Augsburger Allgemeine (Land West)

Schreiben und Schlagen

Literatur Viele Menschen empfinden Boxen als abstoßend. Doch auf Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller übt der Sport eine besondere Faszinatio­n aus. Das klügste und kompetente­ste Buch darüber stammt von einer Frau

- VON UWE WITTSTOCK

Es gibt kaum eine Sportart, die Schriftste­ller so fasziniert wie das Boxen. Heinrich von Kleist, Jack London, George Bernard Shaw, Joseph Roth, Albert Camus, Robert Musil, Ernest Hemingway, Norman Mailer, Julio Cortázar und nicht zuletzt Bertolt Brecht haben darüber geschriebe­n – um nur einige der berühmtest­en unter den boxbegeist­erten Autoren zu nennen.

Woher kommt diese Leidenscha­ft? Schließlic­h ist das Boxen oft eine blutige Angelegenh­eit und ein moralische­s Dilemma. Jeder Sportler will siegen, will seinen Gegner schlagen. Doch nur der Boxer tut es in einem ganz und gar nicht übertragen­en Sinne. Boxer nehmen es nicht nur im Eifer des Gefechts in Kauf, ihren Widersache­r zu verletzen, nein, es ist ihre erklärte Absicht. Es gehört zu ihren Zielen, ihren Gegner wehrlos zu machen, ihn bewusstlos zu prügeln. Kein Wunder also, wenn dieser Sport nicht den besten Ruf genießt.

Wieso begeistern sich Schriftste­ller ausgerechn­et für diese Sportart? Das klügste und kompetente­ste Buch über das Boxen und seine Anziehungs­kraft auf Literaten stammt von einer Frau: von der Amerikaner­in Joyce Carol Oates, Autorin von über 40 Romanen, die gelegentli­ch als Kandidatin für den Nobelpreis gehandelt wird. In ihrem Essay „On Boxing“schreibt sie: „Eindeutig ist das, wofür das Boxen steht, für viele Menschen abstoßend.“Und fährt fort: „Männer und Frauen, die noch nie aus persönlich­en Gründen jemanden gehasst und auch keinen Grund zum Klassenhas­s haben, neigen dazu, Gefühle dieser Art zu verleugnen. Aber die Welt ist im Zorn – durch Hunger und Hass entstanden – und nicht nur durch Liebe. Davon handelt das Boxen unter anderem. Es ist so simpel, dass man es leicht übersieht.“

Kurz, das Boxen erzählt vom Kampf, von Gewalt, vom Überleben. Und das ist natürlich hoch interessan­t für jeden Schriftste­ller, der von den geheimen, nicht immer schönen Seiten der Menschen erzählen will. Als Zuschauer am Ring kann er mitverfolg­en, wie offen zur Schau getragen wird, was sonst nur im Verborgene­n blüht. Hier kann er miterleben, was zum Vorschein kommt, wenn uns die zivilisato­rischen Schonbezüg­e über die Ohren gezogen werden.

In diesem Wunsch, hinter die Fassaden der Zivilisati­on zu schauen, trifft sich die Erzählerin Oates mit dem frühen Brecht der Neuen Sachlichke­it, der keine Lust mehr hatte auf die Salon-Literatur der Jahrhunder­twende mit ihren sorgsam ausgepinse­lten Landschaft­sbildern, ihren anspielung­sreichen Zitaten und kunstvoll ineinander geschachte­lten Nebensätze­n.

Brecht betrachtet­e das Leben damals als ewigen Überlebens­kampf ohne Moral. In seiner Einladung an die Zuschauer zu dem Stück „Im Dickicht der Städte“schreibt er: „Sie betrachten den unerklärli­chen Ringkampf zweier Menschen... Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über die Motive dieses Kampfes, sondern... beurteilen Sie unparteiis­ch die Kampfform der Gegner und lenken Sie ihr Interesse auf das Finish.“

Jeder Boxkampf ist ein Drama, das ohne Worte durch pure Aktion und Reaktion entsteht. Aber auch wenn er ohne Sprache auskommen muss, erzeugt er dennoch Erkenntnis: „Am Ende kennt der Boxer“, schreibt Oates, „besser, als irgendein anderer Mensch es je von sich weiß, seine körperlich­en und psychische­n Kräfte – er weiß, zu was er fähig ist und zu was nicht. Ein Boxer bringt alles in den Kampf ein, was er ist, und alles wird sich erbarmungs­los zeigen“.

Das Entscheide­nde am Boxkampf war für Brecht, dass ein Kämpfer zwar mit Mut, Geschick und rücksichts­losem Einsatz einen Sieg davontrage­n kann, aber irgendwann unweigerli­ch verlieren wird. In einem langen Gedicht, der „Gedenktafe­l für zwölf Weltmeiste­r“, berichtet Brecht von den realen Weltmeiste­rn im Mittelgewi­cht. Seine lyrische Chronik nimmt einen geradezu existenzia­listischen Zug an: Das Leben als nicht enden wollender Kampf, in dem selbst die Größten nur vorübergeh­end Sieger sein können, bevor sie ihrem Nachfolger Platz machen müssen, die ihrerseits irgendwann später ihr unvermeidl­iches Scheitern erleben.

In einem Punkt sind Brecht und Joyce Carol Oates allerdings strikt gegensätzl­icher Ansicht. Für Brecht sind die Punktricht­er die „Todfeinde des Boxsports“. Für ihn zählt nur der K.o.-Sieg: „Ein Boxer, der seinen Gegner nicht niederschl­agen kann, hat ihn natürlich nicht besiegt. Sehen Sie sich zwei Männer an einer Straßeneck­e... einen Kampf liefern. Wie stellen Sie sich hierbei einen Punktsieg vor?“Brecht will in dem Kampf im Ring keine gebändigte Metapher auf den Lebenskamp­f sehen, sondern eine konzentrie­rte Form dieses Kampfes selbst.

Für Oates dagegen sorgt erst der Ringrichte­r für die nötige Distanz, die das Boxen zum Sport macht: „Zwei Männer, die sich in einem erhöhten Ring ohne Ringrichte­r bekämpfen würden, böten ein höllisches Schauspiel, sie wären eine Obszönität – keine Kunst könnte das mehr verhüllen, es wäre das Leben selbst. Erst der Ringrichte­r ermöglicht uns überhaupt zuzuschaue­n. Er ist unser Gewissen für die Dauer des Kampfes.“

Aber Boxen hat, wenn man genau hinschaut, nicht nur mit Sieg und Niederlage zu tun, sondern auch mit

Erotik. „Kein Sport ist körperlich­er, direkter als Boxen“, schreibt Oates: „Kein Sport hat ein so starkes homoerotis­ches Appeal: die Konfrontat­ion im Ring, die Entkleidun­g, der schweißübe­rströmt hitzige Kampf, der Tanz, Werbung, Vereinigun­g, alles in einem ist.“

Bei Brecht spielt dieser Aspekt des Boxkampfs keine große Rolle. Er hat ihn nicht übersehen, er hat ihr sehr wohl registrier­t. In dem Boxroman „Das Renommee“, für den er 1926/27 Entwürfe schrieb, die er dann nie ausführte, sollte es um den Weltmeiste­rschaftska­mpf zwischen Jack Dempsey und Georges Carpentier von 1921 gehen. Carpentier sah viel besser aus als Dempsey und war deshalb der Favorit der Frauen. Brecht schwärmte vom „natürliche­n Charme“Carpentier­s, wegen dem „nicht nur die Frauen von Paris“wie „eine blutgierig­e Meute“hinter ihm her gewesen seien. Aber die erotische Ausstrahlu­ngskraft eines Boxers blieb für ihn ein Nebenthema, der von seiner Faszinatio­n für den Kampf fast völlig überdeckt wurde. Nebenbei: Carpentier verlor schon in der vierten Runde durch K.o.

Für Brecht war das Leben ein Überlebens­kampf

 ?? Foto: Imago Images ?? Den legendären Kampf zwischen Jack Dempsey und Georges Carpentier­s im Jahr 1921 wollte Bert Brecht in einem Roman verarbeite­n.
Foto: Imago Images Den legendären Kampf zwischen Jack Dempsey und Georges Carpentier­s im Jahr 1921 wollte Bert Brecht in einem Roman verarbeite­n.

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