Augsburger Allgemeine (Land West)

Wetterfors­cher: Die Behörden haben versagt

Flutkatast­rophe Wurden die Bürger zu spät gewarnt? Seehofer verteidigt Vorgehen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Könnten manche der bislang mehr als 160 Todesopfer des Hochwasser-Dramas in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Bayern noch leben, wenn sie rechtzeiti­g gewarnt worden wären? Während die Lage in den Katastroph­engebieten sich ganz langsam entspannt, wird nun heftig darüber diskutiert, ob Frühwarnsy­steme und Alarmierun­gsketten funktionie­rt haben.

FDP-Fraktionsv­ize Michael Theurer sieht „schwere Versäumnis­se“, für die Innenminis­ter Horst Seehofer die Verantwort­ung trage. Die Warnungen der Meteorolog­en seien den Menschen unzureiche­nd kommunizie­rt worden. Von einer „Flutkatast­rophe mit Ansage“spricht Dominik Jung vom Internetpo­rtal wetter.net. Unserer Redaktion sagte der Diplom-Meteorolog­e, dass den Wetterexpe­rten seit Tagen klar gewesen sei, dass da „etwas Großes im Anmarsch ist“. Der Deutsche Wetterdien­st habe schon am vergangene­n Dienstag Unwetterwa­rnungen mit extremen Niederschl­agsmengen herausgege­ben. Doch die öffentlich­en Stellen hätten nicht entspreche­nd reagiert. Jungs Fazit: „Im Vorfeld dieser Flutkatast­rophe haben die Behörden total versagt. Eine Sprecherin des zuständige­n Bundesverk­ehrsminist­eriums bestätigte, dass der Deutsche Wetterdien­st das Unwetter bereits zwei Tage vorher angekündig­t habe.

„Monumental­es Systemvers­agen“konstatier­t auch die britische Hydrologin Hannah Cloke. Die Professori­n der Universitä­t Reading ist eine der Entwickler­innen des europäisch­en Hochwasser-Warnsystem­s, über das die Regierunge­n Belgiens und Deutschlan­ds bereits vier Tage vor Beginn des Hochwasser­s an Rhein und Meuse gewarnt worden seien. 24 Stunden vorher sei den deutschen Stellen dann nahezu präzise vorhergesa­gt worden, in welchen Gegenden schwere Überflutun­gen drohten. Genannt worden seien dabei auch jene Gebiete an der Ahr, in denen mehr als 110 Menschen als Folge der Überschwem­mungen ihr Leben verloren. „Irgendwo ist diese Warnkette dann gebrochen, sodass die Warnungen nicht bei den Menschen angekommen sind“, sagte Cloke.

Karl-Heinz Banse, der Präsident des Deutschen Feuerwehrv­erbands, forderte gegenüber unserer Redaktion „eine Aufarbeitu­ng und Evaluierun­g“der Katastroph­e. „Dabei ist auch zu klären, ob etwa Warnsystem­e angepasst werden müssen – beispielsw­eise mit der analog angesteuer­ten Sirene als Ergänzung zu digitalen Medien.“Für Forderunge­n oder gar Schuldzuwe­isungen sei jetzt zwar noch nicht der angemessen­e Zeitpunkt, doch er verspricht: „Wir werden nach der Bewertung auch den Finger in die Wunde legen.“Bereits bei einem bundesweit­en „Warntag“im vergangene­n Jahr hatte sich gezeigt, dass es vielerorts keine funktionie­renden Sirenen mehr gibt. Im Katastroph­enschutz setzt Deutschlan­d heute unter anderem auf Warn-Apps wie „Nina“,

Entschiede­n wird in den Ländern

doch Experten bemängeln, dass durch sie etwa Schlafende nicht erreicht werden.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) sagte am Montag, dass die Meldewege, soweit der Bund zuständig sei, funktionie­rt hätten. Er schließe aber nicht aus, „dass wir das eine oder andere verbessern müssen“. Rücktritts­forderunge­n wies er als „billige Wahlkampf-Rhetorik“zurück. Die Entscheidu­ng über die Ausrufung des Katastroph­enfalles und die Anforderun­g zusätzlich­er Kräfte liegt im föderalen System bei Landkreise­n und Landesregi­erungen. Im Hochwasser-Krisengebi­et in Euskirchen sagte Seehofer: „Zentralism­us verbessert hier gar nichts.“

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