteht prinzipiell die Gefahr, den Stimmbandnerv zu verletzen, denn er führt direkt hinter der Schilddrüse vorbei. Durch technische Neuerungen konnte man diese Gefahr aber in den letzten Jahren deutlich reduzieren. Zum einen nutzt man ein medizinisches Gerät, um den Nerv eindeutig zu identifizieren, und auch seine Funktion vor, während und nach der OP zu überprüfen – das sogenannte Neuro-Monitoring. Zudem nutzt man eine Vergrößerungsbrille, um auch kleinste Strukturen sicher zu erkennen.
Was kann man vorbeugend tun?
Dr. Joanna Eisenbach: Leider können wir den meisten Erkrankungen nicht vorbeugend entgegenwirken. Aber wenn eine Schilddrüsenüberfunktion ausgeschlossen ist, kann man die eigene Jodaufnahme durch Verwendung von jodiertem Speisesalz erhöhen. Mit dieser Maßnahme kann man einer Vergrößerung der Schilddrüse, die im Volksmund als Kropf bezeichnet wird, oft vorbeugen. Insbesondere wir hier in Süddeutschland sind durch den bestehenden Jodmangel dahingehend gefährdet. Ebenso wird in der Schwangerschaft und Stillzeit eine zusätzliche Jodaufnahme in Tablettenform empfohlen, um so dem erhöhten Bedarf von Mutter und Kind gerecht zu werden.