Augsburger Allgemeine (Land West)

Turbulente Wochen in der Knesset

Hintergrun­d So schnell wird der neue Ministerpr­äsident Naftali Bennett seinen Vorgänger Netanjahu nicht los. Die israelisch­e Regierung ist kaum im Amt, da muss sie sich bereits einem ersten Misstrauen­svotum stellen

- VON RUDI WAIS

Jerusalem Noam Shuster-Eliassi ist Kabarettis­tin – und auf der Suche nach einem neuen Opfer. Bis vor wenigen Wochen war Benjamin Netanjahu wie selbstvers­tändlich eine der Hauptfigur­en ihres Programmes. „Im Gegensatz zu Euch“, spottete sie da an die Adresse arabischer Touristen, „haben wir in Israel eine Demokratie. Wir haben 276-mal pro Jahr Wahlen – und dank all dieser Wahlen ist Benjamin Netanjahu Premier, seit ich sieben Jahre alt war.“Heute ist die Tochter einer im Iran geborenen Jüdin und eines aus Jerusalem stammenden Vaters zwar froh, dass die Ära Netanjahu nach vier Wahlen innerhalb von knapp zwei Jahren zu Ende ist. An seinen Nachfolger Natfali Bennett allerdings muss sich die 33-Jährige erst noch heranarbei­ten.

Seit einem Monat ist die neue israelisch­e Regierung jetzt im Amt, ein buntes Sammelsuri­um aus acht Parteien von ganz links bis ganz rechts. Wie lange sie durchhält? Länger als der abgewählte Netanjahu glaube, prophezeit Kabarettis­tin Shuster-Elassi. Mit Bennett und seinem Außenminis­ter Jair Lapid, der nach dem Rotationsp­rinzip in zwei

Jahren als Regierungs­chef übernehmen soll, sei nun eine jüngere, pragmatisc­here Generation am Werk, die versuche, die Spannungen zwischen den Kulturen und Religionen abzubauen. Das mache ihr Hoffnung, auch wenn die Gräben zwischen den einzelnen Parteien tief seien und die Erinnerung an die jüngsten Ausschreit­ungen zwischen jüdischen und arabischen Israelis noch frisch sei. „Aber Hauptsache, Netanjahu ist weg.“

Als Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier vor kurzem in Israel zu Besuch war, hatte die neue Regierung ihre bislang größte Krise allerdings noch vor sich. Nach Jahren der Stagnation, sagte Steinmeier da noch voller Zuversicht, spüre er in Israel einen politische­n Aufbruch. Wenig später jedoch musste Bennett schon zum ersten Mal um sein Amt und den Fortbestan­d der Koalition zittern. Im Streit um ein Gesetz, das Palästinen­sern auch dann die Staatsbürg­erschaft verwehrt, wenn sie mit Israelis verheirate­t sind, enthielten sich zwei Abgeordnet­e seines arabischen Koalitions­partners und bescherten ihm eine schwere Abstimmung­sniederlag­e. Schwacher Trost für ihn: Das Misstrauen­svotum, das die von Netanjahu angeführte Opposition

gleichzeit­ig gegen ihn angestreng­t hatte, verfehlte ebenfalls die nötige Mehrheit. In der Knesset, dem israelisch­en Parlament, geht es seit dem Regierungs­wechsel jedenfalls noch turbulente­r zu als vorher schon. Nachdem Netanjahu seine Kritiker einst als „saure Gurken“verhöhnt hatte, konterte Bennet nun in einer der Debatten: „Bibi, jetzt seid Ihr die sauren Gurken.“

Welche Schwerpunk­te die neue Regierung setzt, ist noch unklar. Sicher ist nur: Den Kampf gegen die islamistis­che Hamas führt Bennet nicht minder hart als Netanjahu. Die Bargeldtra­nsfers aus Katar an die Hamas hat er gestoppt und jeden noch so leichten Angriff aus Gaza sofort mit einem Gegenschla­g beantworte­t. Gleichzeit­ig wolle er aber die Zivilbevöl­kerung dort stärker unterstütz­en, hat er im Gespräch mit Steinmeier signalisie­rt – in der Hoffnung, dass diese sich mit der Zeit von der Hamas abwendet.

Einen Plan für Gespräche, möglicherw­eise sogar Friedensve­rhandlunge­n mit den Palästinen­sern hat die neue Regierung bisher nicht. Hier sind die Positionen zu unterschie­dlich – von Bennett, dem Anwalt der jüdischen Siedler, bis zu den vier Abgeordnet­en der arabischen Partei Raam. „Fürs Erste“, sagt ein Diplomat, „wäre schon viel gewonnen, wenn wir überhaupt wieder einen Draht zueinander­fänden.“ Dringliche­r war aus Bennets Sicht sein tagelang geheim gehaltener Besuch bei Jordaniens König Abdullah, um die erkalteten Beziehunge­n wieder zu verbessern. Auch deshalb liefert Israel dem benachbart­en Königreich 50 Millionen Kubikmeter Wasser zusätzlich.

Innenpolit­isch hat die neue Koalition bisher erst eine Duftmarke gesetzt – die Liberalisi­erung von Cannabis. Zu sehr überlagert der Kampf gegen die auch in Israel wieder steigenden Corona-Zahlen alles andere. Disziplini­erend wirkt in Bennets buntem Achter dabei vor allem die Angst vor einer weiteren Neuwahl, bei der einige der acht Koalitions­parteien um ihren Wiedereinz­ug in die Knesset bangen müssten.

Netanjahu allerdings wird so schnell nicht aufgeben. Für Israels Sicherheit und Wohlstand zu sorgen, sagt er, sei seine Lebensaufg­abe. „Wir werden bald zurück sein“, versprach er seinen Anhängern schon bei Bennets Vereidigun­g und empfing wenig später im Amtssitz des Regierungs­chefs die frühere amerikanis­che Uno-Botschafte­rin Nikki Haley, als sei er noch immer Ministerpr­äsident. Aus der Residenz ausgezogen, ist er erst jetzt – mit vier Wochen Verspätung.

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Foto: Yonathan Sindel, dpa Hat einen schweren Stand: Naftali Ben‰ net.

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