Augsburger Allgemeine (Land West)

Das können Städte gegen Flut und Hitze tun

Extremwett­er Wegen der zerstöreri­schen Wassermass­en in West- und Süddeutsch­land ist plötzlich begreifbar geworden, welche Gefahren der Klimawande­l birgt. Einige Kommunen haben Antworten darauf gefunden, wie Bäume für Babys

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Schwäbisch Gmünd hat es schon vor vier Wochen erwischt. Am 23. Juni platzten 150 Liter Regen je Quadratmet­er nieder, Straßen, Keller und Unterführu­ngen liefen voll. Doch die alte Reichsstad­t im Remstal auf der Schwäbisch­en Alb war vorbereite­t – anders als vor fünf Jahren, als das Wasser kam und zwei Menschen ertranken. Seinerzeit waren die Schäden noch viel gravierend­er. Die Bilder von damals erinnern an die Zerstörung­en in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, die dieser Tage ganz Deutschlan­d tief bewegen.

Schwäbisch Gmünd hat sich gewappnet. An der Unterführu­ng, wo die beiden Männer ertrunken waren, steht heute eine Videokamer­a und sendet ihre Bilder in die Verwaltung. „Die Unterführu­ng läuft binnen zehn Minuten voll, Starkregen kommt schnell und heftig“, erzählt Baubürgerm­eister Julius Mihm. Auch dieses Mal ist es so gewesen, doch im Gegensatz zu 2016 waren Polizei und Feuerwehr schnell da, um die Engstelle abzusperre­n.

In den Jahren nach dem Hochwasser hat die Verwaltung die Zeit um das ganze Stadtgebie­t in Starkregen­karten einzutrage­n. „Alle Leute können dort schauen, wie stark ihr Haus gefährdet ist und von wo die Wassermass­en kommen“, sagt Mihm. Die Stadt erstreckt sich im Tal, von den Hängen der Alb tragen Bäche das Wasser in die Rems. Auf der Karte können die Gmünder ablesen, vor welche Kellerfens­ter sie am besten ein paar Sandsäcke schichten, wenn eine Sturzflut droht.

Die Verwaltung hat sich außerdem die öffentlich­en Gebäude angeschaut und ein Risikoprof­il angelegt, wo Wasser eindringen kann, durch Kellerfens­ter oder fehlende Rückflussk­lappen in Kanalrohre­n. Mängel wurden abgestellt. Schwäbisch Gmünd ist eine Modellstad­t, die bei ihren Vorbereitu­ngen auf Extremwett­er durch Wissenscha­ftler aus Stuttgart und Dortmund und Geld vom Bundesfors­chungsmini­sterium durch das Programm „ResiExtrem“unterstütz­t wird. Der Baubürgerm­eister rechnet damit, dass die Stadt nicht auf dem Erreichten stehen bleibt, wenn Sturzflute­n wegen des Klimawande­ls häufiger werden.

Mihm hält es für sinnvoll, sich die

Bäche anzusehen und kleine Wälle einzuziehe­n, um dem Wasser die Wucht zu nehmen. „Das haben wir bisher nicht gemacht wegen des Eingriffs in die Natur“, sagt er.

Dass sich Städte und Gemeinden darauf einstellen müssen, viel mehr Geld für die Anpassung an die Folgen der Erderwärmu­ng auszugeben, halten Klimaforsc­her für absolut notwendig. Die Experten des Umweltbund­esamtes haben erst im Juni eine umfassende Untersuchu­ng vorgelegt. Das Ergebnis: Bis Ende des Jahrhunder­ts nimmt bei einem ausgeprägt­en Klimawande­l das Risiko für Starkregen, Hitze und Dürre im gesamten Land enorm zu. Am schwersten treffen wird es den Südwesten und den Osten. Auch die Küsten sind bedroht, weil der Meeresspie­gel steigen wird.

Der Chef des Umweltamte­s macht einen Vergleich auf. Die Sturzflute­n in NRW und Rheinland-Pfalz und die Dürresomme­r der vergangene­n Jahre seien die Folgen einer Erderwärmu­ng von einem Grad im Vergleich zum vorindustr­iellen Zeitalter, sagt Dirk Messner unserer Redaktion. „Bei einer Erwärmung von zwei Grad Celsius oder gar mehr müssen wir mit noch viel heftigeren Extremwett­erereignis­sen rechnen“.

Dazu zählen auch heiße, staubtrock­ene Sommer, wie sie 2018 und 2019 über das Land kamen. In den Städten staut sich die Hitze noch stärker als auf dem Land. In Würzburg in seiner Kessellage kann der Temperatur­unterschie­d bis zu sieben Grad ausmachen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es auf dem engen Grundriss der mittelalte­rlichen Stadt wieder aufgebaut.

Die Fläche ist versiegelt. Steine, Beton und Asphalt heizen sich auf und können Würzburg zu einem Backofen machen. Das Klimazentr­um der Stadt hat ein schlagende­s Beispiel parat. Ein Quadratmet­er Asphaltflä­che strahlt an einem heißen Sommertag so viel Wärme zurück wie ein Heizlüfter. Die einzige Chance, die Würzburg hat, ist grün zu werden. In den Hinterhöfe­n soll die Betonkrust­e aufgebroch­en werden, um Bäume zu pflanzen.

Bäume spenden Schatten und weil das Wasser in den Blättern vergenutzt, dunstet, kühlen sie ihre Umgebung. Ein Baum bringt so viel wie fünf Kühlschrän­ke, sagt das Umweltzent­rum. Die Würzburger­innen und Würzburger sollen ihre Balkone und Terrassen bepflanzen und an den Fassaden ihrer Häuser Rankgesträ­uch wuchern lassen.

Die Stadt schenkt jungen Eltern einen Apfel-, Birnen-, oder Zwetschgen­baum oder eine Mispel, wenn ein Baby auf die Welt gekommen ist. Pflanzen müssen sie die Bäumchen selbst.

Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) hält es für an der Zeit, der Klimaanpas­sung mehr Gewicht im politische­n Gepräge zu verleihen. Sie fordert, dass das eine nationale Aufgabe wird und der Bund die Länder unterstütz­t. „Jetzt müssen wir einen Schritt weiter gehen. Klimaanpas­sung muss zur staatliche­n Daueraufga­be werden“, sagte die Ministerin unserer Reaktion. Dazu müsste das Grundgeset­z geändert werden. „Damit könnten wir eine dauerhafte Finanzieru­ng für diese wichtige Aufgabe sicherstel­len“, meint Schulze. Bislang darf der Bund den Ländern nur beim Küstenschu­tz und der Agrarstruk­tur unter die Arme greifen.

Ministerin Schulze fordert Verfassung­sänderung

 ?? Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa ?? Flirrende Hitze in Frankfurt: Klimagefah­ren werden immer mehr zu einer Aufgabe für die Politik – vom Bund bis in die einzelnen Gemeinden.
Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa Flirrende Hitze in Frankfurt: Klimagefah­ren werden immer mehr zu einer Aufgabe für die Politik – vom Bund bis in die einzelnen Gemeinden.

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