Augsburger Allgemeine (Land West)

Abgeschobe­n und wieder zurück

Migration 69 Flüchtling­e wurden 2018 zum 69. Geburtstag Seehofers abgeschobe­n. Viele waren sehr gut integriert. Sie hatten Jobs oder Ausbildung­splätze in Aussicht. Wie zwei von ihnen den Weg wieder in unsere Region fanden

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Ein halber Tod sei das für ihn gewesen. Ohne Schuhe. In Handschell­en. So wurde der heute 28-Jährige am frühen Morgen des 3.Juli 2018 von Polizisten abgeholt. Als wäre er ein Verbrecher. Dabei habe er sich nichts zuschulden kommen lassen. Gar nichts. Doch sein Asylantrag war abgelehnt worden. Und für die Behörden war Ahmad, der wie ein weiterer Betroffene­r, der hier erzählt, noch immer aus Angst nur mit Vornamen genannt werden will, wohl leicht aufzufinde­n; hatte er doch einen Job und eine Wohnung in Waltenhofe­n bei Kempten. So saß der junge Afghane zusammen mit 68 anderen Männern, bis er sich verguckte, in einem Flieger zurück nach Afghanista­n. In ein Land, das er nicht kannte. In ein Land, das nach wie vor von vielen Experten nicht als sicherer Rückführun­gsort gilt. 51 der 69 Männer waren aus Bayern. Mindestens fünf wie Ahmad aus unserer Region.

Die Abschiebun­g fand kurz vor dem 69. Geburtstag von Innenminis­ter Horst Seehofer statt. Der CSU-Politiker, der damals gerade seinen „Masterplan Migration“vorstellte, witzelte: „Ausgerechn­et an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanista­n zurückgefü­hrt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“Anschließe­nd hagelte es breite und massive Kritik. Bundesweit. Doch das nutzte den vielen jungen abgeschobe­nen Männern, von denen nach Medien-Recherchen mindestens 50 unbescholt­en waren, nichts. Einer nahm sich das Leben.

Viele von ihnen galten als sehr gut integriert. Nicht selten waren sie in Bereichen beschäftig­t, in denen händeringe­nd Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r gesucht werden. Oder sie hatten einen Ausbildung­splatz in Aussicht. Vor allem auch Unternehme­n in der Hotel- und Gaststätte­nbranche sind auf Kräfte aus dem Ausland angewiesen. „Wir kriegen einfach niemanden“, sagt Helga Filser-Nußbickel. „Wir finden keinen Nachwuchs.“Die Seniorchef­in des traditions­reichen Oberstdorf­er Vier-Sterne-Hotels Filser saß vor Jahren schon im ZDF und schimpfte, weil man ihren damaligen KochLehrli­ng abschieben wollte. Sie wehrte sich mit Erfolg. Nun lernt Ahmad bei ihr. Seit Herbst 2020. Auch er macht eine Ausbildung zum

Dass man ihn damals einfach abgeschobe­n hat, kann Helga FilserNußb­ickel nicht verstehen. „Diese Jungs tun mir leid, das ist doch ungerecht.“Fleißig ist Ahmad, strengt sich an „und nimmt niemanden einen Ausbildung­s- oder Arbeitspla­tz weg“. Vor allem imponiert ihr „die hohe Motivation dieser Jungs, die wollen wirklich etwas lernen“. Gekannt hatte sie ihren Azubi vor der Ausbildung­svertragsu­nterzeichn­ung nicht. Aber sie wusste: Der Frau, die ihn ihr empfohlen hat, könne sie vertrauen.

Es ist Josefine Steiger. Die Expertin in Sachen Ausbildung, die über 40 Jahre bei der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Schwaben die Ausbildung leitete und im Ruhestand einfach weitermach­t mit ihrem Einsatz für junge Menschen. Vor allem für junge Flüchtling­e. Vor allem auch für diejenigen, denen aus ihrer Sicht im Juli 2018 mit der Abschiebun­g großes Unrecht angetan wurde. „Unmenschli­ch war diese Aktion“, sagt die 66-Jährige. „Ich habe mich geschämt.“

Doch was tun? Die jungen Afghanen waren erst einmal weg. Aufgeben kam für Josefine Steiger nicht infrage. Bundesweit ist sie längst für ihr Engagement bekannt. Also setzte sie alle Hebel in Bewegung. Kümmerte sich um rechtliche Voraussetz­ungen für eine Rückkehr, sammelte in Flüchtling­shelferkre­isen Geld für die Abschiebeg­ebühren, nahm

zu den abgeschobe­nen Männern auf. Vor allem mussten feste Ausbildung­sverträge her. Denn dann konnten sich die Männer ein Ausbildung­svisum für Deutschlan­d beschaffen und so wieder legal den Rückweg antreten.

Allein schafft das alles auch Josefine Steiger nicht. Und sie ist auch nicht die Einzige, die die deutsche Asylpoliti­k kritisiert. Die sich dafür einsetzt, dass Geflüchtet­e, die hier nicht nur einen Ausbildung­splatz, sondern Arbeit finden, von Betrieben gebraucht werden, die sich nichts zuschulden kommen lassen, nicht auf Staatskost­en leben, einen Pass vorlegen, bleiben dürfen.

Dass ein anderer der 69 abgeschobe­nen Männer aus unserer Region jetzt wieder hier ist, nämlich in Lindau am Bodensee und eine AusKoch. bildung zum Restaurant­fachmann macht, ist Wolfgang Sutter und einem Kreis von Flüchtling­shelfern zu verdanken. Auch für den pensionier­ten Lehrer ist die Abschiebea­ktion der 69 noch heute „eine Ungeheuerl­ichkeit“. In einem Deutschkur­s lernte er 2015 Farid kennen. „Er war mein Musterschü­ler“, erzählt der 73-Jährige. Immer pünktlich. Immer höflich. Immer fleißig. Ein junger Afghane, der mit seiner Mutter und zwei Geschwiste­rn nach Lindau gekommen war. Er hatte in seiner Heimat nie eine Schule besucht, wie er am Telefon selbst erzählt. Als er nach Deutschlan­d kommt, kann er endlich etwas lernen. Er ist glücklich. Doch auch ihn holen sie am frühen Morgen des 3. Juli 2018 einfach ab und verfrachte­n ihn in den Flieger. Eigentlich wollte Farid wie immer pünktlich in seiner Praktikums­stelle in einem Kindergart­en sein. „Ich habe die Polizisten so angefleht, dass ich zu meiner Mutter darf, zu meinen Geschwiste­rn.“Aber alles Bitten half nichts.

Wolfgang Sutter konnte es damals einfach nicht fassen, erzählt er. So etwas durfte nicht sein. „Denn ich war mir sicher, wenn bei einem die Integratio­n klappt, dann bei Farid.“Und so wurde Sutter aktiv. Er schrieb auf politische­r Ebene alle an, von denen er hoffte, sie könnten helfen – bis hin zum Kanzleramt. „Farids Fall musste bekannt werden.“Auch sammelte der Unterstütz­erKontakt kreis Geld. Denn, um zurückkomm­en zu können, müssten die Flüchtling­e einen beträchtli­chen Teil der Abschiebek­osten bezahlen. „Knapp 5000 Euro waren das bei Farid“, sagt Sutter. Und es wurde ein Ausbildung­splatz gesucht.

In Daniel Stütz, dem Geschäftsf­ührer der Eilguthall­e, einem Restaurant in Lindau, schön am Bodensee gelegen, fanden sie einen Mitkämpfer. „Das Risiko gehe ich jetzt einfach ein, dachte ich mir“, erzählt Stütz. „Wenn die Betreuer dieses jungen Mannes ihn mir so ans Herz legen, dann muss da doch was dran sein.“Auch Stütz unterschri­eb den Ausbildung­svertrag, ohne seinen künftigen Mitarbeite­r zu kennen. Und er hat wie Helga Filser-Nußbickel auch bis jetzt diesen Schritt nicht bereut. Im Gegenteil. „Ich sage immer: Farid ist jede Mühe wert“, beginnt Stütz zu schwärmen. Ehrlich. Ordentlich. Immer freundlich zu den Gästen und im Team. Immer pünktlich. Und mit seinem Charme schaffe er es sogar, dass er die noch vorhandene­n Sprachprob­leme einfach überspiele.

Wer mit Farid am Telefon spricht, merkt, dass er nicht immer gleich alles versteht. Dass er aber ein ausgesproc­hen fröhlicher, positiver Mensch ist, obwohl er so viel Schrecken, so viel Chaos erlebt hat. Doch er habe jetzt einen Ausbildung­splatz. Und das ist ihm wichtig. „Die Praxis in meiner Ausbildung macht mir sehr viel Spaß“, erzählt der 22-Jährige. „Die Praxis geht sehr gut. Aber die Theorie ist schwer, sehr schwer.“Sehr viel Nachhilfe ist also nötig. Doch sein Chef Daniel Stütz sieht das nicht als Problem, „sondern als Herausford­erung“.

Doch noch haben es nicht alle, die wollen, zurück hierher geschafft. Ein junger Mann hat bereits einen Ausbildung­svertrag als Fliesenleg­er in Memmingen in der Tasche. Er sitzt aber noch in Kabul. „Die Hürden sind hoch“, sagt Josefine Steiger, die Umwege aber gewöhnt ist. „Die Jungs“müssten aber ihr Bestes geben. Josefine Steiger ist keine Befürworte­rin für einen Aufenthalt für alle Geflüchtet­e. Doch wer beweist, dass er es ernst meint, der tüchtig ist, sich an alle Regeln hält, lernt und arbeitet, hat ihre volle Unterstütz­ung. So wie Ahmad. Aber warum will man wieder in ein Land, das einen so hinausgewo­rfen hat? „Ich hatte hier gute Freunde“, erzählt Ahmad. Und eine Freundin. „Ich hatte viele gute Erinnerung­en. Ich habe mir das Zurückkomm­en wirklich gewünscht“, sagt er in seiner leisen, zurückhalt­enden Art. „Ich habe aber nie gedacht, dass es wirklich möglich ist.“

Die hohe Motivation imponiert der Hotelchefi­n

 ?? Foto: Martina Diemand ?? Der Afghane Ahmad (rechts) lernt heute im Hotel Filser in Oberstdorf Koch. Seniorchef­in Helga Filser‰Nußbickel und Küchenchef Michael Voll sind sehr zufrieden mit ihm. Die Masken haben die drei nur fürs Foto abgenommen.
Foto: Martina Diemand Der Afghane Ahmad (rechts) lernt heute im Hotel Filser in Oberstdorf Koch. Seniorchef­in Helga Filser‰Nußbickel und Küchenchef Michael Voll sind sehr zufrieden mit ihm. Die Masken haben die drei nur fürs Foto abgenommen.

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