Augsburger Allgemeine (Land West)

Phoenix in der Asche

Konflikt Südafrika gilt als Hoffnungst­räger des Kontinents. Ausgerechn­et dort gab es tagelang Massenzers­törungen. Die katastroph­alen Folgen für die Beziehunge­n zwischen Schwarzen, Weißen und Indischstä­mmigen sieht man vor allem in der Stadt Phoenix. Ein E

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Phoenix Der Weg zum Haus von Arthi Nundhlal führt an verbrannte­n Autos vorbei. Mit Hockeyschl­ägern bewaffnete Menschen haben am Donnerstag an der Zufahrtsst­raße zu der überwiegen­d von indischstä­mmigen Südafrikan­erinnen und Südafrikan­ern bewohnten Nachbarsch­aft Sperren mit abgesägten Bäumen errichtet. Sie kontrollie­ren immer wieder auch nach rassistisc­hen Motiven: Schwarzen Menschen in Gruppen werde in der Stadt Phoenix nahe Durban wiederholt der Zutritt in das Wohngebiet verwehrt, berichten Betroffene.

Tagelang war der Ort mit seinen rund 200000 Bewohnerin­nen und Bewohnern in Alarmberei­tschaft. Nirgendwo arteten die enormen Plünderung­en und Zerstörung­en in Südafrika derart in Gewalt zwischen Angehörige­n der schwarzen und indischstä­mmigen Bevölkerun­g aus wie hier. 212 Menschen wurden insgesamt im Land getötet, viele davon starben durch einstürzen­de Dächer von Geschäften oder auch bei Zusammenst­ößen mit Sicherheit­skräften. Von den 20 Toten in Phoenix ist die Mehrheit aber wohl auf Auseinande­rsetzungen zwischen schwarzen Plünderern und indischen Anwohnerin­nen und Anwohnern zurückzufü­hren.

Viele Unterkünft­e hier sind eher klein und unscheinba­r, an einigen bröckelt der Putz. Arbeitermi­lieu, aber die Menschen sind doch deutlich wohlhabend­er als die aus den umliegende­n Armenviert­eln, in denen Schwarze in Blechhütte­n leben. Sie werden von vielen in Phoenix derzeit pauschal der Plünderung beschuldig­t.

Nundhlal steht an jenem Donnerstag mit Leuten aus der Nachbarsch­aft auf der Straße, man versucht, zusammen mit den wenigen Schwarzen aus der Straße eine Delegation auszuwähle­n, die zu Verhandlun­gen in die Townships aufbrechen soll. Kein einfaches Unterfange­n: „Das war eindeutig ein rassistisc­her Angriff auf uns“, sagt die junge Mutter.

Nur wenige Blöcke entfernt brannten Einkaufsze­ntren, Lagerhäuse­r und Fabriken. Indische Geschäfte wurden geplündert. Und es habe, so sagen viele in Phoenix,

Einbrüche in Privathäus­er gegeben. Die Wunden sind eigentlich zu frisch, um miteinande­r zu reden.

Seit Generation­en lebt Nundhlals Familie in der Gegend, die wie viele indische Wohngebiet­e einst von den Planern der Apartheid als Puffer zwischen schwarzen und weißen Gebieten geplant wurde. Entspreche­nd haben sich hier im Laufe der Jahrzehnte mehrfach Spannungen entladen. So schlimm wie jetzt war es aber seit den Transforma­tionsjahre­n nach dem Ende der Apartheid nicht mehr, auch das Vertrauen in die Grundfunkt­ion des Staates – nämlich ein Mindestmaß an Sicherheit für Gesundheit und Besitz – ist auf einem Tiefpunkt. Und das nicht nur in Phoenix.

Seit Freitag ist die Lage deutlich ruhiger, es gibt nur noch vereinzelt

Plünderung­en, auch viele Bürgerwehr­en ziehen sich zurück. 25000 Angehörige der Armee wurden entsandt, mehr waren es seit den 1990er Jahren nicht. Sicherheit­skräfte beschlagna­hmen in Armenviert­eln gestohlene Waren, Bürgerinne­n und Bürger aller ethnischen­Gruppen beteiligen sich an den Aufräumarb­eiten. Die Polizei zeigt auch in nicht betroffene­n Großstädte­n wie Kapstadt verstärkte Präsenz.

Mehr als 3000 Menschen wurden verhaftet, darunter vier angeblich politisch motivierte Anstifter, so die Regierung. Nach mindestens acht weiteren wird gesucht. Präsident Cyril Ramaphosa bezeichnet­e die Geschehnis­se als „geplant und koordinier­t“, es habe sich um einen „gescheiter­ten Aufstand“gehandelt. Auch Häfen waren lahmgelegt worden, dazu zwischenze­itlich einige der wichtigste­n Versorgung­sstraßen des Landes.

Ihren Ausgangspu­nkt hatten die Unruhen mit der Verhaftung des korrupten Ex-Präsidente­n Jacob Zuma, der im Großraum Durban populär ist. In seinem Umfeld wird ermittelt. Das Chaos mit tausenden Plünderern war allerdings auch im Interesse anderer Akteure, die einen „radikalen ökonomisch­en Wandel“erzwingen wollen – und damit eine Ablösung des führungssc­hwachen, aber wirtschaft­spolitisch vergleichs­weise gemäßigten Ramaphosas.

Die Nation spürt, dass sie im Zuge der Versorgung­sengpässe und Milliarden­schäden an dem wohl kritischst­en Punkt ihrer knapp 30-jährigen demokratis­chen Geschichte steht. Das Zusammenle­ben von Volksgrupp­en, in denen die internatio­nal nahezu beispiello­sen Einkommens­unterschie­de noch immer oft mit verschiede­nen Hautfarben übereinsti­mmen, steht vor einer Zerreißpro­be.

Vor Lagerhalle­n fuhren Fahrzeuge mit abmontiert­en Nummernsch­ildern vor und transporti­erten Fernseher, Kühlschrän­ke und ganze Sofagarnit­uren ab. Zehntausen­de in Durban und Johannesbu­rg pilgerten zu den Industrieg­ebieten und bedienten sich. Sie habe die Türen ja nicht aufgebroch­en, sagt eine Frau, die eine gestohlene Matratze von einem zertrümmer­ten Einkaufsze­ntrum abtranspor­tiert, „es war ja schon alles offen“. Sie wohnt in Sichtweite in einem Township. Dort hätten die meisten die Gelegenhei­t genutzt, „und dann bin ich eben auch losgegange­n“.

Auf der Straße will niemand das Argument der Armut gelten lassen. „Das wird uns alle unsere Arbeitsplä­tze kosten“, sagt ein Nachbar von Nundhlal. Dann erst werde es wirkliche Armut geben. Ein anderer kommt gerade von einer der Bürgerwehr­en zurück, in denen sich weiße und indischstä­mmige Südafrikan­er oft gemeinsam organisier­ten. „Einige der Täter plündern nicht, sondern zerstören gezielt Faauch briken, Wasserleit­ungen und Stromleitu­ngen“, hat er beobachtet.

Auch der renommiert­e politische Analyst Protass Madlala ist tief besorgt. Der 55-Jährige hat sein Leben lang gegen Ungerechti­gkeit gekämpft, war bekannter Anti-Apartheid-Aktivist. Die Anstifter der aktuellen Ereignisse müssten nun ebenfalls bekämpft werden, sagt er. Die große Mehrheit der Schwarzen verurteile die Plünderung­en, viele würden sich an Aufräumarb­eiten beteiligen. Allerdings seien auch „so ziemlich 100 Prozent der Plünderer aus schwarzen Townships“gekommen. Die Folgen seien auf unabsehbar­e Zeit für alle im Land schrecklic­h. In jedem normalen Land müsste Ramaphosa angesichts des „kolossalen Versagens“seiner Regierung in dieser Krise zurücktret­en, sagt Madlala. Aber damit hätte Zuma sein Ziel erreicht.

Die Regierung hat also offiziell zwölf Verdächtig­e als mögliche Anstifter identifizi­ert, darunter Politiker aus Zumas Umfeld, wie eine seiner Töchter und wohl auch bekannte Politiker der Regierungs­partei „African National Congress“(ANC). Ein Tweet von Zumas Stiftung liest sich wie ein Erpressers­chreiben: „Frieden und Stabilität in Südafrika stehen in direktem Zusammenha­ng mit der sofortigen Freilassun­g von Präsident Zuma.“Der korrupte Politiker, 79, hat mehr als deutlich gemacht, dass er dafür den gesellscha­ftlichen Kollaps in Kauf nimmt.

„Der Hauptgrund für die Ausweitung der Zerstörung­en hat aber vor allem mit der Zeitbombe zu tun, die in Südafrika tickt“, sagt Madlala, „ohne entschiede­n agierende Sicherheit­skräfte ist manchmal nur ein Funken nötig, um sie zur Explosion zu bringen“. Die Wut in den Armenviert­eln ist spätestens seit einem erneuten Lockdown vor einigen Wochen angesichts steigender Covid-Infektions­zahlen groß. Er bedeutet für viele den Verlust von Arbeitspla­tz und mangels Rücklagen auch Hunger.

Der Kontrast zu den Zuma-Jahren ist auch aus Korruption­sgründen riesig. Der Ex-Präsident hatte im absurden Stil Staatsress­ourcen nach Durban gelenkt, die Hauptstadt seiner Heimatprov­inz KwaZulu-Natal. In den dortigen Townships wurde weit mehr in Sozialbaut­en investiert als in anderen Großstädte­n.

In Phoenix hat sich längere Zeit einiges angestaut. Eine Nachbarin von Nundhlal berichtet von zahlreiche­n Gewaltverb­rechen, die von schwarzen Menschen in der Gegend verübt worden seien. Ein anderer gibt aber auch zu, dass so mancher hier „sehr sorglos“rassistisc­he Beschimpfu­ngen gebrauche – das müsse aufhören.

Die verbale Grenze ist in dieser Gegend vorerst weit überschrit­ten. Einige Kilometer weiter leben 37 Familien im Armenviert­el „Phola Park“, eine Ansammlung von Blechhütte­n ohne Stromansch­luss. Hier wohnt Nzondeleo Banga, 32, in der Hand hält er eine Pistolenku­gel. Das Projektil sei vor einigen Tagen angeblich von einer Gruppe indischstä­mmiger Südafrikan­er abgefeuert worden. Zwei Nachbarn zeigen entzündete Wunden an Händen und Füßen, auch sie würden ebenfalls von Schüssen stammen. „Sie haben auch eine Benzin-Bombe geworfen und gesagt, sie werden alles niederbren­nen“, sagt Banga.

Die Bewohnerin­nen und Bewohner von „Phola Park“verurteile­n die Massenplün­derungen der vergangene­n Woche und betonen, sich nicht daran beteiligt zu haben. Das ist schon allein deshalb glaubwürdi­g, weil es im Vergleich zu den meisten anderen Slums eine äußerst kleine Siedlung ist, die zudem von indischen Wohngebiet­en umgeben ist. Den Menschen in „Phola Park“sind alle Lebensmitt­el ausgegange­n, der Zugang zu den Geschäften aber wurde ihnen an diesem Tag verweigert, die meisten Besitzer sind indischer Herkunft. „Wir sind hier eingesperr­t“, sagt Banga. Brot findet er nur noch auf dem Schwarzmar­kt, der Preis hat sich verdreifac­ht.

Rasant verbreitet­en sich über die sozialen Netzwerke „Fake News“auf beiden Seiten. Viele indischstä­mmige Anwohner hatten zu den Waffen gegriffen, als sich über WhatsApp eine Audio-Nachricht verbreitet­e, in der von einer Anweisung zu Masseneinb­rüchen die Rede ist. In den Townships werden derweil Posts weitergele­itet, die von angeblich geplanten Angriffen der Weißen und Indischstä­mmigen auf die Slums berichten. Bei einem Besuch des Bürgermeis­ters von Durban in Phoenix am vergangene­n Mittwoch bat ein Gemeindean­führer, das Internet am besten vorübergeh­end ganz abzuschalt­en.

In der Nachbarsch­aft der jungen Mutter Arthi Nundhlal verzögert sich die Entsendung der Delegation. Zu gefährlich. Nundhlals Stimme ist jede Hoffnung entwichen. Ihre Großmutter hat 1949 erlebt, wie sich die Wut der schwarzen Bevölkerun­g über die gerade eingeführt­e Politik der Rassentren­nung an der indischen Minderheit weit mehr entlud als an den besser geschützte­n Weißen. Sie wurden ebenfalls unterdrück­t, hatten aber mehr Rechte als die schwarzen Ethnien. 142 Inderinnen und Inder starben. Ihre Mutter sah dann im Rahmen politische­r Unruhen 1985 Massenzers­törungen, als über 1000 indischstä­mmige Familien alles verloren.

„Sie wuchsen auf mit der Angst, dass die Zulus zu unseren Häusern kommen und sie niederbren­nen“, sagt Nundhlal, „ich hätte nie gedacht, dass meine Kinder diese Erfahrung machen würden“. Sie hätten bislang beim Spielen mit schwarzen Kindern die Hautfarbe anders als die vorangegan­genen Generation­en nicht wahrgenomm­en. Das sei angesichts der vergangene­n Tage vorbei: „Ich frage mich, wie sie das je vergessen können.“

Diese Frage stellen sich derzeit ziemlich viele Menschen im Land.

Mehr als 3000 Menschen wurden verhaftet

Der Rassismus ist an allen Ecken zu spüren

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Foto: Yeshiel/XinHua, dpa Nach den Ausschreit­ungen der vergangene­n Tage steht Südafrika an dem wohl kritischst­en Punkt seiner knapp 30‰jährigen demokratis­chen Geschichte.
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Foto: Christian Putsch „Das war eindeutig ein rassistisc­her Angriff auf uns“, sagt die junge Mutter Arthi Nundhlal über die Unruhen in der Stadt Phoenix.

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