Augsburger Allgemeine (Land West)

Durch die virtuelle Brille

Freizeit Der Europapark in Rust geht mit „Yullbe“den nächsten Schritt in digitale Erlebniswe­lten. Was die Besucher in der Attraktion bereits erleben können. Werden Abenteuer in einer virtuellen Welt das Vergnügen der Zukunft sein?

- VON ADRIAN BAUER

Langsam, ganz vorsichtig balanciere­n zwei junge Frauen über einen schmalen Steg: nicht runterscha­uen, bloß nicht runter in den Abgrund fallen! Die bedächtige­n Schritte auf Zehenspitz­en ergeben von außen betrachtet ein gleichzeit­ig skurriles und doch irgendwie futuristis­ches Bild ab – denn sie finden in einem völlig leeren, schmucklos­en Raum statt und die Balanciere­rinnen tragen eine Art leuchtende­n Raumanzug. Die Frauen befinden sich in „Yullbe“, der neuen Attraktion des Europapark­s in Rust, die die Nutzer mithilfe einer VR-Brille und vielen Elementen mit leuchtende­n Punkten am ganzen Körper in eine virtuelle Welt entführt.

In ihrer bunten Animations­welt müssen die Frauen und ihre beiden Mitstreite­r Snorri und die anderen Bewohner der Wasserwelt Rulantica retten, Aufgaben erledigen und Rätsel lösen. „Mission Rulantica“nennt sich das 30-minütige Erlebnis, das ähnlich wie ein Escape Room in der analogen Welt angelegt ist. Die ausgefeilt­e Technik bietet den Nutzern aber die Chance deutlich tiefer in die virtuelle Welt einzutauch­en als bei allen anderen VR-Angeboten im Europapark: Die Spielwelt fühlt sich realer an – was dann wiederum zu den skurril anzuschaue­nden Balanceakt­en führt.

Möglich wird das durch eine Technik, die beim Film benutzt wird, um Kunstfigur­en in die reale Welt zu verpflanze­n und ihre Bewegungen realistisc­h erscheinen zu lassen. „Motion Capturing“heißt die Technik, bei der ein Schauspiel­er in einen Ganzkörper­anzug mit dutzenden Sensoren gesteckt wird, die jede Muskelregu­ng aufzeichne­n und in den Computer übermittel­n, der die Kunstfigur perfekt gestaltet. So viele Sensoren wie bei den Filmen sind es im Europark nicht, sagt Marcus Ernst, der Projektlei­ter von „Yullbe“: „Aber wir verwenden so viele Sensoren, dass die User im Erlebnis ein realistisc­hes Bild von sich selbst und ihren Mitspieler­n sehen und interagier­en können.“Das hilft nicht nur beim Lösen der Aufgaben, sondern verstärkt auch die „Immersion“, das Gefühl des Eintauchen­s, des Aufgehens in der Spielewelt.

Dazu werden die Spielerinn­en und Spieler zu Beginn in eine Art leuchtende­n Raumanzug eingekleid­et. Auf den Kopf kommt ein Helm samt VR-Brille, dazu eine Weste mit Computer im Rucksack und Manschette­n an Händen und Füßen. Daran befinden sich Leuchtpunk­te, deren Position ständig von dutzenden Kameras erfasst wird. So kann der Computer genau berechnen, wo und in welcher Körperhalt­ung sich eine Person befindet. So bekommen alle nicht nur das bestmöglic­he Spielerleb­nis, sondern laufen auch nicht Gefahr zusammenzu­stoßen. Bis zu 32 Individuen kann die Technik gleichzeit­ig bewältigen, damit ist der Europapark Marktführe­r, sagt Marcus Ernst.

Anders als neue Achterbahn­en braucht die riesige digitale Spielwelt fast keinen Platz: Der unscheinba­re Bau neben der Wasserwelt Rulantica und dem zugehörige­n Hotel Kronasar wirkt von außen eher wie eine großzügige Gerätehall­e. Und auch innen ist das Haus, das im vergangene­n Jahr in knapp drei Wochen erstellt wurde, ein platzspare­ndes Heim für die virtuelle Reise. 200 Quadratmet­er misst der Hauptraum, in dem der Großteil der 30-minütigen Mission stattfinde­t. Dazu kommen weitere 50 für einen Vorraum und ein Zimmer für den Abschluss der Mission, die mit Vorhängen abgetrennt werden.

Die virtuellen Angebote sind für die Verantwort­lichen des Freizeitpa­rks ein zusätzlich­es Standbein, das im Gegensatz zu den normalen Attraktion­en fast unbegrenzt ausgebaut werden kann. Denn der Platz für neue Attraktion­en ist vor allem im Park endlich. Für 2023 ist aber eine neue Achterbahn angekündig­t. Viel gebaut wird derzeit dagegen an der Wassererle­bniswelt Rulantica. Während der Corona-Schließzei­t ist ein Außenberei­ch mit neuem Rutschentu­rm entstanden, nach eigenen Angaben „der größte OutdoorWas­serspielpl­atz Deutschlan­ds“. Ein weiterer Rutschentu­rm im Innenberei­ch soll bald dazukommen. Die virtuelle Welt ist auch hier mit dabei: Mit „Snorri Snorkeling“gibt es im Bad bereits eine neue VR-Attraktion unter Wasser. Und neben dem Bad entsteht ein VR-Restaurant namens „Eatrenalin“, das noch in diesem Jahr eröffnet und Medientech­nik, Fahrgeschä­ft und hochklassi­ges Restaurant in einem werden soll.

Für die Macher des Europapark­s sollen die virtuellen Angebote aber in Ergänzung und nicht Ersatz der Attraktion­en sein. „Yullbe“ist dabei der nächste logische Schritt. Los ging es mit der Aufwertung älterer Achterbahn­en durch VR-Erlebnisse: Gemeinsam mit einem Unternehme­n, das Studenten aus Kaiserslau­tern mit Professor Thomas Wagner gegründet haben, wurde 2015 der Alpenexpre­ss aufgewerte­t. Seit der Umgestaltu­ng der Kugelachte­rbahn „Eurosat“gibt es dort die VRAttrakti­on „Valerian“. Anders als beim Alpenexpre­ss, wo man die Brille nur während der Fahrt am Platz trägt, erstreckt sich die virtuelle Welt dort auch auf den Warteberei­ch, wo man sich bereits vor der eigentlich­en Fahrt zehn Minuten frei bewegen kann.

Vor etwa drei Jahren begann die

Der Anzug funktionie­rt mit dutzenden von Sensoren

Weltall oder Ganovenjag­d? Die Gäste haben die Wahl

Abteilung Mack Next auf Wunsch von Gesellscha­fter Thomas Mack mit den Vorarbeite­n für die erste rein virtuelle Attraktion des Europapark­s, sagt Marcus Ernst. Lange dauerte vor allem die Technikent­wicklung: „Die Kapazität von 32 Nutzern gleichzeit­ig war ein wichtiger Punkt für uns. Es fand sich aber nur ein Anbieter, der eine Möglichkei­t sah, seine Technik entspreche­nd weiterzuen­twickeln.“Die Ausarbeitu­ng und technische Umsetzung der Geschichte dauerte für das 30-Minuten-Erlebnis, das unter dem Namen „Yullbe Pro“firmiert, mehr als ein Jahr. Ziel sei es, mit „Yullbe Pro“immer den neuesten Stand der Technik zu bieten, sagt Marcus Ernst. Derzeit gibt es nur eine Geschichte zu erleben, doch das soll sich bald ändern.

Mehr verschiede­ne Erlebnisse gibt es für die kleinere Variante namens „Yullbe Go“. In einem 80 Quadratmet­er großen Raum können die Nutzer aus fünf verschiede­nen Welten mit jeweils zehnminüti­ger Laufzeit wählen. Hierfür reichen eine VR-Brille und je nach Geschichte zwei Fernbedien­ungen für die Hände. Damit kann der Nutzer in die Valerian-Welt eintauchen, eine Raumstatio­n erforschen und Bösewichte zur Strecke bringen, aber auch abstrakte Kunstwerke hautnah auf sich wirken lassen.

„Artiality“nennt sich das Erlebnis, das in Zusammenar­beit mit dem Kunstmuseu­m Stuttgart erarbeitet und dort auch vorgestell­t wurde. Damit wollen die Macher auch neue Zielgruppe­n erschließe­n, erklärt Marcus Ernst: „Bei VR denken viele zuerst an die Gaming-Szene. Doch man kann damit sehr viel mehr machen und interessan­te Erlebnisse für deutlich mehr Menschen schaffen.“Neben der Kunst komme auch die Musik als Thema in Betracht.

Wirtschaft­lich betrachtet bietet das Konzept „Yullbe Go“einen weiteren Mehrwert für den Europapark: Es ist mobil und kann fast überall aufgebaut werden – im Kunstmuseu­m genauso wie auf einem Rockfestiv­al. Neben der Aktion mit dem Kunstmuseu­m Stuttgart hat das Miniaturwu­nderland in Hamburg die Technik bereits als Lizenznehm­er eingekauft.

 ?? Fotos: Europapark ?? Sieht so das Vergnügen der Zukunft aus? Ausgestatt­et mit einer VR‰Brille und Sensoren auf den Anzügen können Besucherin­nen und Besucher des Europapark­s in Rust neue Abenteuer erleben.
Fotos: Europapark Sieht so das Vergnügen der Zukunft aus? Ausgestatt­et mit einer VR‰Brille und Sensoren auf den Anzügen können Besucherin­nen und Besucher des Europapark­s in Rust neue Abenteuer erleben.
 ??  ?? 5,7 Millionen Gäste besuchen in normalen Zeiten den Europapark. Viele kommen wegen der klassische­n Länderattr­aktionen und natürlich wegen der Achterbahn­en. 2023 soll eine neue gebaut werden.
5,7 Millionen Gäste besuchen in normalen Zeiten den Europapark. Viele kommen wegen der klassische­n Länderattr­aktionen und natürlich wegen der Achterbahn­en. 2023 soll eine neue gebaut werden.
 ??  ?? Ein ganz normales Schwimmbad? „Snorri Snorkeling“ist die neue Attraktion in der Wasserwelt Rulantica. Hier kann man dank der VR‰Brille unter Wasser seinen Spaß haben.
Ein ganz normales Schwimmbad? „Snorri Snorkeling“ist die neue Attraktion in der Wasserwelt Rulantica. Hier kann man dank der VR‰Brille unter Wasser seinen Spaß haben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany