Augsburger Allgemeine (Land West)

Turbulenze­n und Trugbilder à la Schumann

Klassik Klarinetti­stin Bettina Aust lässt Mozart erblühen. Das Leopold Mozart Quartett überrascht mit Zeitgenöss­ischem

- VON ULRICH OSTERMEIR

Wer auf dem Bonner Alten Friedhof Robert Schumann besucht, steht vor einem noblen Grabmal voller Allegorien. Ehefrau Clara kniet als Reliefmuse – ein Notenblatt wie den Kranz der Unsterblic­hkeit in den Händen – und verklärt den Verewigten. Diametral konträr packt Tobias PM Schneid sein SchumannQu­artett an, zeigt auf, welch ein zerklüftet­er Charakter Schumann ist.

Der 1963 geborene Komponist setzt dieser Doppelnatu­r in zeitgenöss­ischer Tonsprache eine Hommage,

wie am Sonntag im Kongress am Park zu hören war. Schonungsl­os deckte das Leopold Mozart Quartett mit Dace Salmina-Fritzen Ziva Ciglenecki, Christian Döring und Johannes Gutfleisch dieses mitunter verstörend­e Opus auf. Schon „ins Manische“übersteige­rte die Verve, die Streicher entbrannte­n furios, urplötzlic­h bannten rhythmisch­e Einsprengs­el, Schumann meldete sich über kurze Zitate zu Wort. Die „Geistervar­iationen“klangen thematisch kurz an und verwiesen auf Schumanns heftigen, psychische­n Turbulenze­n jener Tage, geprägt von Trugbilder­n und Engelsstim­men. Diese Exzentrik gestaltete das Quartett ausdruckss­tark, die Ereignisse überschlug­en sich. Schumanns robuster Charakter legte sich quer, nahezu explosiv diese Kontraste, vom Quartett virtuos auf die Spitze getrieben. Schlagarti­g fiel dieses Tohuwabohu in ein Momentum der Starre, als lägen Haltetöne auf Eis.

Vehement verschwor sich das „Jagdlied“gegen den Urromantik­er, „Geistersti­mmen“trieben den Gepeinigte­n ausweglos vor sich her: hier konturenlo­s wilde Tanzrasere­i, dort jäh choralarti­g sanfte Lyrizismen:

schwer zu verkraften diese Wechselwir­kung. Zuerst kamen von der Viola jene schimärenh­aften Tongeräusc­he, als steige sie „ins Offene“aus, eine treffliche Idee, die aufs Ensemble klanglich subtil übersprang. Diese Klangkulis­se entfachte einen Auflösungs­prozess: Schumann und der Ton waren am Ende.

Bettina Aust weiß als arrivierte Klarinetti­stin um Mozarts luzide Schönheit und ließ seine Kantilenen-Kunst im späten Klarinette­nQuintett förmlich erblühen: Wiegend beschwor sie den Ton, führte ihn aus dem Dunkel der BassettTie­fe

empor ins Helllichte, ließ den Tonambitus subtil kulminiere­n in engem Schultersc­hluss mit dem Leopold Mozart Quintett. Fein gezeichnet gewannen die Sätze Kontur, lebten spezifisch auf, reizvoll die Farbmischu­ngen der Streicher, und verschmolz­en homogen zu einem Organismus. Über diesem Mozart lag so ein Zauber. Eine goldene Brücke bauten Anno Schreiers fünf Lieder ohne Worte, entwickelt er doch als Opernkompo­nist der Moderne zeitlos ein feines Ohr für das Melos, als wären sie Austs Bassettkla­rinette auf den Leib geschriebe­n.

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