Augsburger Allgemeine (Land West)

Bewährungs­strafe für die „bissige“Wirtin

Justiz Die Chefin des Café Corso und ihre Mutter werden nach ihren Angriffen auf die Polizei verurteilt. Vor Gericht wird deutlich, wie aggressiv die Frauen an jenem Abend waren – und wie schwer die Beamten verletzt wurden

- VON INA MARKS

Der Polizist hat nicht nur eine Narbe am Sprunggele­nk, an dem er operiert werden musste - drei Bänder waren gerissen. Er trägt auch eine Narbe am Oberschenk­el. Dort hat ihn im vergangene­n Jahr die Betreiberi­n des Café Corso in der Augsburger Maximilian­straße so kräftig gebissen, dass er in die Uniklinik musste. Die Wunde wurde ausgekratz­t, damit sie sich nicht infizierte, erzählt der 28-jährige Familienva­ter vor Gericht. Acht Wochen war er dienstunfä­hig. Eine seiner beiden Kolleginne­n, die mit im Einsatz waren, kommt auf Krücken und mit einer Schiene am Fuß in den Gerichtssa­al. Sie war auch am Sprunggele­nk verletzt worden, wurde mehrmals operiert. 178 Krankheits­tage habe sie seit dem Einsatz im Mai 2020, sagt sie. Der Fall um die „bissige Wirtin“und deren aggressive­n Mutter, der landesweit für Schlagzeil­en sorgte, wurde am Montag vor dem Amtsgerich­t verhandelt.

Angeklagt sind die 32-jährige Betreiberi­n des Café Corso, ihre Mutter, 63, sowie Vater, 58. Vier Videos, die während der Verhandlun­g unter dem Vorsitz von Richterin Birgit Demeter abgespielt werden, geben den Tumult vor dem Café wieder. Augenzeuge­n hatten sie aufgenomme­n. Die Filmschnip­sel zeigen, wie eine Beamtin die aufgebrach­te Wirtin auf dem Boden festhält. Die Mutter der Wirtin attackiert währenddes­sen die Beamten. Einer Polizistin wird so kräftig am Pferdeschw­anz gezogen, dass ihr Kopf nach hinten gerissen wird, die umstehende Meute schreit. Der Biss der Wirtin in den Oberschenk­el eines Polizisten ist nicht zu sehen, nur sein darauf folgender Schlag in Richtung ihres Kopfes als Reaktion.

„Am meisten machte uns bei dem Einsatz zu schaffen, dass die Menge ‘Corso’ und ‘Polizeigew­alt’ skandierte“, schildert eine Polizistin. Er habe Angst gehabt, von hinten angegriffe­n zu werden, sagt ein Polizist. „Die Menschenan­sammlung wirkte aggressiv. So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt sein Kollege mit der Bisswunde. Für die Beamten, das wird im Prozess deutlich, war der Einsatz brenzlig. Zwei aggressive Frauen, die zuschlugen, sie als „Arschlöche­r“und mehr beleidigte­n, knapp hundert Schaulusti­ge darum herum, mehrere von ihnen aufgebrach­t. Handys wurden ge

die Beamten gefilmt. Zuschauer solidarisi­erten sich mit der Wirtin und deren Mutter. Bänke und Stühle flogen.

Es war einer der ersten Abende nach dem ersten Corona-Lockdown. Die Ausgangsbe­schränkung­en waren gerade gelockert, an die 400 Nachtschwä­rmer hielten sich in der Maxstraße auf, kauften in den Bars und Cafés Getränke zum Mitnehmen. Mindestabs­tände wurden irgendwann nicht mehr eingehalte­n. Die Polizei räumte den Herkulesbr­unnen. Dass nach 23 Uhr kein Alkohol mehr verkauft werden durfte, hat die Corso-Wirtin ignoriert. Stattdesse­n soll sie die Musik lauter gestellt haben, um mehr Kunden anzulocken. Der Aufforderu­ng des städtische­n Ordnungsdi­enstes, den Getränkeve­rkauf zu beenden, kam sie nicht nach. Eine Polizeistr­eife wurde zur Verstärkun­g geholt. Es kam zum Streit, die Mutter schlug einer Polizistin ins Gesicht.

Die Wirtin (Verteidige­r Ralf Schönauer) und die Mutter (Verteidige­rin Stephanie Sandbichle­r) gestehen im Prozess die ihnen vorgeworfe­nen Taten. Sie scheinen mit ihren Nerven am Ende. Der 32-jährigen Betreiberi­n des Café Corso und ihrer Mutter kommen bereits vor Prozessbeg­inn im Gerichtssa­al die Tränen, sie zücken ihre Taschentüc­her. Der Vater sitzt mit versteiner­ter Miene daneben. Als Staatsanwa­lt Sebastian Konrad die Anklage verliest und zu der Stelle kommt, an der die Gastronomi­n den Polizisten massiv ins Bein biss, schluchzen beide Frauen hörbar. Ihre Gesichter drehen sie meist vom Zuschauerr­aum weg. Für der Wirtin geht es um die Existenz. Für das Café Corso, das sie nur wenige Monate zuvor übernommen hatte, hat sie offenbar Schulden aufgenomme­n, vor einiger Zeit pachtete sie ein weiteres Lokal nebenan dazu. In ihm befand sich zuvor das Restaurant „Mom’s Table“.

Für die 32-Jährige, die mehrere Vorstrafen hat und an jenem Abend mit 1,4 Promille Alkohol betrunken war, steht viel auf dem Spiel. Ein Gutachter bringt während der Verhandlun­g zur Sprache, dass die Gastronomi­n aufgrund ihrer persönlich­en Vorgeschic­hte unter Depression­en, posttrauma­tischen Störungen sowie unter Angst- und Panikstöru­ngen leide. Das alles könne eine vermindert­e Schuldfähi­gkeit nicht ausschließ­en. „Ein schweres Leben ist kein Freibrief, über andere herzufalle­n“, merkt eine Anwältin an, die eine Polizistin vertritt.

Richterin Birgit Demeter verurteilt Tochter und Mutter schließlic­h zu jeweils zehn Monaten Bewähzückt, rungsstraf­e. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig. Die Richterin wertet den Biss der Wirtin als besonders eklig, betont aber auch, dass die Mutter mit der körperlich­en Aggressivi­tät begonnen hatte. Das Verfahren gegen den Vater wird bereits während der Verhandlun­g nach einem sogenannte­n Deal mit der Auflage eingestell­t, insgesamt knapp 13.000 Euro Schmerzens­geld an die drei verletzten Polizisten zu zahlen. Die Familie könnte der Vorfall aber noch anderweiti­g teuer zu stehen kommen. Offenbar stehen in dem Fall noch mögliche Forderunge­n von rund 80.000 Euro an. Die beiden Frauen haben während der mehrstündi­gen Verhandlun­g meist Tränen in den Augen. Sie lassen ihre Anwälte sprechen. Nur zum Schluss wendet sich die 63-jährige Mutter an die Polizisten. Sie entschuldi­gt sich schluchzen­d, es tue ihr leid.

 ?? Foto: Peter Fastl ?? Auf der Anklageban­k sitzen (von links) die 32‰jährige Wirtin, ihre 63 Jahre alte Mutter sowie der Vater. Gegen den 58‰Jährigen wurde das Verfahren gegen eine Auflage ein‰ gestellt. Er muss an die verletzten Polizisten Schmerzens­geld zahlen.
Foto: Peter Fastl Auf der Anklageban­k sitzen (von links) die 32‰jährige Wirtin, ihre 63 Jahre alte Mutter sowie der Vater. Gegen den 58‰Jährigen wurde das Verfahren gegen eine Auflage ein‰ gestellt. Er muss an die verletzten Polizisten Schmerzens­geld zahlen.

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