Augsburger Allgemeine (Land West)
Florian Wagner will mit 40 in Rente gehen
Porträt Der Schwabe arbeitet gerne wenig und liebt die Entspannung. Sein Leben hat er nach dem Prinzip der Genügsamkeit ausgerichtet. Leisten kann sich der sparsame Mensch das vor allem dank geschickter Geldanlagen
Stuttgart Florian Wagner lebt den Gegenentwurf zur aktuellen Rentendebatte. Während Politikerinnen und Politiker sowie Arbeitgeber diskutieren, ob das Rentenalter auf 68 Jahre angehoben werden soll, macht sich der 34-Jährige Gedanken, wie er es schafft, in wenigen Jahren gar nicht mehr arbeiten zu müssen. Wobei sich seine Definitionen von Rente und Arbeit von der vieler Politikschaffenden und Arbeitgeber unterscheidet.
Für den Stuttgarter bedeutet Rente nicht, gar nichts mehr zu tun. Sondern nur das, was ihm Freude bereitet und im klassischen Sinne keine Arbeit darstellt. Seit einigen Jahren lebt er nach dem Frugalismus-Prinzip. „Frugal“bedeutet auf Deutsch genügsam oder bescheiden. Dabei ist das höchste Ziel die Lebensqualität. Die Frugalisten orientieren sich häufig an der „Financial Independence, Retire Early“-Bewegung aus den USA, was so viel bedeutet wie „finanzielle Unabhängigkeit, früh in Rente gehen“.
Für Geld habe er sich schon immer interessiert, erzählt Wagner im Gespräch mit unserer Redaktion: „In der Familie war das aber nie ein großes Thema. Meine Eltern sind keine Banker oder so, sondern Lehrer.“Mit 15 Jahren fing er an, sich für Aktien zu interessieren. Heute würde Wagner ein damaliges Interesse als „naiv und blauäugig“bezeichnen. „Ich habe alle Anfängerfehler gemacht, die man beim Investieren machen kann. Das fängt damit an, sich von der Hausbank beraten zu lassen“, sagt er und lacht. Noch mit der Unterschrift der Mutter hat Wagner mit 15 Jahren seine ersten Aktien gekauft.
Heute sagt der Anlage-Profi: „Alles, was ich tue, hat in erster Linie mit der Optimierung meines Lebens zu tun. Der Sinn des Frugalismus ist nicht, möglichst viel zu sparen, sondern möglichst viel Freude im Leben zu haben.“Deswegen entschied sich Wagner mit Anfang 30, seinen gut bezahlten Job als Ingenieur zu kündigen. Vier Jahre hat er nach seinem Studium als Ingenieur gearbeitet, in der Zeit rund 60 Prozent seines Nettoeinkommens, etwa 140000 Euro gespart und inWoher rührt so viel Offenheit? „Geld soll kein Tabu-Thema sein“, meint Wagner. Mit dem finanziellen Puffer im Rücken hat er gekündigt, ohne einen Plan für die Zukunft zu haben. Das habe auch die damalige Belegschaft verwundert. „Man ging natürlich davon aus, dass ich gleich einen neuen Job anfange.“Was Wagner auch getan hat. Nur anders, oder wie er sagt: „Ich bin dann so in die Selbstständigkeit reingeschlittert.“
Heute führt der Mann einen Finanzblog. Im Internet gibt der Geld-Experte unter www.geldschnurrbart.de Tipps rund ums Sparen und Investieren. Wagner gewährt Einblicke in seinen frugalistischen Lebensstil.
Der erste Schritt zur finanziellen
Freiheit klingt dabei einfach – vor allem für Schwaben: auf unnötige Ausgaben verzichten. „Dafür muss man gar kein Haushaltsbuch führen“, rät Wagner und verrät: „Als ich mit dem Sparen angefangen habe, wollte ich einen groben Überblick über meine monatlichen Ausgaben haben und habe einfach mal einen Test gestartet.“300 Euro Bargeld habe er abgehoben, dann geschaut, wie weit man damit komme.
Wenn es nicht gereicht hat, besorgte sich Wagner noch einmal 20 oder 50 Euro bei der Bank. „Irgendwann konnte ich einschätzen, wie viel Geld ich im Alltag brauche.“Nicht inbegriffen waren in der Summe Fixkosten wie Miete. Aber was ist mit Urlaub, Essengehen oder Freizeitangeboten? „Ich trinke weivestiert. terhin mein Feierabendbier, aber bewusster. Ich hol mir nicht mehr viermal in der Woche einen Döner, sondern gehe vielleicht einmal pro Woche schön Essen“, erzählt er.
Viele Ausgaben seien bei ihm an ungesunde Gewohnheiten gebunden gewesen. Seit etwa vier Jahren lebt Wagner bewusst und sportlich. Auch ein bis zwei Urlaubsreisen im Jahr gönnt er sich. Aber von welchem Geld? Neben kleineren Gehältern für Projekte lebt der Frugalist von Kapitaleinkünften aus Aktiendepots. Einen Tipp, den er nach der Lektüre etlicher Finanzbücher gerne weitergibt: „Du kannst langfristig nicht besser sein als der Markt im Bundesdurchschnitt.“
Wagner hält nichts vom „Rumgezocke“. Große Gewinne sind nicht sein Ziel. Wer investieren möchte, sollte das mit einem Horizont von mindestens zehn Jahren tun – erst dann mache die Investition Sinn. „Wer sein Geld auf der Bank lässt, entscheidet sich im Gegenzug dafür, dass es jedes Jahr zwei Prozent an Wert verliert“, meint er. Wagner will den Leuten die Angst vor dem Investieren nehmen: „Ein regnerischer Samstagnachmittag reicht, um sich einzulesen.“Auch auf seinem Blog bietet er Beratung an. Trotz seiner Rücklagen arbeitet Wagner noch. Er erstellt nebenbei Webseiten für Unternehmen.
Der Lebenskünstler wohnt alleine in einer Mietwohnung in Stuttgart und hat keine Kinder. Oft höre er: „Ja, alleine kann man so leben, aber mit einer vierköpfigen Familie geht das nicht.“Wagner hält dem entgegen: „Es muss nicht jeder wollen, aber es geht.“Für sein Buch „Rente mit 40“hat er das Leben nach den Gesetzen des Frugalismus auch anhand anderer Beispiele gezeigt, darunter war eine Familie mit Kindern. Dabei hält es Wagner für einen wirtschaftlichen Irrglauben, man lebe günstiger, wenn man ein Haus baut oder kauft und später einmal keine Miete zahlen muss. „Eine Investition ist das nicht wirklich“, sagt er. Mehrkosten für Renovierungsarbeiten habe man in einem Mietverhältnis zum Beispiel nicht.
Etwa sechs Jahre hat Wagner noch Zeit, um sein Ziel zu erreichen. So streng sieht er es nicht: „Mein Verständnis von Rente ist zwar, dass ich von Kapitaleinkünften leben kann, aber trotzdem werde ich ab meinem 40. Geburtstag nicht nur die Beine hochlegen. Das kann man zwar auch mal für zwei Wochen machen“, sagt er und lacht. Von einem klassischen Unternehmer unterscheidet ihn nämlich nicht so viel, eint beide doch selbstständiges und intelligentes Wirtschaften. „Der Frugalist hat vielleicht den Vorteil, irgendwann genau Bescheid zu wissen, welche Dinge einen sicher glücklich machen und was Zeitverschwendung ist“, sagt Wagner. Ihm geht es darum, frei zu sein und nur die Projekte anzugehen, die Spaß machen. Er würde heute keine Arbeit mehr machen, die ihm keine Freude bereitet. Und sich auch nicht auf die gesetzliche Rente verlassen.