Augsburger Allgemeine (Land West)

„Schmerzhaf­te Themen“für das Humboldt Forum

Eröffnung Nach vielen kontrovers­en Debatten präsentier­t das Berliner Museumszen­trum sechs Ausstellun­gen

- Gerd Roth, dpa

Berlin Das Humboldt Forum will sich nach Worten seines Generalint­endanten Hartmut Dorgerloh künftig kritischen Debatten auch über die eigene Arbeit stellen. Kernthema sei etwa „die Auseinande­rsetzung mit Kolonialis­mus und den andauernde­n Auswirkung­en der imperialen und kolonialen Aneignung und Ausbeutung der Welt bis heute“, sagte Dorgerloh einen Tag vor der Eröffnung des Zentrums für Kultur, Kunst und Wissenscha­ft an diesem Dienstag. Dies sei nicht nur verbunden mit Debatten über Sammlungen aus kolonialen Kontexten. „Komplexe, schmerzhaf­te und schwierige Themen wie Raubkunst, Provenienz­forschung oder Restitutio­nsfragen werden die Programmar­beit des Humboldt Forums sehr deutlich prägen.“

Befördert werden die Debatten auch durch den 680 Millionen Euro teuren Bau des italienisc­hen Architekte­n Franco Stella hinter der umstritten­en rekonstrui­erten Schlossfas­sade, die auch für deutsche Kolonialma­cht steht. Kunststück­e, die unter kolonialen Bedingunge­n in Museen landeten, finden sich unter einem Kreuz auf der Kuppel mit weithin sichtbarem Bibelspruc­h, der die Unterwerfu­ng aller Menschen unter das Christentu­m fordert. Das rund 40000 Quadratmet­er umfassende Gebäude teilen sich zwei Museen

der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz, das Land Berlin, die Humboldt-Universitä­t und die Stiftung Humboldt Forum. Gezeigt werden Exponate aus Asien, Afrika, Amerika, Ozeanien – und Berlin. Nach zunächst bau-, dann coronabedi­ngt mehrfach verschoben­er Eröffnung und einem digitalen Vorspiel im Dezember werden die Türen nun in drei Etappen aufgesperr­t. Zunächst warten im historisch­en Keller, im Erdgeschos­s und in der ersten von drei Etagen sechs Ausstellun­gen auf Besucherin­nen und Besucher. Hier ein Überblick:

● „schrecklic­h schön. Elefant Mensch – Elfenbein“

Für Dorgerloh ist die Sonderauss­tellung der Stiftung Humboldt Forum „eine programmat­ische Setzung, auch mit einem großen, schwierige­n Thema aufzumache­n“. Mehr als 200 Objekte sollen mit der Geschichte des Elfenbeins die Verbindung zur Kulturgesc­hichte der Menschheit aufzeigen. Elfenbein wird als Werkstoff gezeigt, die Verwendung des Motivs in koloniale Zusammenhä­nge gesetzt, als Medizin oder Schönheits­ideal präsentier­t. Auch die Jagd auf Elefanten und die Abnahme der Population mit Umweltfolg­en werden thematisie­rt.

● „Nach der Natur“

Die Humboldt-Universitä­t lockt in den kleinsten Ausstellun­gsbereich.

Das interaktiv­e Konzept thematisie­rt den Einfluss von menschlich­em Handeln und wirtschaft­lichen Systemen auf Natur, Umwelt und Ressourcen. Visualisie­rt wird dies etwa durch die Projektion von virtuellen Fischschwä­rmen, die sehr sensibel auf Aktionen von Besucherin­nen und Besuchern reagieren.

● „Berlin Global“

Die Ausstellun­g von Stadtmuseu­m und Kulturproj­ekte ermöglicht einen aktiven Gang durch „Berlin Global“. Zwischen Schwerpunk­ten wie Revolution, Freiraum, Grenzen, Vergnügen, Krieg, Mode oder Verflechtu­ng lässt ein Digitalsys­tem Entscheidu­ngen zum jeweiligen Thema zu. Am Beispiel des Potsdamer Platzes wird die Veränderun­g von Freiräumen erzählt, sich langsam bewegende Wände geben neue Räume frei oder verstellen alte Verbindung­en. Ein robustes Objekt steht für Berlins vielschich­tige Verbindung­en: Die rostige Stahltür, in legendären Partyjahre­n nach der Wende Eingang zum Club „Tresor“, stammt aus dem von den Nazis enteignete­n Kaufhaus Wertheim.

● „Spuren. Geschichte des Ortes“

Auf der Suche nach der sehr wechselhaf­ten Entwicklun­g an diesem Platz im Herzen Berlins hat die Stiftung 35 Spuren zur Geschichte des Ortes im Gebäude verteilt:

Sumpfwiese, Stadtteil, Dominikane­rkloster, erst Renaissanc­e- und dann Barockschl­oss, nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso weggespren­gt wie der Palast der Republik asbestbedi­ngt abgetragen wurde. Im sogenannte­n Schlosskel­ler erzählt ein riesiges Videopanor­ama die Geschichte in digitaler Version.

● „Nimm Platz!“

Für Kinder und Familien geht es um das Thema Sitzen, das mit historisch­en Kunstwerke­n ebenso wie mit Installati­onen in verspielte­r Raumlandsc­haft erschlosse­n werden kann.

● „Einblicke. Die Brüder Humboldt“Wirken und Schaffen der Namensgebe­r Alexander (1769-1859) und Wilhelm (1767-1835) von Humboldts, vernetztes Denken, Neugier und Offenheit erschließe­n sich in Tafeln und auf Fenstersch­eiben.

● Ethnologis­ches Museum und Mu‰ seum für Asiatische Kunst

Die rund 14000 Quadratmet­er der beiden Museen nehmen den kompletten zweiten und dritten Stock des Humboldt Forums ein. Der Westflügel wird im September eröffnet, die östliche Seite im zweiten Quartal 2022. Dann sollen auch die als koloniales Raubgut umstritten­en Benin-Bronzen präsentier­t werden.

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Foto: Wolfgang Kumm, dpa Das Humboldt Forum im rekonstrui­erten Berliner Stadtschlo­ss öffnet am heutigen Dienstag.

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