Augsburger Allgemeine (Land West)
Dinkelscherben hat nichts mit Dinkel am Hut
Was weiß Wikipedia Das Online-Lexikon scheint über alles Bescheid zu wissen. Aber wie gut kennt es Orte im Kreis Augsburg? Dieser Frage gehen wir in unserer Serie nach. Heute: Dinkelscherben
Landkreis Augsburg 25 Kilometer westlich von Augsburg, in der Reischenau, liegt Dinkelscherben. Wikipedia zeigt einen roten Punkt des Standorts auf der Deutschlandkarte. Daneben sieht man im Online-Lexikon das Wappen von Dinkelscherben: ein grünes Fass, aus dem drei Ähren ranken, auf rotweißen Hintergrund. „Welches Wappen bringt schon Getreide im Blumentopf?“, fragt Christoph Lang vom Heimatverein Reischenau und lacht. Er und seine Kollegin Maria Kastner betreuen das Gemeindearchiv und wissen im Gegensatz zu Wikipedia: Dinkelscherben hat nichts mit Dinkel am Hut. Der Name kam durch eine Fehldeutung zustande.
Schon im 16. Jahrhundert wussten die Menschen nicht mehr, woher der Name ihres Ortes kam, sagt Maria Kastner. Durch Nachforschungen konnte man es allerdings nachvollziehen. Im Gemeindearchiv gibt es Urkunden aus dem Mittelalter, in denen der Begriff „Tenchel
WWas weiß Wikipedia für den Ort verwendet wird, erklärt sie. Das wiederum stammt von dem Namen „Donchilo“, denn noch früher hieß der Ort „die Siedlung am Weidegrund des Donchilo.“Weil die Menschen im 16. Jahrhundert den Ursprung nicht mehr kannten, interpretierten sie den Begriff lautlich um zum Wort „Dinkelscherben“.
So kam auch das Ähren-Motiv auf dem Wappen zustande. Bei dem rot-weißen Hintergrund handelt es sich aber um keinen Zufall: Die Farben stehen für ein besonderes Kapitel in der Geschichte. Wikipedia weiß nichts davon.
Rot und Weiß sind die Farben des Domstifts. Diese kirchliche Verwaltung machte Dinkelscherben im 15. und 16. Jahrhundert „zum Zentralort der Region“.
Dazu auserkoren wurde Dinkelscherben wegen der Burg Zusameck und der prominenten Lage auf dem Berg. Der Ort wurde dadurch eine Art Verwaltungssitz. Dinkelscherben erhielt in diesem Zuge ein eigenes Hochgericht, eine Pfarrei und wurde 1514 vom Kaiser zum Markt erhoben. 1604 wurde das Spital gegründet.
Christoph Lang weiß, dass es sich dabei um das zweitälteste Spital im Landkreis handelt. Weil es Dinkelscherben schon über 400 Jahre prägt, „verbinden viele Dinkelscherber etwas damit“, sagt Maria Kastner. Als es vor zwei Jahren aufgelöst werden sollte, war der Widerstand groß. „Dadurch merkte man die Bedeutung für die Bevölkerung“, erklärt Kastner.
Nicht nur das Spital ist den Dinkelscherbern wichtig, wissen die Gemeindearchivare. Auch der Schäfflertanz, der alle sieben Jahre stattfindet, prägt den Ort. Wikipedia weiß, dass er seit 1893 besteht und somit am längsten in ganz Bayerisch-Schwaben stattfindet. Christoph Lang kennt die Geschichte dahinter: Der Tanz stammt ursprünglich aus München, die Stadt verkaufte aber die Lizenz weiter, sodass auch andere Gemeinden ihn übernehmen konnten und ihn aufführen durften.
Der Legende nach ist er nach den Pestjahren entstanden, um mehr Freude ins Leben der Menschen zu bringen. Das Besondere in Dinkelscherben ist, dass es dort eine eigenständige Form des Tanzes mit anderen Elementen gibt.
Aber warum? Christoph Lang erserum“ klärt: „In Dinkelscherben sind irgendwie die Notenblätter der Melodien verloren gegangen.“Daraufhin hat man eine Eigene komponiert, die es so nur in Dinkelscherben gibt. Und: Beim Dinkelscherber Schäfflertanz sei auch einzigartig, dass Büttenreden gehalten werden. Das hätten andere Gemeinden nicht, sagt Lang.
Als Vorsitzender des Heimatvereins Reischenau weiß Lang auch, dass Wikipedia unter „Töchter und Söhne des Ortes“nur drei der bekannten Scherer-Brüder auflistet – und damit einen vergisst. Neben Josef, Alois und Leo lässt Wikipedia Sebastian Scherer aus. Maria Kastner sagt, dass es sogar noch einen fünften Maler in der Familie gab – der Neffe Johann Scherer.
Die Scherer-Brüder gehörten zu den großen Künstlern Schwabens des 19. Jahrhunderts. Wikipedia schreibt, dass die Glasfenster der Ettelrieder Brüder sogar in Amerika zu finden sind. Vor allem Josef Scherer war „über die Grenzen des Dorfes hinaus“als Glasmaler bekannt, sagt Lang. Einen großen Teil des Nachlasses aller fünf Künstler sind in der Scherer-Galerie im Heimatmuseum ausgestellt.